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# taz.de -- Erykah Badu: Die Straße tanzt nicht
> Mit ihrem neuen Album bestätigt Erykah Badu ihre Ausnahmestellung im Soul
> - und ist vielleicht ein bisschen zu slick. Man sehnt sich nach der
> unwiederbringlichen Motown-Hit-Hegemonie.
Bild: Badus neues Album: Ziseliertes Cover.
Unmöglich, sie nicht zu mögen. Ach was, sie zu bewundern, zu verehren, zu
vergöttern. [1][Mit ihr zu twittern.] Wer an die heilende und beglückende
Kraft der Soulmusik glaubt, der kommt an Erykah Badu nicht vorbei. Wie
keine andere afroamerikanische Musikerin des 21. Jahrhunderts verkörpert
die Texanerin Triumph und Dilemma jener amerikanischen Musik, die wir Weiße
gemeinhin als schwarze bezeichnen.
1971 kommt sie als Erica Abi Wright zur Welt, es ist das Jahr von "Whats
going on" und "Theres a riot goin on". Wenn Platten Kinder zeugen könnten,
wären diese auf unheimliche Art miteinander korrespondierenden Alben von
Marvin Gaye und Sly & The Family Stone die Eltern von Erykah Badu.
Meilensteine des politisch welthaltigen Autoren-Soul & Funk, geprägt und
durchdrungen von den enttäuschten wie den erfüllten Hoffnungen der
Sechzigerjahre. Malcolm X erschossen, Martin Luther King erschossen, die
Ideale der Bürgerrechtsbewegung zerrieben zwischen Saigon und dem Inner
City Blues daheim.
Wie viele Protagonisten des Inner City Blues wächst Erica vaterlos auf.
Papa ist ein rollender Stein, die Mutter ist Schauspielerin. Bald schlüpft
Erica in ihre Lebensrolle. Wie viele AfroamerikanerInnen aus der
Black-Power-Generation legt sie ihren Sklavennamen ab und sucht sich einen
eigenen mit Sound und Sinn. Er-ykah statt Er-ica, und Badu, das klingt.
Shoo-Ba-Duu-Ba-Duu? Mit dem Namen weist sich der Teenager selbst den Weg in
die Zukunft. Sie wird Sängerin werden. Sie wird das Erbe ihrer
musikalischen Eltern in ein neues Zeitalter tragen. Sie wird das "Whats
going on" und das "Theres a riot goin on" fürs 21. Jahrhundert machen.
Wer, wenn nicht Erykah Badu? Darauf warten wir nun schon seit mehr als zehn
Jahren. Und bewundern die schöne schwarze Frau mit dem sicheren Gespür für
historisch aufgeladenen schwarzen Stil. Wir bewundern ihr Spiel auf der
Klaviatur der afrikanisch-amerikanischen Ikonografie: schwarzer Stolz,
schwarzer Widerstand, schwarze Sexualitität. Mal Glatze wie Isaac Hayes auf
"Hot Buttered Soul", mal Afro wie Pam Grier in "Foxy Brown", mal Turban wie
Nina Simone. Mal afrodelische Wickeltücher, mal Public-Enemy-Shirt, mal
Abendrobe. Erykah Badu ist die Style Queen. Die Diva. Die Hohepriesterin
des Soul.
Ohne diese Titel kommt keine Badu-Eloge aus. Das Problem an den meist von
weißen Autoren gesungenen Lobliedern ist, dass sie die Badu als
Galionsfigur einer besseren schwarzen Vergangenheit gegen ein schlechteres
schwarzes Jetzt in Stellung bringen. "Die wahrscheinlich letzte
Hohepriesterin des Soul" sei Badu, schreibt Tobias Rapp im Spiegel. Und
weist ihr eine herkulische Aufgabe zu: zusammenhalten, was
auseinanderfällt. Hier die schwarze Mittelschicht der Suburbs, dort die
schwarze Unterschicht, gefangen im Inner City Blues, der heute Ellbogen &
Revolver-HipHop heißt. Letzte Hohepriesterin. Klingt gut.
Aber stimmt das? Oder spricht hier der (weiße) Wunsch nach legitimierten
und verehrungswürdigen SprecherInnen eines besseren schwarzen Amerika. Die
Sehnsucht nach der "Miss Black America", die Curtis Mayfield 1970 besingt?
Auch das neue Album ist wieder so ein wahnsinnig kenntnisreicher,
bildungskanonischer, bestechender Leistungsnachweis einer
Ausnahmekünstlerin.
Bleibt die Frage: Erreicht Erykah Badu mit ihrem abgehangen-slicken,
erinnerungsgesättigten Sound tatsächlich die realen, mentalen und
imaginären Inner Cities? Oder ist das doch der nach Nobilitierung strebende
Soundtrack zum Black History Month, zur gepflegten Erinnerungs- und
Selbstermutigungsarbeit unter Afroamerikanern, die es halbwegs geschafft
haben?
Badu lässt uns baden in ihrer warmen Vielstimmigkeit, in einem
Jazz-Funk-Groove, der organisch genannt wird, in Abgrenzung zum hektischen
Geklöppel des Massen-R&B. Alles fein. Aber bin ich der Einzige, der sich
sehnt nach dem bezwingend suggestiven "Lollipop"-Hook eines delinquenten
Lil Wayne, nach dem industriell gefertigten Überwältigungsglamour einer
Beyoncé? Danach, dass Erykah Badu endlich einen Hit hat, der aus jedem Auto
dröhnt?
Diese Sehnsucht hat nichts mit der rassistischen Erwartungshaltung
negrophiler Europäer zu tun, die ihre Schwarzen nur lieben, wenn sie voll
street sind. Es handelt sich eher um die Sehnsucht nach dem welteinenden,
universalistischen Hit, nach einem "Dancing in the street", nach einem "I
heard it through the grapevine", nach der unwiederbringlichen
Motown-Hit-Hegemonie.
Ein naiver Wunsch, klar. So naiv wie die Hoffnung, Erykah Badu möge
zusammenhalten, was unwiderruflich auseinanderstrebt. Ach ja, von wegen
street: In ihrem neuen Video läuft sie über genau jene Straßen von Dallas,
die John F. Kennedy 1963 passierte, bevor er erschossen wurde. Im Laufen
legt sie nach und nach ihre Kleider ab. Als sie nackt ist, wird sie
erschossen. An der JFK-Stelle. Miss Black President?
13 Apr 2010
## LINKS
[1] http://twitter.com/fatbellybella
## AUTOREN
Klaus Walter
## TAGS
Soul
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