# taz.de -- Mit dem Zug nach Bali (Teil I): "Für Klimawandel gibt es kein Wort" | |
> Im Dezember findet auf Bali die UN-Klimakonferenz statt. Unser Reporter | |
> ist schon unterwegs - klimaschonend. Und beobachtet unterwegs, wie | |
> Menschen mit dem Thema umgehen. | |
Bild: Gedenken: 20 Jahre Tschernobyl. "Wir brauchen neue Atomkraftwerke", sagt … | |
CHARKOW/SARATOW taz Irgendwo hinter Kiew, rund 2.500 Zugkilometer von | |
Berlin entfernt. Ein Gang auf die Toilette kostet mittlerweile größte | |
Überwindung. Wer kann, wartet bis Charkow, der zweitgrößten ukrainischen | |
Stadt. In dem Bahnhofsgebäude, das doppelt so groß und dreimal so schön ist | |
wie der Berliner Hauptbahnhof, wird sich gewiss ein sauberer Ort finden. | |
Ablenkung schafft ein Gespräch mit Wiktor, der im Zug in seine Heimatstadt | |
Lemberg sitzt. Thema, wie so oft in diesen Tagen, ist die Politik und das | |
Verhältnis zu Russland. Der vom Kreml dominierte Energiekonzern Gazprom hat | |
den abtrünnigen Nachbarn an seine Schulden erinnert - 1,3 Milliarden | |
US-Dollar, etwa 920 Millionen Euro. | |
"Wir sind doch ein souveräner Staat", schimpft Wiktor. Für ihn liegt die | |
Lösung auf der Hand: "Wir brauchen neue Atomkraftwerke." In der | |
Zentralukraine seien reiche Uranvorkommen entdeckt worden. "Wir könnten uns | |
unabhängig machen, wir könnten es denen zeigen." | |
Auch Liuba Pikulia begrüßt die Debatte um neue AKWs in der Ukraine. Die | |
26-Jährige ist Führerin im Tschernobyl-Museum in Kiew. Wortreich schildert | |
sie das Grauen, das die Havarie am Block 4 des Atomkraftwerkes Tschernobyl | |
bis weit über die Ukraine hinaus brachte. "Natürlich war die | |
Reaktorkatastrophe schrecklich. Aber die Klimakatastrophe wird | |
schrecklicher - schon weil sie alle Menschen auf der Erde treffen wird." | |
Tatsächlich steigt der Kohlendioxid-Ausstoß in der Ukraine pro Kopf nach | |
Jahren der Stagnation wieder an. Mit 6,4 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf | |
emittiert jeder Ukrainer so viel wie jeder Schweizer - allerdings nur knapp | |
halb viel wie ein Deutscher. Wegen des rasanten Wirtschaftswachstums, das | |
2006 7,1 Prozent betrug, steigt aber auch der Energiehunger wieder. Und | |
Energieeffizienz spielt nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle. | |
Ebenso im russischen Saratow, 700 Zugkilometer weiter. Lenin thront noch | |
immer auf dem Sockel des Zentralplatzes der Millionenstadt. Mühsam schiebt | |
sich der Verkehr über die Wolgabrücke hinüber in die Nachbarstadt Engels. | |
Nur wenige Kilometer flussaufwärts liegt die Stadt Marx. Weil der Fluss | |
hier gut anderthalb Kilometer breit ist, sind Brücken rar. Seit es den | |
Russen besser geht, ist das Verkehrsaufkommen rasant angestiegen. | |
Saratow ist eine jener russischen Provinzhauptstädte, die vorgeben, sehr | |
modern zu sein. Doch für den Klimawandel gibt es hier kein Wort. Die Leute | |
wissen nicht, was damit gemeint sein soll. Dafür beginnt am 15. Oktober, | |
also heute, der Winter. Die letzten Tage war es 19 Grad warm. Aber egal, | |
was das Thermometer heute zeigen mag: Die Thermostate werden überall in den | |
Gebäuden auf Frost eingeregelt. Wenn es zu warm wird, wird gelüftet. | |
Ohnehin werden Strom und Gas meist pauschal abgerechnet, was dazu führt, | |
dass die Leute auch das Licht brennen lassen, wenn sie verreisen. Das soll | |
Einbrecher abschrecken. | |
Mit 14 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf und Jahr sind die Russen schlimmere | |
Klimasünder als die Deutschen. Das liegt allerdings vor allem auch an der | |
ineffizienten Wirtschaft und dem Gas, das als Nebenprodukt bei der | |
Erdölförderung massenhaft abgefackelt wird. | |
Im Bus der Linie 247k steht: "Fahren ohne gültigen Fahrausweis: 80 | |
Schweizer Franken, zusätzlich 20 Franken Bearbeitungsgebühr bei nicht | |
sofortiger Bezahlung im Fahrzeug." Das Relikt aus dem Vorleben des | |
Fahrzeugs belustigt den 25-jährigen Andrej. "Das sind ja mehr als 2.000 | |
Rubel" - fast ein Drittel des durchschnittlichen Monatslohns. So teuer ist | |
Schwarzfahren hier nicht, und trotzdem kaufen alle brav ihre Billets. Denn | |
auch die sind eindeutig billiger als im Westen. Eine "Deschurnaja", eine | |
Diensthabende, verkauft sie im Bus für knapp 20 Cent. | |
15 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mit dem Zug nach Bali (Teil II): Nord-Süd-Konkurrenz am Aralsee | |
Nach 4.100 Kilometern hat der taz-Reporter den Aralsee erreicht. Seit der | |
einst viertgrößte Binnensee der Erde immer mehr schrumpft, kämpfen die | |
Anwohner um jeden Tropfen Wasser. | |
Mit dem Zug nach Bali (Teil II): Nord-Süd-Konkurrenz am Aralsee | |
Nach 4.100 Kilometern hat der taz-Reporter den Aralsee erreicht. Seit der | |
einst viertgrößte Binnensee der Erde immer mehr schrumpft, kämpfen die | |
Anwohner um jeden Tropfen Wasser. | |
Düsterer Weltklimabericht: Eine neue Klimaepoche | |
Der frisch gekürte Friedensnobelpreisträger, das IPCC, macht wenig | |
Hoffnung: Selbst wenn kein CO2 mehr in die Luft geblasen würde, stiege die | |
Temperatur. | |
Friedensnobelpreis für Gore: Bush bleibt bei Klimapolitik | |
Die US-Presse freut sich über den Friedensnobelpreis für Al Gore und | |
kritisiert die Umweltpolitik der USA. Bush gratulierte - doch die | |
Klimapolitik will er nicht ändern. |