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# taz.de -- Das Comeback des Western: Ein wüstes Land
> Ort der großen Mythen Nordamerikas: Der US-Westen erlebt im Kino des 21.
> Jahrhunderts eine Renaissance. Doch was ihn einst groß machte, scheint
> jetzt entwertet.
Bild: Mythenmaler am Werk.
Nur einen kurzen Blick gönnt der Regisseur Paul Thomas Anderson dem
Zuschauer auf eine Hügelkette, bevor die Reise ins Innere dieser trockenen
Erde geht. Dorthin, wo nicht nur Öl, sondern vielleicht auch ein paar
dunkle Wahrheiten über dieses Land zu finden sind, das Daniel Plainview,
der Held von "There Will Be Blood", mit der Spitzhacke bearbeitet. Es wird
Blut geben - aber wann?
Spätestens in "No Country for Old Men", der jüngsten Arbeit von Joel und
Ethan Coen. Nur einmal, zu Beginn, zitiert der Film die Schönheit
klassischer Westernkulissen. Wie ein Scherenschnitt zeichnen sich die Berge
vor dem Nachthimmel ab, bis die Sonne langsam aufgeht und sie zum Glimmen
bringt. Jetzt erkennt man mehr: Stromkabel hangeln sich von Holzmast zu
Holzmast, ein altes Stück Stacheldraht erzählt vom Unfrieden, der dieses
Gebiet schon in früheren Jahrhunderten heimgesucht hat - vom Ende des
weiten Landes, seiner Aufteilung, Abschnürung und Umwandlung in Besitz.
Der Westen von Texas, die Wüsten Arizonas und New Mexicos - sie finden
zurzeit auffällig oft den Weg auf die Leinwand. Karge, konturlose Ebenen,
in denen Geröll herumliegt, verstreut in seinen diversen Zerfallsstadien.
Hier gedeihen, niedrig und unauffällig, Yucca, Schachtelhalm, Salbeibusch.
Sie sind die gleichmütigen unter den Gewächsen. Am Anfang von "The Three
Burials of Melquiades Estrada" von Tommy Lee Jones schwenkt die Kamera
langsam über diese Landschaft und tastet sie auf ihre Möglichkeiten ab, auf
ihre Versprechen und Gefahren.
Im nationalen Selbstverständnis der USA nimmt der Westen seit jeher eine
tragende Rolle ein, das Westerngenre hat ihn ausgiebig gefeiert. Hier
entstanden die großen Mythen Nordamerikas, er ist das Grenzland der
ständigen Erneuerung, "the frontier". Seine erhabenen Szenerien, die weiten
Himmel über den Rocky Mountains, die ozeangleichen Ebenen der Great Plains
oder das Monument Valley des John Ford - das war der Naturzirkus, der der
großen Saga von der Zähmung der Wildnis einst einen so grandiosen
Schauplatz gab.
Der Westen der USA ist im Kino des 21. Jahrhunderts angekommen, und alles,
was ihn einmal groß machte, scheint entwertet, allen Sinns beraubt. Die
Wüsten des neuen amerikanischen Kinos eignen sich zu vielem, aber bestimmt
nicht zur Erfahrung von Transzendenz. Jenseits der Stadt beginnt "das
Hinterland", ein unbestimmtes Gebiet, von dem keiner genau weiß, was dort
vor sich geht, im Zweifel ist es ein Massaker. Diese Landschaft hat nichts
Versöhnliches. Sie verspricht keinen Trost. Sie hat keine Kraft mehr. Man
meint dauernd, dass in dieser seltsam öden Welt irgendetwas fehlt.
In "There Will Be Blood" findet Daniel Plainview (Daniel Day Lewis) unter
dieser Wüste Öl und bringt es, glänzend und schwarz, ans Tageslicht. Man
muss das Öl, das Blut und fünf Jahre Irakkrieg nicht erst auf einen Nenner
bringen, um zu ahnen: Die Folgen des Krieges fressen sich tief in Amerikas
Seelenlandschaft ein. Es ist bemerkenswert, wie der Westen der USA im Kino
erneut für die Befindlichkeit der Nation steht, wie das Kino ihn umwertet,
wie die Landschaften von Wunden erzählen, die die Gewalt geschlagen, von
Narben, die sie hinterlassen hat. Ausdrücklich um den Irakkrieg und seine
Folgen geht es in Paul Haggis "In the Valley of Elah", angesiedelt in der
Stadtlandschaft von Albuquerque, New Mexico. Nirgendwo drängt sich stärker
ins Bewusstsein, wie schmal der Grat zwischen Zivilisation und Barbarei
ist, als in diesem Film, in dem die psychischen Verwerfungen, die der
Kriegseinsatz hervorbringt, mit den Soldaten zurück auf amerikanisches
Territorium gelangen. Hier wird die Stadt selbst zur Wüste. Das
Gravitationszentrum des Films ist ein Armeestützpunkt, ringsum gruppieren
sich Strip Clubs, ein Chicken Shack, ein Waffengeschäft. Dort, wo die
zerstückelte Leiche des Sohnes von Hank Deerfield (Tommy Lee Jones)
gefunden wird, bricht die Straße ab wie eine amputierte Gliedmaße. Jeder
Ausweg aus der Verstörung scheint abgeschnitten, die Beklemmung sitzt in
den Figuren fest und lässt sich nicht mehr lösen.
