Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mit dem Zug nach Bali (Teil VI): Chinas Schicksalsfluss - eine Mül…
> Nach 9.200 Kilometern in Zug und Bus erreicht der taz-Reporter
> Zentralchina, die Wiege der chinesischen Kultur. Der Gelbe Fluss ist
> krank - doch es regt sich Widerstand.
Bild: Wang Yajun und Luo Wen Zhang sammeln Unterschriften.
ZENTRALCHINA taz Den Sonntag in Lanzhou erkennt man daran, dass die Sonne
scheint. Nicht dass sie von Montag bis Samstag nicht auch scheinen würde.
Aber dann rauchen auch die Schornsteine der 3-Millionen-Metropole in
Zentralchina. Und weil Lanzhou, die Hauptstadt der Provinz Gansu, im
Talkessel des Gelben Flusses liegt, sieht man die Sonne in der Woche vor
lauter Smog nicht.
Dagegen regt sich Widerstand: "Tun Sie etwas für unsere Umwelt:
Unterschreiben Sie!" Wang Yajun steht an diesem Sonntag an der
Zhongshan-Brücke über den Gelben Fluss. Vor ihr liegt ein rotes Spruchband
mit weißen Schriftzeichen. Zusammen mit 100 anderen jungen Leuten versucht
die Studentin, Passanten zu einer Unterschrift auf das Spruchband zu
bewegen. "Der Gelbe Fluss ist die Mutter Chinas. Und wenn es der Mutter
Chinas nicht gut geht, dann ist ganz China krank", sagt die 21-Jährige.
Immer seltener erreicht das Wasser des Gelben Flusses tatsächlich noch das
Meer. In der letzten Dekade gab es Jahre, in denen der Huang He, wie der
Gelbe Fluss auf Chinesisch heißt, gerade mal noch an 35 Tagen das Meer
erreichte, an 330 Tagen war sein Unterlauf ganz ausgetrocknet. Mehr als 50
Städte mit 140 Millionen Menschen versorgt der Gelbe Fluss. Im Mittellauf
wird immer mehr Wasser für die Bewässerung der Felder abgezweigt. Die
Industrien der Provinzen Henan, Ganso oder Shaanxi saugen gierig an dem
Fluss. Und auf dem größten Ölfeld Chinas, in der Inneren Mongolei, wird das
Wasser des Flusses dazu genutzt, Öl zu fördern.
"Anfangs hat uns die Polizei vertrieben", sagt Luo Wen Zhang, einer der
Aktivisten in Lanzhou. Ihre Versammlung sei nicht registriert gewesen, so
die Begründung seinerzeit. "Wir haben uns aber nicht einschüchtern lassen
und sind am nächsten Sonntag wiedergekommen", sagt der 22-Jährige.
Wiederkommen, vertrieben werden, wiederkommen - eine ganze Weile sei das so
gegangen, "bis die Polizei einlenkte und uns gewähren ließ". Seitdem wird
der Protest geduldet.
In Dreierreihen sind sie heute angetreten, auf dem Kopf rote Basecaps, mit
Besen und großen Tüten bewaffnet, die ersten drei tragen Fahnen. Es geht
ans Flussufer, Müll aufsammeln. Ein großes Problem in Lanzhou ist, dass die
städtische Müllentsorgung einfach nicht richtig funktionieren will. Der
Unrat, der sich am Flussufer türmt, verrät, dass hier auch wesentlich
schädlichere Zivilisations- und Produktionsreste eingeleitet werden.
Trinkwasser sollte in China allenfalls abgekocht getrunken werden.
Der 5.660 Kilometer lange Huang He ist der Schicksalsfluss der Chinesen.
Seit Alters her verursacht er gigantische Überschwemmungen. Nur durch
Großeinsätze mit tausenden von Menschen gelang es, das Flussbett
einzudämmen. Im Einzugsgebiet des Flusses entstand die "Gelbe Kultur", die
Grundlage der chinesischen Zivilisation. Tatsächlich ist das Wasser
ockergelblich. Jährlich schwemmt der Fluss 1,6 Milliarden Tonnen lehmige
Sedimente von West nach Ost. Das macht das zeitweise Austrocknen besonders
gefährlich: Wenn die Sedimente das Gelbe Meer nicht mehr erreichen, lagern
sie sich anderswo ab. Immer wieder muss das Flussbett ausgebaggert werden,
was aber nicht verhindern kann, dass es immer weiter steigt. Vielerorts
liegt das Flussbett heute sogar höher als das Land drum herum. Das macht
den Fluss so gefährlich: Jeder überdurchschnittlicher Regenfall im Ober-
oder Mittellauf lässt die Menschen weiter unten zittern.
Große Aufmerksamkeit bekommen die Umweltschützer an diesem Sonntag nicht.
Zwar haben einige hundert Passanten das Spruchband unterschrieben, das nun
an die Provinzregierung übergeben werden soll. "Von der Zeitung ist aber
wieder niemand gekommen", sagt Wang Yajun. Dabei haben die Demonstranten
sogar einen Fahrdienst angeboten.
"Echten Auftrieb bekäme unsere Aktion, wenn die Medien darüber berichten
würden." Zwar hat die Führung in Peking die Medien ausdrücklich dazu
aufgerufen, Missstände aufzudecken, "die lokalen Medien sind aber nach wie
vor mit den Provinzregierungen verwoben", sagt Yajun. Wird wirklich einmal
über einen Umweltskandal berichtet, dann von einer Zeitung aus der
Nachbarprovinz.
19 Nov 2007
## AUTOREN
Nick Reimer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mit dem Zug nach Bali (Teil V): Neue Seidenstraße für Billigwaren
Nach 5.500 Kilometern endet die Bahnstrecke. Das heißt: Umsteigen auf
Marschrutnui und Audi. Einblicke in die vom Klimawandel irritierte
Energiewirtschaft Kirgisistans.
Mit dem Zug nach Bali (Teil III): "Das Wasser wird knapp"
Nach 21 Tagen Reise und 5200 Zugkilometern: Der taz-Reporter unterhält sich
mit einem Wissenschaftler über die Region, die am stärksten vom Klimawandel
betroffen ist.
Mit dem Zug nach Bali (Teil II): Nord-Süd-Konkurrenz am Aralsee
Nach 4.100 Kilometern hat der taz-Reporter den Aralsee erreicht. Seit der
einst viertgrößte Binnensee der Erde immer mehr schrumpft, kämpfen die
Anwohner um jeden Tropfen Wasser.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.