# taz.de -- Simone de Beauvoir-Doku: Die Unantastbare | |
> Die Doku "Eine moderne Frau 1908-1986"(Do: 22.35 Uhr, Arte) wird Simone | |
> de Beauvoir nicht gerecht. Sie ist zu unkritisch und brav. | |
Bild: Frau, Intellektuelle, Weltbürgerin: Simone de Beauvoir | |
"In Frankreich zu schreiben und eine Frau zu sein heißt, Ruten für den | |
eigenen Rücken anzufertigen", sagt Simone de Beauvoir. Ihre verrauchte, | |
strenge Stimme passt nicht zu ihrem zarten Gesicht, das immer bereit | |
scheint, sich in ein großes Lächeln zu verwandeln. Gute Laune, erinnert | |
sich ihre Adoptivtochter, war für Beauvoir und Sartre nahezu eine | |
moralische Qualität. | |
Die Dokumentation von Dominique Gros porträtiert die Schriftstellerin | |
anlässlich ihres 100. Geburtstags als lebenslustige und ambitionierte Frau, | |
die sich mit 20 Jahren Jean-Paul Sartre erwählte, weil er schlau war und | |
sie nicht in ein Korsett von sittsamer Weiblichkeit zwängte. | |
Zudem zeigt der Film, wie harsch der Bruch gewesen sein muss, den Beauvoir | |
mit ihrer Kindheit, also mit sich als Mädchen vollziehen musste - um sich | |
als Autorin neu zu erfinden. Denn Schreiben bedeutet für Beauvoir nicht | |
allein, Wissen anzusammeln, zu sortieren und originell zu verarbeiten, | |
sondern aus den Konventionen auszubrechen: "Eine Schriftstellerin ist nicht | |
eine Hausfrau, die Bücher schreibt." Von dieser radikalen Selbsterfindung | |
wollte Beauvoir Zeugnis ablegen. Sie tat es mit ihren Memoiren und dem | |
berühmten Sachbuch "Das andere Geschlecht". Die Grundthese: Man wird nicht | |
als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht. | |
Interessant ist Beauvoirs eigener Kommentar zu diesem Standardwerk | |
feministischer Theoriebildung: Wenn ich "Le deuxième sexe" noch einmal | |
schreiben würde, erzählt sie, würde ich mehr auf die materielle Basis von | |
der Beziehung Ich/Andere eingehen. Heißt: mehr Marx, weniger Hegel und | |
Kant. Und darauf, dass auch das Mannsein keine natürliche Gegebenheit ist, | |
sondern ein von der jeweiligen Gesellschaft definierter und also | |
veränderbarer Prozess - eine Denkrichtung, die hierzulande erst seit knapp | |
einer Dekade in der breiteren Öffentlichkeit an Bedeutung gewonnen hat. | |
Für Beauvoir war Emanzipation schlicht die Voraussetzung dafür, ein | |
freudvolles Leben zu führen und eine gesellschaftlich relevante Kritik | |
formulieren zu können. Als Frau, als Intellektuelle, als Weltbürgerin. | |
Umso enttäuschender ist daher die brave Dokumentation. Kaum Bildmaterial, | |
das Beauvoir eine neue Facette hinzufügen würde; kritische Anmerkungen zur | |
auch umstrittenen Beauvoir finden sich kaum. Nur ihr einstiger Geliebter | |
Claude Lanzmann darf andeuten, dass ihm Beauvoirs unerschütterliche | |
Überzeugung, man müsse sich im Dienste der Wahrheit stets auch alles sagen | |
können, auf die Nerven gegangen ist. Ein solcher Protektionismus wird | |
Beauvoir nicht gerecht. Er ist zu kleinmütig. INES KAPPERT | |
10 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Jean-Paul Sartre | |
Feminismus | |
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