# taz.de -- Berliner Adventskalender: Giselastraße 12 | |
> Der Laden im Erdgeschoss sieht aus wie eine Arztpraxis mit Lamellen | |
> hinter den Fenstern - doch es ist eine Galerie. | |
Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum | |
Glück gibt es Adventskalender: Da darf man jeden Tag eine nummerierte Tür | |
öffnen - und sich überraschen lassen. | |
Um zu der Tür zu gelangen, die es heute zu öffnen gilt, muss man an einer | |
Reihe leer stehender, ziemlich verfallener Altbauten vorbei. Nur einige | |
Bauarbeiter, die Häuser sanieren, sind auf der Lichtenberger Giselastraße | |
zu sehen. Wenn sich die Presse hierher verirrt, will sie meistens über | |
Rechtsextreme berichten. Die Weitlingstraße, in der Neonazis schon 1990 ein | |
Haus besetzten und die bis heute als Hochburg der rechten Szene gilt, ist | |
nur wenige Ecken entfernt. | |
Auf die Altbauten folgen neue Häuser in Rosa und Beige - und da ist sie, | |
die Nummer 12. Der Laden im Erdgeschoss sieht aus wie eine Arztpraxis mit | |
Lamellen hinter den Schaufenstern. Doch hier gibts keine Medizin, sondern | |
Kunst. Das verrät das Schild "Galerie" an der Glastür. | |
So wenig wie die Kunsthandlung von außen wie eine Galerie aussieht, wirkt | |
Ingo Knechtel wie ein Galerist. In gelbem Pulli und Jeans sieht er eher aus | |
wie ein Sozialarbeiter, und in gewisser Weise ist er das auch. Der | |
55-Jährige ist Geschäftsführer des Kulturrings, eines gemeinnützigen | |
Vereins, der die Galerie betreibt und Kulturprojekte für Jugendliche | |
organisiert. "Ost-Art" - der Name der Galerie ist Programm. Hier werden vor | |
allem Werke von Künstlern ausgestellt, die in der DDR geboren wurden. | |
Eine blaue Pappe mit einem winzig kleinen aufgeklebten Schwan - Schwanensee | |
heißt das Werk - hängt neben schwarzen Pinguinen auf weißem Untergrund. An | |
einer anderen Wand gibt es Tuschezeichnungen auf alten Ausgaben der | |
russischen Zeitung Prawda. Große schwarze Augen sind auf die kyrillischen | |
Texte gemalt, rote dicke Tränen tropfen kitschig auf Zweige. Die 20 Bilder | |
an den weißen Wänden sind alle von russischen Künstlern. Ingo Knechtel | |
entschuldigt sich. Eigentlich sollte eine in Stralsund geborene Künstlerin | |
ausstellen. Aber ihre Arbeiten waren zu großformatig für die kleine | |
Galerie. Ein befreundeter Sammler sprang ein und lieh der Galerie einen | |
Teil seiner Sammlung. Und Russland ist ja schließlich auch Osten. | |
Nach der Eröffnung der Galerie 1996 hingen hier unter anderem Werke der | |
bekannten DDR-Maler Arno Mohr und Walter Womanka. Arno Mohr wurde durch | |
seine Porträts von Bertolt Brecht und Helene Weigel in den 70er-Jahren | |
bekannt. Der Staatsmaler Walter Womacka war 20 Jahre lang Rektor der | |
Kunsthochschule Weißensee. "DDR-Künstler hatten nach der Wende kaum | |
Ausstellungsmöglichkeiten. Wir wollten eine Galerie, um zu zeigen, wie | |
Künstler aus dem Osten die Wende verarbeitet haben", erklärt der | |
Galeriebetreiber. Und die sollte in Lichtenberg sein. Denn der Bezirk | |
drohte bereits in den 90er-Jahren zur kulturellen Einöde zu werden. "Die | |
meisten kommunalen Kultureinrichtungen haben zugemacht, und die Rechten | |
breiten sich immer mehr aus", beklagt Knechtel. Dass hier auch | |
Kunstliebhaber leben, will er mit der Galerie zeigen. Und die Lichtenberger | |
danken es ihm: "Hier zwischen den Gleisen, inmitten Lichtenberger | |
Mietskasernen, drei märkische Kiefern von Arno Mohr. Das tut schon gut", | |
hat eine Besucherin ins Gästebuch geschrieben. | |
Im Bezirk künstlerisch präsent zu sein ist für Knechtel inzwischen | |
wichtiger als das Anliegen, ostdeutsche Künstler zu unterstützen. "Die | |
scharfe Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland gibt es nicht mehr, und | |
wir werden auch Kunst aus Osteuropa zeigen." Auch die Mainzer Künstlerin | |
Gertrude Deggenhardt stellte hier vor einem Jahr aus. Die habe mit dem | |
Label "ost" zwar nichts zu tun, stehe aber politisch auch links, erklärt | |
Ingo Knechtel die Ausnahme. Und nicht nur Lichtenberger besuchen die | |
Ausstellungen: Franz Müntefering, bis vor kurzem noch | |
Bundesarbeitsminister, kam vor einem Jahr zu der Deggenhardt-Ausstellung | |
und kaufte drei Bilder der Künstlerin. | |
11 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Kathleen Fietz | |
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