# taz.de -- Neue Platten mit Klaviermusik: Die Johann Sebastian Bach Experience | |
> Die neuen Platten von Pedal und NSI zeigen, was man mit dem Klavier so | |
> alles anstellen kann. Außerdem neu erschienen sind Interpretationen des | |
> Bach-Spätwerks von Pierre-Laurent Aimard. | |
Bild: Der Komponist Johann Sebastian Bach auf einem Ölgemälde von Elias Gottl… | |
Klang auf dem Weg zu sich selbst. Miniaturen, die oft nur eine Minute | |
dauern, ohne unfertig zu wirken. Für das Material ihres Debütalbums als | |
"Non Standard Institute" haben sich die Elektronik-Produzenten Max | |
Loderbauer und Tobias Freund Zeit gelassen. Denn alles, was das NSI | |
präsentiert, entsteht beim Improvisieren. Zum Einsatz kommen ausschließlich | |
Klavier und Effektgeräte, was man im Zeitalter der rechnergestützten | |
Musik-Erzeugung kaum glauben mag. Das macht die Ergebnisse umso | |
bestaunenswerter. | |
Oft hört man gar nicht, dass ein Klavier als Grundmaterial dient, so stark | |
hat Freund die Töne bearbeitet, die Loderbauer in Tastentestreihen | |
erzeugte. Nach Spielerei klingt das nicht, alles findet wie | |
selbstverständlich zueinander. Mal hallen düstere Akkorde wie von weit her, | |
mal flirren Melodien in seltsam schillernden Farben. | |
Ihre Studioerfahrung lassen die beiden Musiker dabei entspannt | |
durchblicken. Während sich ihre bisherigen Produktionen als NSI im Orbit | |
der Clubmusik bewegten, schlagen sie mit ihrem neuen Album eine Brücke | |
zwischen Electronica und zeitgenössischer Musik. Leicht, aber zugleich | |
durchdacht, schimmert bei NSI die Zukunft der elektroakustischen Musik auf. | |
Toll, was sich aus so einem Klavier alles herausholen lässt. | |
NSI: "Plays Non Standards" (Sähkö) | |
Ein Klavierduo, und das bei Staubgold? So ähnlich hat Markus Detmer, | |
Betreiber des vor allem für experimentelle Klänge bekannten | |
Elektronik-Labels, zunächst wohl auch gedacht. Doch Chris Abrahams und | |
Simon James Phillips brauchen keine anderen Hilfsmittel als ihre beiden | |
Instrumente, um sich Gehör zu verschaffen. | |
Chris Abrahams ist hier vor allem als Pianist des australischen Jazztrios | |
The Necks bekannt. Sein noch zu entdeckender Kollege Simon James Phillips | |
stammt ebenfalls aus Sydney. In ihren gemeinsamen Exkursionen fließen | |
mindestens 100 Jahre Klaviermusik zusammen: Der Reduktionismus eines Morton | |
Feldman, Terry Rileys repetitive Mantras oder die Sprödheit von Erik Satie | |
- all das versetzt mit Anklängen an Impressionismus und ein wenig Romantik. | |
Wem das zu wenig spektakulär vorkommt, wird von den beiden eines Besseren | |
belehrt. Unter ihren Fingern bekommen die Klangsprachen, die sie | |
inspirieren, etwas vollkommen Gegenwärtiges, das die Musik definitiv zu | |
ihrer Eigenen macht. Mit verhaltenem Anschlag malen sie ruhige, leicht | |
verwaschene Stimmungsbilder. Die beiden Flügel klingen dabei so weich, als | |
sei bei der Aufnahme ein Filter verwendet worden, was den nebligen | |
Charakter ihrer Improvisationen noch verstärkt. Das Wort "Schönheit" mag | |
ganz sicher nicht mehr die höchste Konjunktur haben, für die Musik von | |
Pedal kann man es aber guten Gewissens bemühen. | |
Pedal: "Pedal" (Staubgold) | |
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit schärft bekanntlich den Blick für | |
die Gegenwart. Beim französischen Pianisten Pierre-Laurent Aimard lässt | |
sich dagegen sagen, dass ihn die Auseinandersetzung mit der Musik der | |
Gegenwart für vergangene Epochen sensibilisiert hat. | |
Sein analytischer Ansatz, geschult an Komponisten des 20. Jahrhunderts wie | |
Olivier Messiaen oder György Ligeti entschlackt auf seiner Debütaufnahme | |
für die Deutsche Grammophon Bachs "Kunst der Fuge" von jeglicher | |
pianistischer Romantik. Aimard hat sich mit diesem Spätwerk gelinde gesagt | |
etwas vorgenommen. Bach führte gegen Ende seines Lebens all sein | |
kontrapunktisches Können zu einem Fugenkompendium von labyrinthischer | |
Komplexität zusammen. Viele Einspielungen für Klavier gibt es von diesem | |
theoretisch wie technisch einschüchternden Werk bisher nicht. | |
Vom ersten Ton an macht Aimard vor allem eines deutlich: den Notentext. Wer | |
wissen will, was Mehrstimmigkeit auf dem Klavier sein kann, wird reich | |
beschenkt. Trotz seiner nüchternen Spielweise in mittlerem Tempo arbeitet | |
er lyrische wie expressive Nuancen souverän heraus und schlägt Bögen, die | |
den Hörer wie in einer Kathedrale umherführen. | |
Johann Sebastian Bach: "Die Kunst der Fuge", Pierre-Laurent Aimard | |
(Deutsche Grammophon) | |
15 May 2008 | |
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