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# taz.de -- Mit dem Zug nach Bali (Teil V): Neue Seidenstraße für Billigwaren
> Nach 5.500 Kilometern endet die Bahnstrecke. Das heißt: Umsteigen auf
> Marschrutnui und Audi. Einblicke in die vom Klimawandel irritierte
> Energiewirtschaft Kirgisistans.
Bild: Schnee und Staub: Kältewüste Tientschan.
BALUIKSCHI taz Die "Schelesnaja Doroga" - was in der russischen
Sprachhemisphäre gleichbedeutend mit "Eisenstraße", also Zug, ist - endet
im kirgisischen Baluikschi. Dafür bahnt sich hier die legendäre
Seidenstraße ihren Weg über den Tientschan. Berlin ist 5.500 Zugkilometer
entfernt, jetzt heißt es umsteigen auf Marschrutnuis, Transporter, die
Aufschriften wie "Frisches Obst aus Quedlinburg" oder "Haus- und
Gartenservice" haben. Richtige Busse fahren hier nicht mehr.
Der Fahrplan der Marschrutnuis richtet sich nach den Bedürfnissen: Sie
starten, wenn die neun bis elf Plätze besetzt sind. Neben ein paar
Sammeltaxis sind hier kaum noch Autos unterwegs. Dafür aber jede Menge
Eselskarren. Und Lkws.
Im September 1998 unterzeichneten 12 zentralasiatische und südeuropäische
Staaten ein Abkommen, einen von Russland unabhängigen Verkehrsweg zu
schaffen. Die "neue Seidenstraße" soll von Kirgisistan bis Usbekistan, von
Turkmenistan bis Georgien, über Moldawien, Rumänien bis Bulgarien reichen.
Finanziell unterstützt wird der Ausbau durch die USA und die EU. Es geht
darum, den alten euro-asiatischen Korridor entlang der historischen
Seidenstraße wiederzubeleben. Fast alle Unterzeichner waren einst vom
Sowjetimperium abhängig; als sie in die Unabhängigkeit entlassen wurden,
entstand ein politisches und wirtschaftliches Vakuum. Das Projekt "neue
Seidenstraße" soll dieses füllen und helfen, sich auf eigene Geschichte zu
besinnen und neues Selbstbewusstsein zu schaffen.
Statt Gewürzen, Jade oder Seide transportieren die Karawanen der Neuzeit
allerdings billige Hemden, Socken oder Röcke Richtung Westen. Auf dem
Rückweg laden sie Schrott, Rohstoff für Chinas Wirtschaft.
Naryn ist ein schmuckloses Verwaltungszentrum in Kirgisistans südlicher
Mitte. Der Ölradiator ist hier präsenter als der Fernseher. Weil sich
Kirgisistan Erdgas aus Usbekistan oder Kasachstan nur bedingt leisten kann,
wird hauptsächlich mit Strom geheizt.
Das geht nicht ohne Nebenwirkungen: Um im Winter genug Strom produzieren zu
können, werden die Staubecken der Wasserkraftwerke schon in den
Sommermonaten gefüllt. Unten in den Ebenen fehlt den Bauern deshalb das
Wasser - ausgerechnet wenn sie es dringend bräuchten. Im Winter rauscht das
gestaute Nass dagegen durch die Turbinen und überschwemmt nicht selten die
Felder.
Zweimal die Woche hält in Naryn ein Bus ins chinesische Kashgar. Sonst
hilft nur ein Taxi. Risbek fährt die Route drei- bis viermal die Woche. Er
schwört auf seinen Audi 80 CS. Zwar ist der schon Baujahr 1986, "aber was
anderes als ein Audi würde die Piste gar nicht schaffen", sagt der
37-Jährige völlig überzeugt.
Um den wachsenden Strombedarf zu decken, gibt es Pläne, weitere Staustufen
in die "Himmelsberge", wie der Tientschan hier heißt, zu schlagen. Das hat
die Chinesen auf den Plan gerufen: Der Tientschan nämlich verteilt das
Wasser ungerecht. Das meiste fließt gen Norden ab, jetzt aber sollen auch
Flüsse gestaut werden, die die chinesischen Oasenstädte im Süden versorgen.
Dabei ist Wasser hüben wie drüben ein Problem: Hier bekommt Zentralasien
den Klimawandel direkt zu spüren. Weil es deutlich weniger regnet, ist das
Wasser in den fruchtbaren Ebenen vor und hinter den Bergen spürbar knapper
geworden.
Rispeks größter Traum ist, Autohändler zu werden. "20 Audis aus Deutschland
holen und dann hier verkaufen, das wärs", sagt er. Aber er war noch nie in
Europa und in Deutschland schon gar nicht. Er weiß nicht mal, ob der Audi
80 CS überhaupt noch gebaut wird. "Was anderes soll es nicht sein. Der
Wagen ist ideal für hier."
Es ist bitterkalt, und am zweiten Tag der Überfahrt über den Tientschan
zeigt sich endlich die chinesische Grenze auf dem 3.752 Meter hohen
Torugart-Pass. Kilometerweit stehen die Trucks vor einer von
Kalaschnikow-Trägern bewachten doppelten Mauer aus Stacheldrahtverhauen.
Grenzkontrolle. Rispek kennt sich hier aus: Ein "Hallo" hier, ein
Geldschein da - nach anderthalb Stunden ist alles klar. China ist erreicht.
5 Nov 2007
## AUTOREN
Nick Reimer
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