Kirchen, Schulen, Eisenbahn: In John Fords "The Man Who Shot Liberty
Valance" von 1962 etwa wird deutlich, wie solche Institutionen dem
Überschuss an Gewalt begegneten, indem sie ihm das Versprechen auf den Sieg
einer funktionierenden Zivilgesellschaft entgegensetzten. Die Institutionen
bringen inzwischen jedoch ihre eigenen, desolaten Auswüchse hervor. In
Haggis Film wohnt die Hoffnung allein noch im biblischen Gleichnis vom
Kampf David gegen Goliath. Immer wieder sind es die Söhne, die den Kampf
der Väter weiterkämpfen. Schon in James Mangolds "3:10 to Yuma" oder in
"There Will Be Blood" hat der Aufbau des modernen Amerika deutliche
Schattenseiten. "Valley of Elah" geht noch weiter: Hier sind die Söhne
Gefallene, auch wenn sie den Krieg überleben. Viel zu viel Blut ist schon
geflossen. Eine Nation, die ihre Söhne opfert, sagt dieser Film, hat keine
Zukunft.
Das Grimmige, das Menschenfeindliche sind seit jeher Teil des
amerikanischen Westens, vor allem des Südwestens. Gerade das Abweisende
machte immer auch die Faszination dieser Gegend aus und verlieh den Taten
der Akteure Größe. Die Trockenheit, die Strenge des Landes sind ein
archetypischer Western-Topos, wie ihn etwa "3:10 to Yuma" oder "There Will
Be Blood" ausbuchstabieren. Wenn das Land gar nichts mehr hergeben will,
helfen Ölpfützen oder Himmelfahrtskommandos. Doch die mythischen
Landschaften finden heute nur noch in tristem Zustand den Weg auf die
Leinwand. Während in Delmer Daves Erstverfilmung von "3:10 to Yuma" (1957)
die Reiter noch durch majestätische Saguaro-Kakteen galoppierten, liegt
über der Neuverfilmung Kahlheit und winterliche Kälte.
Mag hier auch Wüste sein, die Verwüstungen, die mit ihrer Hilfe erzählt
werden, sind dem kargsten Land nicht inhärent. Wurde dessen Magie früher
von Hollywood hervorgekehrt, scheint sie nun verflogen oder verschüttet.
Die dörfliche Gesellschaft in "The Three Burials of Melquiades Estrada"
rotiert um Sinnleere und Langeweile, die Menschen leben mit Fernseher und
Mikrowelle in Mobile Homes, die doch immer auf derselben Stelle stehen
bleiben. Wer schlau ist, nimmt sich den Staub zum Vorbild und bleibt nicht
lange an einem Ort. Bewegung kommt in die Figuren erst mit dem Losreiten
aus der Stadt, dem Abschied von der Zivilisation. Seine moralische Kraft
gewinnt der Film, als die Seelen sich für das Eingeständnis von Schuld und
für das Streben nach Vergebung öffnen.
Hier, im Grenzland zu Mexiko, in dieser Terra incognita, gewinnt der
amerikanische Westen doch noch einmal etwas von alter Größe zurück, erhält
er etwas von seiner reinigenden Kraft. Hier bildet die Landschaft noch
einmal einen Resonanzkörper, der bis in die Filmmusik nachklingt, die sich
der Landschaft und ihrer Tradition verschreibt, etwas von ihrer
durchdringenden, den indianischen Wurzeln geschuldeten Spiritualität
aufspürt, sogar nach Technik der Ureinwohner auf Nadeln von Kakteen Töne
erzeugt. Ganz anders die flirrende, verstörende Musik in "There Will Be
Blood", die keine Gnade verkünden kann, so sehr sie auch danach sucht.
Und Kalifornien? Ist das nicht erst der wirkliche Westen, jener Staat, in
dem das raue Brachland Richtung Pazifik endlich golden wird? Doch auch hier
sind die alten Panoramen überbaut, ist die Landschaft zerschnitten. "Down
in the Valley" von David Jacobson und "King of California" von Mike Cahill,
beide aus dem Jahr 2007, bilden den alten und neuen Westen auf ebenso
sinnfällige wie tragikomische Weise aufeinander ab. Die Sehnsucht nach
Authentizität und Freiheit steht bei beiden gegen einen Dschungel aus
verstopften Highways, Vorstadtsiedlungen und Einkaufszentren. "I dont wanna
die in a place like this", sagt der aus der Zeit gefallene Harlan Fairfax
Curruthers (Edward Norton) einmal in "Down in the Valley". Ein Echo findet
er in Melquiades (Julio César Cedillo) in "The Three Burials of Melquiades
Estrada". Der wünscht sich ein Grab in Mexiko, auf der anderen Seite der
Grenze: "I dont want to be buried on this side among all those fucking
billboards."
Die Menschen zwischen den Werbetafeln wissen oft nicht mehr, wer sie sind
oder wo sie hingehören. Die Orientierung ist ihnen abhandengekommen und mit
ihr die Zukunft. Der neue, wüste Westen im amerikanischen Kino spiegelt
Entstellungen wider, die das Land bis auf weiteres zeichnen und sich bis
ins Innerste seiner Bewohner graben. Die Fenster der Häuser erlauben
manchmal noch den Blick nach draußen auf eine Landschaft, die eingerahmt
und ausgestellt ist wie ein Artefakt in einem Museum. Der knorrige Baum
darin ist selbst ein Überlebender aus einer anderen Ära.
3 Apr 2008
## AUTOREN
Hannes Klug
## TAGS
Kent Haruf
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