# taz.de -- SPD-Beschluss zur Bahnprivatisierung: Nicht nur ein Etappensieg | |
> Die SPD-Basis stand kurz davor, gegen die Bahn-Privatisierung zu | |
> rebellieren. Doch dann griff Parteichef Beck selbst ein, rettete das | |
> Volksaktienkonzept - und sich selbst. | |
Bild: Die Parteispitze um Beck sucht hektisch nach einem Kompromiss, um die Del… | |
HAMBURG taz Um 15.30 Uhr war die Kuh vom Eis. Der neue Parteivorsitzende | |
Kurt Beck hatte die rebellierende Basis mit lauter Stimme noch mal auf Kurs | |
gebracht. Zumindest fast: Der SPD-Parteitag beschloss wie vorgesehen, dass | |
die Bahn in Form von Volksaktien an die Börse gehen soll. Doch wenn die CDU | |
sich darauf nicht einlässt, wird der Parteitag neu beraten. Das bedeutet: | |
Die Privatisierungsgegner haben Zeit gewonnen - und womöglich sogar die | |
ganze Schlacht. | |
Zu verdanken haben sie diesen Sieg einem Mann, der sich mit 75 Jahren zum | |
letzten Auftritt auf einem Parteitag vorbereitet hatte. Wie immer die | |
Fliege gebunden und einen Spruch der SPD-Legende Erhard Eppler im Kopf: | |
"Das alte Kavalleriepferd hört das Trompetensignal." So steigt Peter | |
Conradi auf das Podium. | |
Dort hatten vorher Großkopferte wie Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und | |
Generalsekretär Hubertus Heil unter mäßigem Applaus für den Kompromiss | |
geworben, der mit den Privatisierungsgegnern ausgehandelt worden war. Er | |
soll zeigen: Wir nehmen eure Angst vor Heuschrecken ernst. Keine | |
Zerschlagung, keine Macht den Investoren. Doch weil die Bahn Geld braucht, | |
muss sie erst einmal zu einem Viertel privatisiert werden. Aber wer Aktien | |
kauft, bekommt kein Stimmecht. Volksaktien nennen das die Genossen, obwohl | |
das Volk ja ansonsten ein Stimmrecht hat. Aber solche Feinheiten werden | |
hier nicht diskutiert. Die Privatisierungsgegner an der Basis, vertreten | |
zum Beispiel vom Berliner SPD-Chef Michael Müller oder Juso-Vorsitzenden | |
Björn Böhning, wollen dem Antrag zähneknirschend zustimmen. Allerdings | |
haben sie Sorgen um ein weiteres Aktienpaket von rund 25 Prozent, dass | |
später privatisiert werden soll. Der Kompromissvorschlag des Vorstands hält | |
dabei alles offen. Müller, Böhning und Co wollen, dass auch hier die | |
Volksaktien-Regelung gilt. Alles Geplänkel, Randgefechte, die Beck, | |
Steinbrück und Tiefensee nicht wirklich aufregen. | |
Doch dann zieht Conradi in den Kampf. "Ich bin der Erste, aber nicht der | |
Einzige, der sich gegen jedweden Verkauf der Deutschen Bahn wendet", sagt | |
er in ruhigen Worten. Ein Satz wie ein Florettstoß, wohlgesetzt. Doch er | |
wirkt wie ein Schwertschlag, der die Delegierten aus ihrem Gefühlskorsett | |
befreit. Riesiger Applaus. Und dann noch so ein präziser Angriff, "70 | |
Prozent der Menschen sind gegen die Privatisierung". Hatte nicht Kurt Beck | |
gesagt, die SPD müsse näher an den Menschen sein. Daran erinnert Conradi | |
und attackiert so direkt den Parteivorsitzenden. | |
Der reagiert. Auf der Bühne hinter Conradi stecken Beck und seine neue | |
Stellvertreterin Andrea Nahles die Köpfe zusammen. Denn die Reaktion auf | |
Conradi zeigt: Die Stimmung könnte kippen. Wenn der Parteitag die | |
Privatisierung ganz ablehnt, verliert nicht nur Tiefensee sein Gesicht. | |
Auch Beck müsste der CDU sagen, dass der Koalitionsvertrag nicht | |
eingehalten werden kann, dass er die Zügel nicht in der Hand hält. | |
Nahles steigt vom Podium, macht sich auf zu den Delegierten aus Hannover | |
und Berlin. Es wird verhandelt, irgendwann fällt das Wort | |
"Sonderparteitag". Was am Rednerpult gesagt wird, interessiert niemanden | |
mehr. Nahles geht zurück zu Beck, Hannover geht zu Berlin. Edelgard | |
Buhlmann, die den Kompromiss mitgeschrieben hat, kommt. Kurze Diskussion, | |
dann verspricht sie: "Ich sag das dem Kurt". | |
Der ruft zur spontanen Krisensitzung. Tiefensee ist dabei, Böhning auch. | |
Letzterer kommt, verjagt die Journalisten und präsentiert einen Zettel mit | |
zwei Sätzen als Becks Angebot. Reicht das? Ja, die Delegierten sind | |
zufrieden. | |
Nun kann Beck zurück in die Bütt. Er beginnt ganz ruhig und wird von | |
Zwischenrufen unterbrochen. Beck schaltet um. Laut, scharf, wütend ruft er | |
den Genossen zu: "Lasst mich meine Argumentation zu Ende führen!" | |
Jetzt ist den Delegierten klar, dass es um mehr geht, als um die | |
Bahn-Reform. Da vorn steht der gerade im Amt bestätigte SPD-Chef. Der darf | |
nicht beschädigt werden. Deshalb nehmen sie sein Angebot an und erstreiten | |
nur noch eine letzte Zusage: Ein neuer Parteitag soll das letzte Wort | |
haben, wenn die CDU nicht mitzieht. | |
Und die lehnt die Volksaktie ab, das wissen alle. Der hessische | |
Wirtschaftsminister Alois Rhiel reagiert am Sonntag und plädiert für eine | |
Verschiebung des Themas in die nächste Legislaturperiode. | |
Privatisierungsgegner wie Müller würden das begrüßen: "Wenn das in den | |
nächsten Wahlkampf kommt, ist das Thema vom Tisch." | |
Doch nicht alle Genossen sind zufrieden. "Die Ausgangslage für die | |
Befürworter einer Trennung von Netz und Betrieb ist jetzt günstiger", sagt | |
der Vorsitzende der Bahn-Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen. Die Union | |
könne nun auf Zeit spielen und möglicherweise nach der nächsten Wahl die | |
"Zerschlagung" durchsetzen. Wenn das passiert, so Hansen, "bleibt uns nur | |
der Weg, die Teilkapitalisierung abzulehnen." Immerhin - dann hätten die | |
Privatisierungsgegner einen mächtigen Mitstreiter mehr. | |
29 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Stephan Kosch | |
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