| # taz.de -- Anderson-Film "There Will Be Blood": Blut und Öl im Wilden Westen | |
| > Paul Thomas Andersons "There Will Be Blood" zeigt ein böses Märchen vom | |
| > Aufstieg und Fall eines Ölbarons und das Ende des alten amerikanischen | |
| > Westens. | |
| Bild: Plainview (Daniel Day-Lewis) opfert viel für Geld und Macht. | |
| Die Erde gibt nichts, ohne sich dafür etwas zu nehmen. An einem sonnigen | |
| Tag des Jahres 1898 findet Daniel Plainview in einer einsamen, | |
| improvisierten Mine Silber; doch zuvor stürzt er von einer Leiter, tief in | |
| den Schacht hinein. Er liegt auf dem Boden und wimmert, als hätte seine | |
| letzte Stunde geschlagen. Weil wenig Licht auf ihn fällt, sieht man ihn nur | |
| schemenhaft. Vermutlich hat er sich ein Bein gebrochen; rühren kann er sich | |
| kaum. Trotzdem scharrt er ein Silberstück frei. Als er es in den Händen | |
| hält, vergisst er den Schmerz. | |
| 13 Jahre vergehen. Vom Silber ist Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis) auf | |
| Öl umgestiegen. In der Gegend rund um das kalifornische Frontier-Städtchen | |
| Little Boston vermutet er große Vorkommen; er hat einen Bohrturm errichtet. | |
| Eines Tages tritt Gas aus dem Bohrloch. Plainviews Ziehsohn H.W. (Dillon | |
| Freasier) wird von der Wucht durch die Luft geschleudert. Als er wieder zu | |
| sich kommt, wimmert er: "Ich kann meine Stimme nicht hören." H.W., | |
| vielleicht elf Jahre alt, hat sein Gehör verloren. Ein paar Einstellungen | |
| später erfasst eine wuchtige Totale Plainview im Vordergrund, im | |
| Hintergrund, in sicherer Distanz, die Unglücksstelle. Wo eben noch Gas | |
| austrat, sprudelt jetzt das Öl in einer so mächtigen Fontäne, dass der | |
| Himmel von der sprühenden Flüssigkeit schwarz verschleiert ist. Plainview | |
| jubelt: "Hier drunter liegt ein ganzer Ozean aus Öl!" | |
| Alle Reichtümer, die Daniel Plainview in Paul Thomas Andersons | |
| Wettbewerbsbeitrag "There Will Be Blood" anhäuft, hat er der Erde teuer | |
| abgerungen. So wie im Märchen Helden ihren Schatten oder ihre Seele | |
| hergeben für Geld, Gut und Macht, so opfert Plainview das Gehör des | |
| Ziehsohns und das eigene Bein - ganz zu schweigen von den Arbeitern, die im | |
| Laufe des Filmes auf dem Boden eines Schachts ihr Leben lassen. | |
| Vor allem zahlt Plainview für die Unmengen von Öl, die er erschließt, mit | |
| einem kalten Herzen. Die Gier nach Gütern lässt die Gefühle ausglühen, und | |
| wo keine Gefühle sind, da sind auch die Verhältnisse zwischen den Menschen | |
| kalt. Das Märchen hat sich immer wieder und fast obsessiv damit befasst, | |
| wie der Hunger nach Materiellem oder die reine Not die Fähigkeit zu Liebe | |
| und Empathie ausstreichen; deshalb kennt es so viele böse Stiefmütter, | |
| garstige Halbschwestern, hartherzige Mütter und schwache Väter. | |
| So ähnlich ist es auch in "There Will Be Blood". Die Blutsbande sind | |
| aufgelöst, die Wahlverwandtschaften stiften wenig Zusammenhalt und noch | |
| weniger Glück. H.W., der Ziehsohn, wird zwar im Glauben belassen, der | |
| leibliche Sohn zu sein. Doch geliebt wird er nicht. "Du bist nicht mein | |
| Sohn", fährt Plainview ihn gegen Ende des Filmes an. Wieder und wieder | |
| schreit er: "Du bist ein Bastard." Zu sich genommen hat er ihn nur, weil | |
| das Gesicht des Kindes die Landbesitzer so rührte, dass sie sich leichter | |
| zum Verkauf ihrer Grundstücke überreden ließen. | |
| Einmal taucht ein Mann auf, der sich als Halbbruder Plainviews ausgibt; | |
| Plainview findet rasch heraus, dass der Mann lügt, und lässt ihn für die | |
| Lügen teuer zahlen. Das Öl, diese schwarze, zähe Flüssigkeit, hat in | |
| Andersons Film einen engen Verwandten: das dunkelrote Blut, das aus den | |
| toten Körpern fließt und um sie herum dann große Lachen bildet. | |
| "There Will Be Blood" ist inspiriert von Upton Sinclairs Roman "Oil!" aus | |
| dem Jahre 1927. Gedreht hat Anderson in Texas auf dem Gebiet, auf dem 1956 | |
| George Stevens Öl-Epos "Giant" entstand. Für die Gewalt der Erdkräfte, die | |
| Physis der Landschaft und die markante Körperlichkeit der Akteure beweist | |
| er viel Gespür. Der erwartbaren Dramaturgie von Aufstieg und Fall aber | |
| verweigert sich Anderson, beziehungsweise: Ihn interessiert daran fast | |
| ausschließlich der zweite Part. Plainview, der Ölbaron, liegt schon in den | |
| ersten Szenen und später immer wieder auf dem Boden, im Dreck - weil er | |
| schläft, weil er säuft, sich prügelt oder stürzt. | |
| Seine Reichtümer mögen größer werden, die Kleidung eleganter, am Ende | |
| streift die Kamera sogar durch die Zimmerfluchten eines Herrenhauses. Doch | |
| sonst bleibt alles kalt, karg und knapp wie in der allerersten Einstellung, | |
| die zum unheimlichen, insektenhaft-sirrenden Soundscape des | |
| Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood eine öde Hügellandschaft zeigt. | |
| Dazu passt, dass Plainviews Antagonist, der Laienprediger Eli Sunday (Paul | |
| Dano), alles andere als ein positiver Held ist; auf den Ölboom reagiert er | |
| mit evangelikalem Furor. Doch ist sein Glaube längst nicht stark genug, als | |
| dass er nicht zum Heuchler würde. "There Will Be Blood", dieser wuchtige | |
| Film, lässt keinen Zweifel: Der Einbruch des Kapitalismus wird das | |
| Frontier-Städtchen Little Boston, wird das kalifornische Hinterland auf | |
| immer verändern. Und der amerikanische Westen wird nie wieder sein, was er | |
| war. | |
| 8 Feb 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
| Cristina Nord | |
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| Spielfilm | |
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