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# taz.de -- Gewerkschafter in Kolumbien: Auf der Todesliste
> Nirgendwo leben Arbeitnehmervertreter so gefährlich wie in dem
> südamerikanischen Land. Human Rights Watch drängt auf besseren Schutz
> durch die Regierung.
Bild: Erdrutsch in einer Goldmine in Suarez im October 2007. 21 Menschen starbe…
Etwas verblichen sind die Parolen auf den Hauswänden gegenüber dem
Gewerkschaftshaus in Bogotás siebenter Straße. "Nein zum
Freihandelsabkommen mit den USA" ist da zu lesen. Und genau dieses
Freihandelsabkommen, dessen Ratifizierung im Kongress noch aussteht, hat
die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zum Anlass
genommen, um Druck für die Gewerkschaftsrechte zu machen. In einem Brief
forderte HRW-Direktor Kenneth Roth die US-Handelsbeauftragte Susan Schwab
Ende Januar auf, das Freihandelsabkommen zu nutzen, um Kolumbiens
Präsidenten Álvaro Uribe zu verpflichten, Gewerkschafter besser zu
schützen.
Domingo Tovar würde das begrüßen. Der Menschenrechtsbeauftragte des
Gewerkschaftsdachverbandes CUT kann kaum einen Schritt ohne Bodyguards tun.
Vier von ihnen begleiten Tovar rund um die Uhr, denn der großgewachsene
Mann mit dem buschigen schwarzen Schnauzer steht auf unzähligen Todeslisten
von Paramilitärs und bezahlten Killern.
Jeden Tag ist Tovar zwischen zwölf und sechzehn Stunden für die
Menschenrechte der Genossen unterwegs. Versucht Kollegen zu helfen, die
bedroht werden, besucht Leute im Gefängnis und steht im ständigen Kontakt
zu Anwälten und der Staatsanwaltschaft. "Meine Arbeit ist es, national und
international auf die Verfolgung von Gewerkschaftern in Kolumbien
aufmerksam zu machen. Das ist nicht überall gern gesehen", sagt Tovar, der
mit seinen knapp zwei Metern Größe in Kolumbien als Riese durchgeht
Eine freundliche Umschreibung der Verhältnisse, denn Gewerkschafter in
Kolumbien leben brandgefährlich. Seit 1991 wurden laut einem Bericht von
amnesty international 2.245 ermordet, 3.400 erhielten Attentatsdrohungen
und 138 Gewerkschaftsmitglieder verschwanden spurlos. 77 der 2006 weltweit
115 ermordeten Gewerkschafter waren kolumbianischer Nationalität. Fakten,
die Tovar im Schlaf herunterbeten kann. Mindestens sechzig Prozent der
Toten gehen, so Tovar, auf das Konto der Paramilitärs und der staatlichen
Sicherheitsorgane.
Das bestätigt auch Gustavo Gallón Giraldo. "Über 97 Prozent der Verbrechen
gegen die Menschlichkeit werden in Kolumbien nicht aufgeklärt", so der
Direktor der renommierten kolumbianischen Juristenkommission. "Es fehlt am
politischen Willen, diese Menschenrechtsverbrechen aufzuklären, weil in
vielen Fällen Staatsbedienstete beteiligt sind oder mit den
paramilitärischen Gruppen sympathisieren." Für die direkte Kooperation
zwischen Paramilitärs und Politikern tauchten in den letzten Monaten
reichlich Beweise auf. Doch auch eine Zusammenarbeit zwischen Paramilitärs
und internationalen Firmen ist nicht ganz unwahrscheinlich.
So hat sich der Bananenmulti Chiquita im März 2007 dazu bekannt, die
Paramilitärs finanziell unterstützt zu haben, und mehrere Gewerkschaften
aus Kolumbien haben in den USA Klagen angestrengt, weil sie US-Unternehmen
Anstiftung zum Mord vorwerfen. Außer gegen US-Konzerne lief auch eine Klage
gegen den Schweizer Lebensmittelmulti Nestlé.
Doch alle Klagen scheiterten, wofür Terry Collinsworth vom International
Labor Rights Fund das Klima der Angst in Kolumbien verantwortlich macht.
"So hat die Witwe von Luciano Romero eine Aussage gegen Nestlé
zurückgezogen, weil sie nicht zur Märtyrerin werden wollte", erklärt der
Anwalt. Luciano Romero, ein ehemaliger Nestlé-Arbeiter, wurde im September
2005 gefoltert und mit über 40 Messerstichen förmlich abgeschlachtet.
"Zuvor hatte die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer
Staaten (OAS) die Regierung in Bogotá aufgefordert, Maßnahmen zu seinem
Schutz zu treffen", klagt sein ehemaliger Arbeitskollege Oscar Tascón
Abadia.
Bei Betrieben, deren Muttergesellschaft im Ausland sitzt oder die das Gros
der Produktion ohnehin exportieren, sind die Chancen auf eine Veränderung
dennoch etwas besser.
Das bestätigt Freddy Lozano von der Bergbaugewerkschaft Sintracarbón. Die
vertritt 3.000 der 4.500 Arbeiter von El Cerrejón, der größten Kohlenmine
der Welt, und kämpft für höhere Löhne und eine bessere
Gesundheitsversorgung. "Die Verhandlungen mit den Besitzern, drei
internationalen Bergbaukonzernen, laufen", so der 46-jährige
Gewerkschaftssekretär.
Lozano war Ende letzten Jahres auf Europatour und sprach nicht nur mit
Vertretern der Eigner, darunter der Schweizer Konzern Xstrata, sondern auch
mit Menschenrechtsorganisationen über die Situation der Gewerkschaften.
Öffentlichkeitsarbeit im ureigenen Interesse, denn auch Lozano ist genauso
wie Tovar von Paramilitärs bedroht worden. Alltag für
Gewerkschaftsfunktionäre in Kolumbien. Ob die Initiative von Human Rights
Watch daran etwas ändern wird, muss sich noch zeigen.
4 Feb 2008
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Kolumbien
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