# taz.de -- Mülheimer Theatertage: Verlierer bevorzugt beleuchtet | |
> Die Komik der Kapitalismuskritik und die Musikalität der Sprache: Acht | |
> Inszenierungen neuer Theatertexte mit einem Hang zur Düsternis kamen zu | |
> den Mülheimer Theatertagen. | |
Bild: Dea Loher, für ihr Schauspiel «Das letzte Feuer» mit dem Mülheimer Dr… | |
Mit der Wucht einer antiken Tragödie lässt Dea Loher in ihrem neuesten | |
Theatertext "Das letzte Feuer" die großen Sinn- und Schicksalsfragen lodern | |
und bekommt dafür prompt den diesjährigen Mülheimer Dramatikerpreis | |
überreicht. Der Unfalltod des achtjährigen Edgar hinterlässt in ihrem Drama | |
eine Reihe schuldig-unschuldiger Hinterbliebener und ein Unmaß an Leid, | |
Krankheit und Trauer, das nur zu ertragen ist, weil es von Loher in eine | |
lyrisch verdichtete Sprache gehoben wird. Ihr mehrstimmiger Choral über das | |
Dasein des Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts kam in einer | |
Inszenierung des Thalia Theaters Hamburg nach Mülheim. | |
Lohers "wundtrauriger Totentanz", ihre "große Klarheit" und ihr | |
"wunderbarer Sprechrhythmus" ließ denn auch die fünfköpfige Jury ins | |
Schwärmen geraten, einstimmig votierten sie für ihr Drama. Zum sechsten Mal | |
in Mülheim nominiert und bereits 1998 mit dem Preis ausgezeichnet, gehört | |
Loher zur dramatischen Vorhut auf den deutschen Bühnen. Die Mülheimer | |
Theatertage sind bekannt dafür, jedes Jahr seismografisch die bedeutsamen | |
Entwicklungen der zeitgenössischen Dramatik zu bündeln. Während im letzten | |
Jahr die Preisvergabe an das Regiekollektiv Rimini Protokoll für | |
diskursiven Zündstoff sorgte, liefert das diesjährige Dramenangebot keine | |
konzeptuelle Speerspitze. Lässig und entspannt ist der Umgang mit | |
postdramatischen und dramatischen Stilmitteln, das Spektrum reicht vom | |
"Well made Play" bis zur bewährten Absage Polleschs an das | |
Repräsentationstheater - Hauptsache, dem Stoff ist es zuträglich. | |
Die "Vehemenz des Pessimismus" (so ein Jurymitglied) von Lohers Stücken ist | |
kaum zu überbieten, jedoch kann durchaus eine Tendenz zu düsteren Stücken | |
beobachtet werden - insbesondere in der Auseinandersetzung mit | |
gesellschaftskritischen Themen, den kleineren und größeren | |
Leidensgeschichten des globalen Kapitalismus und seinen Verlierern. | |
Erstaunlich tief gehende Bohrungen auf diesem Feld unternimmt der | |
dreißigjährige Österreicher Ewald Palmetshofer mit "hamlet ist tot. keine | |
schwerkraft". Seine Familienfarce durchwirkt eine beschädigte Sprache von | |
auf der Stelle tretenden Dialogbahnen und bleischweren Monologmassiven, | |
welche nach und nach die gewaltvollen Verstrickungen der Familienmitglieder | |
freilegt. Zugleich fließen theologische und philosophische Reflexionen in | |
den Text ein, mit denen Palmetshofer die Situation des schwerelos | |
kreiselnden Menschen "im globalen Rechnungswesen der Gegenwart" auf den | |
Punkt bringt. | |
Auch Fritz Kater fächert mit "Heaven (zu tristan)" ein facettenreiches | |
Soziogramm der Restbewohner einer verdorrenden Oststadt auf und zeigt die | |
Veränderungen unserer Lebenswelt unter globalisierten Bedingungen. Doch | |
seine randvoll mit historischen Assoziationen aufgeladenen Figuren konnten | |
die Jury nicht restlos überzeugen. Kapitalismuskritisch komisch wird es bei | |
dem ebenfalls 30-jährigen Philipp Löhle mit "Genannt Gospodin". Der | |
konsequente Versuch seines verschroben sympathischen Außenseiters Gospodin, | |
aus der Gesellschaft auszusteigen, gestaltet sich schwieriger als gedacht - | |
geschickt entfaltet Löhle eine multiperspektivische Versuchsanordnung, die | |
vielleicht ein wenig zu glatt durchdekliniert wird. | |
Von den bekannten Protagonisten führen René Pollesch und sein Team einmal | |
mehr ihre Analyse der Produktionsverhältnisse als radikale | |
Selbstbefragungen mit anarchischer Ausgelassenheit durch. In seinem | |
Festivalbeitrag "Liebe ist kälter als das Kapital" will eine Schauspielerin | |
sich nicht mehr in ihrer Filmrolle ohrfeigen lassen, und schon explodieren | |
die Fragen danach, wo "unser Leben" anfängt und wo "die Wirklichkeit". | |
Wurde Pollesch hier die Selbstbezüglichkeit seines Theaterthemas | |
vorgeworfen, so muss man ihm doch zugute halten, dass er unermüdlich einen | |
symbolischen Kampf um die Bilder und die Sprache führt, die uns bestimmen. | |
Auffällig in der zeitgenössischen Dramatik ist eine musikalische Dimension | |
der Sprache, die viele sinnliche Umsetzungen entstehen ließ. Theresia | |
Walser und Erstautorin Laura de Weck legten Musikalität und "Sprachsound" | |
anhand realer Situationen und Milieus frei. Doch genau dies kritisierte die | |
Jury. Walsers Zugstück "Morgen in Katar" bleibe in einer statisch | |
realistischen Grundsituation stecken, während de Wecks "Lieblingsmenschen" | |
eine Milieugenauigkeit behaupte, die es nicht einlöse. Breite Begeisterung | |
entfachte hingegen Felicia Zellers "Kaspar Häuser Meer" zum Thema | |
Kindesmisshandlung. Gekonnt lauscht Zeller hier den Menschen die | |
Alltagssprache ab, leitet sie durchs hauseigene Tonstudio und lässt sie | |
wie- der auf die Welt zurückprallen. Ihre hyperventilierende Tirade dreier | |
"Jugendamtssozialarbeiterinnen" belegt, dass man auch mit artifiziell | |
komponierten Textflächen den heutigen Menschen im Kern treffen kann. Nur | |
knapp rutschte sie damit am Dramatikerpreis vorbei, konnte aber immerhin | |
die Ehre des undotierten Publikumspreises einstreichen. | |
27 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Natalie Bloch | |
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Theater Bremen | |
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