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# taz.de -- Mit dem Zug nach Bali (Teil III): "Das Wasser wird knapp"
> Nach 21 Tagen Reise und 5200 Zugkilometern: Der taz-Reporter unterhält
> sich mit einem Wissenschaftler über die Region, die am stärksten vom
> Klimawandel betroffen ist.
Bild: Weniger Niederschlag, höhere Temperaturen: In Zentralasien schrumpfen di…
TSCHOLPON-ATA taz | Es ist ein wunderschöner Herbst-Sonntag im
ost-kirgisistanischen Tscholpon Ata. Auf dem tiefblauen Issyk-Kul, dem
zweitgrößten Bergsee der Welt, tanzen weiße Gichtkämme, die schneebedeckten
Berggipfel strahlen in der Sonne, das Gelb der Pappeln leuchtet.
Doch die Aussichten für die idyllische Region sind nicht gut, sagt Vladimir
Vladimirovitsch Romanovsky, der das Labor des "Instituts für Wasserprobleme
und Hydroelektroenergie" an der Kirgisischen Akademie der Wissenschaften
leitet. "Alles über den Issyk-Kul" heißt das 400-Seiten starke Werk, dass
Romanovsky vor einigen Monaten vorlegte. Mit erschreckenden Ergebnissen:
Nirgendwo auf der Welt ist demnach der Klimawandel so weit fortgeschritten,
wie hier am Issyk-Kul in Zentralsasien. Nach Erhebungen des
Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) stieg die globale
Temperatur zwischen 1950 und dem Jahr 2000 um ein halbes Grad. "Bei uns ist
aber die Temperatur in nur 40 Jahren im Jahremittel um 2 Grad gestiegen.
Und wenn das so weiter geht, wird sie 2070 fünf Grad höher sein", sagt
Ramonovsky.
Mit dramatischen Folgen, zum Beispiel für den 700 Meter tiefen
Issyk-Kul-See, der zwar etwa 80 Zuflüsse, aber keinen Abfluss besitzt:
Binnen der letzten zehn Jahre sank sein Wasserspiegel um 90 Zentimeter.
"Und das, obwohl sich das Abschmelzen der Gletscher rasant beschleunigt
hat", sagt Romanovsky: So ist etwa die Firngrenze des
Kara-Batkak-Gletschers im zentralen Tientschan binnen 40 Jahren um 18 Meter
geschrumpft. "18 Höhenmeter, das muss man sich mal vorstellen"! Ronamowsky
sagt: "Die Arbeiten meines Kollegen Kuzmicenok zeigen, dass sich die
Gletscherschmelze linierar zum Temperaturanstieg verhält". Wie also kommt
es zur Absenkung des Issy-Kul- Wasserspiegels? "Es gibt immer weniger
Niederschläge. Uns wird das Wasser knapp", sagt der 65jährige
Wissenschaftler.
Die Stadt Tscholpon-Ata liegt auf 1700 Höhenmetern, etwa in der Hälfte des
Issyk-Kol-Nordufers. Bis zur Westspitze gibt es gut 10 Zuflüsse, Wasser
führt derzeit keiner. "Das konnte man überhaupt nicht als Ernte bezeichnen
dieses Jahr", sagt der Agrotechniker Sirtbai Arükbajew. Ausgeklügelte
Bewässerungssyteme sorgen hier normalerweise dafür, dass es in der sommers
warmen, fruchtbaren Hochebene üppig wächst. Arükbajew: "Dieses Jahr war
aber schon wieder ziemlich trocken".
"Kein Fleck der Erde ist so weit vom Meer entfernt, wie Zentralasien",
erklärt der ergraute Wissenschaftler Romanovsky. Wetterbestimmend sei aber
nun einmal der Wasserkreislauf und der sei wegen der gigantischen
Bewässerungsprojekte aus dem Takt geraten. Um größter Baumwollexporteur der
Welt zu werden, gruben die Sowjets 700.000 Kilometer Bewässerungskanäle in
die Steppen Kasachstans und Usbekistans -und damit den mächtigsten Flüssen
der Region, dem Syr-Daria und dem Amu-Daria, das Wasser ab. Die Folge: Dem
größte Meer der Region - dem Aralsee - ging der Wassernachschub verloren,
seine Fläche schrumpfte auf ein Viertel zusammen.
Schätzungsweise 20 Millionen Menschen leben heute an den Flüssen, die den
Tientschan in nördliche Richtung verlassen. 20 Millionen Menschen, deren
Arbeits- und Lebensgrundlage ein funktionierender Wasserkreislauf und
intakte Gletscher bilden. Was ist, wenn Vladimir Romanovsky Recht hat? Die
Forschungsergebnisse seines Teams beruhen auf den Daten von 23
Messstationen, die sein Institut rund um den 1600 Meter hoch gelegenen
Issyk-Kul im Zentraltientschan betreibt. Nicht verlässlich, nicht
repräsentativ, seien die Messungen, sagen die Kritiker.
Mit einem Bruttosozialprodukt von 380 Dollar pro Einwohner ist Kirgisistan
bitterarm. Für viele ist der nächste Tag tatsächlich eine viel größere
Herausforderung, als der Wandel des Klimas in der Zukunft. "Wir wollen doch
nicht viel", sagt Sirtbai Arükbajew, "ein warmes Haus, tägliches Brot und
eine Zukunft für unsere Kinder".
29 Oct 2007
## AUTOREN
Nick Reimer
## TAGS
Kirgistan
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