# taz.de -- Erykah Badus Funk-Album: Verkiffter Wahnsinn | |
> Es ist nicht alles Obama: Neo-Soul-Queen Erykah Badu präsentiert in ihrem | |
> neuen Funk-Album "New Amerykah" ein unversöhntes Afroamerika. | |
Bild: Irr und wirr und unfertig - das neue Album von Erykah Badu. | |
Funk kommt von unfertig. Er ist große amerikanische Kunst - die man sich | |
vorstellen kann wie die Arbeit an der Pyramide auf der Rückseite einer | |
jeden Ein-Dollar-Note. Die Arbeit an der Vollendung ist das, was zählt. Nun | |
schwebt über dieser Pyramide ja das aus allerlei Verschwörungstheorien | |
bekannte Auge. Tatsächlich lässt sich "New Amerykah", das neue Album von | |
Erykah Badu, ihr erstes seit dreieinhalb Jahren, am besten über dieses Bild | |
verstehen. Es ist irr und wirr, es ist so unfertig, dass man über all die | |
Fäden und losen Enden geradezu stolpert, die es überall in der Gegend | |
herumliegen lässt. Und genau das macht seine Größe aus. | |
Als Königin des Neo-Soul-Sound betrat Erykah Badu vor gut zehn Jahren die | |
Bildfläche, als eine Wiedergängerin von Billie Holiday wurde sie wegen | |
ihrer Art der Phrasierung damals gehandelt. Davon ist wenig übrig | |
geblieben. Mit der Schönheit, die man bis heute aus dem Soul der Sechziger | |
und Siebziger schlagen kann, mag Amy Winehouse ihre Grammys gewonnen haben. | |
Doch so reich die Referenzen sind, die "New Amerykah" aufruft, vom Reverend | |
Jesse Jackson bis zu den Zitaten aus Badus eigenem Schaffen: Diese Platte | |
badet im Unbewussten des schwarzen Amerika, in der brodelnden Ursuppe des | |
Funk. Und das mag auch ein Genre sein, vor allem aber ist der Funk Methode. | |
Mit dem Produzenten Madlib, Sa-Ra und 7th Wonder hat Badu sich die | |
prominentesten Hiphop-Avantgardisten ins Boot geholt, daneben lässt sie den | |
Trompeter Roy Hargroves ab und an auch etwas Jazz tröten. Diese | |
verschiedenen Ansätze lässt Badu nebeneinander laufen, manchmal versenkt | |
sie sogar ihre eigene Stimme unter der Oberfläche des Soundgebrodels, um | |
jenen verstörenden Effekt zu erzielen, um den es ihr geht: Die Platte | |
handelt von institutionellem Rassismus der USA, Drogenabhängigkeit, Tod und | |
Verderben. | |
Tatsächlich hält Badu ihren Körper hin (auf dem Cover lässt sie die | |
Probleme buchstäblich aus ihrem Afro herauswachsen), um das Inkommensurable | |
des schwarzen Amerika zu präsentieren. Das, was sich auch durch Obama nicht | |
vertreten fühlt, in ihm nicht den Brother sieht, der er gern wäre und als | |
den die ganze Welt ihn unbedingt sehen möchte. Diese Platte sagt: Das ist | |
alles Blödsinn. So sehr Blödsinn, dass es nicht einmal mehr begründet | |
werden muss. Es gibt keine Versöhnung. | |
Etwa in dem Stück "Soldier". Erst ist es ein normaler Song über das Leben | |
eines jungen, aufstrebenden Gettobewohners, der eifrig zur Schule geht und | |
wohl seinen Weg in die Gesellschaft finden wird. Dann taucht plötzlich | |
jemand mit einer Pistole auf - und auf einmal kollabiert der Song. Badu | |
singt "everybody knows what the songs about", was natürlich nicht stimmt, | |
um dann von medikamentenabhängigen Mädchen über die Soldaten im Irak bis zu | |
den Abgeordneten des Kongress alle möglichen Leute aufzuzählen, die nach | |
den Anschlägen von 9/11 in der Zeitung der Nation of Islam die Wahrheit | |
hätten lesen können. Und sie, Erykah Badu, gehe nun mit einer Armee von | |
Kriegern, die in den Fluten von New Orleans getauft worden seien, voran, um | |
all das zu ändern. Wow. | |
Ob es sich um strategische oder echte Verwirrung handelt, wer weiß das | |
schon genau? Man muss auch nicht mitmarschieren, zumal es kein Zurück gibt, | |
Badu mag nämlich keine Deserteure ("If you think about turning back / I got | |
a shot gun on ya back"). Braucht man als weißer Europäer ja auch nicht. | |
Doch in ihrer Kompromisslosigkeit wie in ihrem verkifften Wahnsinn ist dies | |
eine wichtige Platte. Es ist nicht alles Obama. TOBIAS RAPP | |
29 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Tobias Rapp | |
## TAGS | |
Soul | |
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