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# taz.de -- Studie zu unterbezahlten Frauen: 22 Prozent mehr für den Schlips
> Berufstätige Frauen werden europaweit schlechter bezahlt als ihre
> männlichen Kollegen. Der "Equal Pay Day" soll jetzt die Regierung unter
> Druck setzen, um das zu ändern.
Bild: Wenig überraschend: Krawatten tragen lohnt sich.
Eigentlich wissen es alle. 68 Prozent der deutschen Bevölkerung - Männer
wie Frauen - geben an, dass Frauen in Deutschland schlechter verdienen als
ihre gleich qualifizierten Kollegen mit dem Schlips. Das ergab eine gestern
vom Familienministerium veröffentlichte Befragung. Der Eindruck stimmt:
Vollzeit arbeitende Frauen haben in Deutschland im Schnitt 22 Prozent
weniger in der Lohntüte. Damit liegen wir europaweit ganz hinten, die
EU-Durchschnittslücke beträgt nur 15 Prozent. Alle wollen handeln: Die
Europäische Kommission mahnt, und auch 90 Prozent der Befragten in
Familienministerin von der Leyens Studie möchten, dass sich etwas ändert.
Doch außer einem hübschen Päckchen Problembewusstsein ist der Regierung
bisher wenig eingefallen.
Deshalb rufen der Frauenrat als Dachorganisation der deutschen
Frauenverbände und das weltweite Netzwerk "Business and Professional Women"
(BPW) heute den "Equal Pay Day" aus, ein symbolisches Datum, bis zu dem
Frauen arbeiten müssen, um den Verdienst der Männer aus dem vergangenen
Jahr zu erreichen. Rechnerisch wäre dieser Tag Ende März fällig, wegen der
Osterferien hat man ihn auf den 15. April verschoben. "Im Schnitt verdienen
Frauen 647 Euro weniger pro Monat", so Bettina Schleicher vom BPW gestern
in Berlin.
WissenschaftlerInnen verweisen meist auf ein "Bündel" von Ursachen für die
Gehaltslücke: So sind Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, häufig
schlecht bezahlt. Dazu zählen etwa Sozial- und Pflegeberufe. Zudem ist fast
die Hälfte aller berufstätigen Frauen in Teilzeit beschäftigt, was der
Karriere und der Lohnhöhe nicht förderlich ist. Frauen leisten weniger
Überstunden und unterbrechen ihre Laufbahn häufiger für die Kinderphase.
Der wichtigste Grund: Sie klettern in den Hierarchien nicht sehr hoch. Nur
ein Zehntel der Chefs sind Frauen.
Oft sind nicht "die Männer" oder "die Unternehmen" schuld an der
Diskriminierung. Die Berufswahl, die Teilzeitjobs und die Unterbrechungen
werden ja von Frauen selbst so geplant. Doch fallen diese Entscheidungen
innerhalb von Strukturen, die ihnen wenig Alternativen lassen. Wenn der
Staat keine Kitaplätze zur Verfügung stellt, brauchen sie mehr Zeit für die
Kinder. Alte Rollenbilder lassen sie gar nicht erst auf die Idee kommen,
Physik oder Informatik zu studieren. Das Steuerrecht mit Ehegattensplitting
und der ungünstigen Steuerklasse V für berufstätige Ehefrauen lässt ihren
Job wenig lukrativ erscheinen. Und auch, dass der Gesellschaft die sozialen
Berufe generell weniger wert sind als die technischen, ist nicht die Schuld
der Frauen. Sie haben eine schlechtere Ausgangslage. Letztendlich ist unser
ganzes System noch auf die "Zuverdiener-Frau" ausgerichtet. Weshalb die
Forschung auch von struktureller Diskriminierung spricht.
Die strukturelle Benachteiligung sorgt dann für einen "sich selbst
verstärkenden Prozess", wie Experten vom Institut für Arbeitsmarkt und
Berufsforschung es nennen: Personalchefs nehmen an, dass alle Frauen
weniger Überstunden machen und ihre Tätigkeit häufiger unterbrechen, ohne
dies bei jeder einzelnen Frau zu überprüfen - und befördern sie deshalb
generell weniger. Die viel zitierte Glasdecke entsteht. Frauen ihrerseits
erleben, dass sie weniger gefördert werden, und steigen deshalb eher aus
dem Beruf in Richtung Familie aus. Ein Teufelskreis.
Das Tückische an der Glasdecke: Sie ist nicht sichtbar. Niemand sagt: Nö,
die befördern wir nicht. Aber Manager rechnen einfach vom Stereotyp hoch
auf die Frau, die sie vor sich haben. Von Männern erwarten sie Einsatz, von
Frauen eben nicht.
Was nun? Auf allen Ebenen aktiv werden, empfahlen gestern die Business and
Professional Women. Dazu gehören auf der strukturellen Ebene nicht nur der
Ausbau der Kitas und die Veränderung des Steuerrechts. Das
Ehegattensplitting etwa sorgt dafür, dass wenig verdienende Frauen ihren
Ehegatten einen Steuerbonus bescheren. SPD und Grüne wollten es schon lange
abschaffen - ohne es zu tun. Von der Leyens Union dagegen hält am
Hausfrauenbonus fest. Dazu müsste auch die niedrige Bewertung typischer
Frauentätigkeiten in Tarifverträgen verändert werden. "Ist die Arbeit einer
Erzieherin wirklich weniger wert als die eines Tierpflegers?", fragte
Schleicher gestern rhetorisch.
Auch die Grünen wollen auf dieser Ebene ansetzen und fordern die
Bundesregierung in einem Antrag auf, im Tarifvertrag des Öffentlichen
Dienstes (TVöD) für eine gerechtere Bewertung von typischen
Frauentätigkeiten zu sorgen, wie es das EU-Recht schon lange fordert.
"Geradezu bizarr" sei es, dass die Regierung "kräftig die
Lohndiskriminierung geißelt, als könne sie gar nichts daran ändern",
moniert die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion,
Irmingard Schewe-Gerigk.
Aber auch individuell können Frauen etwas tun: die zeitliche Belastung
durch Kinder mit dem Partner gerecht teilen. Offensiv in
Gehaltsverhandlungen gehen. Und schließlich kann man die unsichtbare
gläserne Decke immer wieder sichtbar machen: darüber sprechen, Chefs
informieren. Oder mal den Equal Pay Day begehen.
15 Apr 2008
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Frauenquote
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