# taz.de -- Investorenmacht gegen kreative Kiezbewohner: Der Kampf um die Stadt | |
> Ausgerechnet Grüne und Linke wollen in Berlin das Großprojekt Mediaspree | |
> durchdrücken. Strandbars müssten Hochhäusern weichen. Am Sonntag | |
> entscheiden die Bürger. | |
Bild: Kann das Land sich über die Lebensinteressen der Bewohner hinwegsetzen? | |
Als das Schiff abdrehte, brach auf den Schlauchbooten und Schollen auf der | |
Spree Jubel aus. Die linksalternative Protestbewegung hatte einen | |
Ausflugsdampfer voller Wirtschaftsvertreter gestoppt - mit bunten, kleinen | |
Booten, mit Johlen und Farbe, ganz ohne Gewalt. | |
Es war ein symbolischer Etappensieg im Streit um die Zukunft der Flussufer | |
im Osten Berlins, bei dem es um mehr geht als nur um die Bebauung auf den | |
zentrumsnahen Wassergrundstücken. Investorenmacht steht gegen kreative | |
Kiezbewegung, Landesinteressen gegen die Lebenswelten von Stadtbewohnern - | |
und am Sonntag tritt die Koalition aus Grünen und Linken im Bezirk | |
Friedrichshain-Kreuzberg bei einem Bürgerentscheid de facto gegen die | |
eigene Stammkundschaft an. | |
Die Entwicklung von "Mediaspree", wie das Neubauquartier genannt wird, | |
erhitzt seit Wochen die Gemüter. Nach den Vorstellungen von Investoren soll | |
sich das frühere Hafengebiet, an dem bis 1989 teilweise die Mauer | |
entlanglief, ähnlich entwickeln wie die Londoner Docklands oder die | |
Hamburger Hafen-City: 1,3 Millionen Quadratmeter Geschossfläche sind | |
geplant, Hochhäuser, Hotels, Dienstleistung. Die Planungen laufen seit den | |
90er-Jahren. Inzwischen sind laut der von den Investoren beauftragten | |
Lobbyistenfirma 15.000 Arbeitsplätze auf den einstigen Brachflächen | |
entstanden, MTV und Universal sind an die Spree gezogen, und die O2-Arena | |
als neue Konzertadresse für Elton John und Coldplay ist errichtet. | |
An der Arena entzündete sich der Widerstand von Anwohnern. Die Initiative | |
"Mediaspree versenken" will erreichen, dass ein 50 Meter breiter | |
Uferstreifen öffentlich zugänglich bleibt, dass keine neuen Hochhäuser | |
gebaut werden und die Strandbars bleiben können, die sich als | |
Zwischennutzer am Wasser angesiedelt haben. Die Aktivisten fürchten, von | |
den Investoren aus ihrem Kiez verdrängt zu werden. "Gentrifizierung", die | |
großflächige Verdrängung der angestammten Bewohner, ist zum Schlagwort | |
geworden. Die Sorgen sind mit Blick auf luxuriös sanierte Straßenzüge in | |
Berlin-Mitte begründet. Mit Aktionen wie dem Widerstand gegen die | |
Wirtschaftsvertreter-Rundfahrt auf der Spree vor zwei Wochen hat das | |
Bürgerbegehren Sympathien gewonnen. Der grüne Bürgermeister Franz Schulz | |
und die ihn unterstützenden Linken im Bezirksparlament stecken in der | |
Zwickmühle. | |
Einerseits merken die Lokalpolitiker, wie populär die Forderungen des | |
Bürgerbegehrens sind, viele Grünen-Mitglieder finden sie selbst gut. | |
Andererseits wissen sie, dass der Bezirk nicht die Mittel hat, um den | |
Investoren die Grundstücke 50 Meter rechts und links der Spree abzukaufen. | |
Nicht alles, was wünschenswert ist, ist eben auch durchsetzbar: Die Grünen | |
im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg kennen die Grenzen der Realpolitik. Also | |
erklären sie in Broschüren und an Infoständen, warum sie die Forderungen | |
ablehnen. | |
Die SPD, die im Bezirk zur Opposition gehört, hat sich dagegen wegen des | |
Bürgerbegehrens intern zerlegt. Die Parteispitze des Bezirkes unterstützt | |
das Bürgerbegehren in vielen Punkten. Die Fachleute in der Fraktion nennen | |
das öffentlich Populismus, ein SPD-Abgeordneter hat die Seiten gewechselt | |
und ist zur Grünen-Fraktion übergetreten. | |
Auch die SPD auf Landesebene ist über das Treiben ihrer Fraktion im Bezirk | |
verärgert. Die zuständige Senatorin behält sich das Recht vor, die | |
Planungen vom Bezirk an das Land Berlin zu ziehen. Das wäre rechtlich | |
möglich, wenn die Landesregierung auf eine hauptstädtische Bedeutung | |
verweist. Das Ergebnis des Bürgerentscheids wäre dann bedeutungslos. Die | |
Initiatoren von "Mediaspree versenken" haben indes angekündigt, dann gegen | |
den Senat zu protestieren. | |
Der Verlierer wäre der Bezirk. Er hätte seine Kernkompetenz, die | |
Planungshoheit, abgegeben. Und der Senat als Vertreter des Landes Berlin | |
hat die Entwicklung der Gesamtstadt im Blick. Ihm geht es um | |
Standortmarketing, strategische Planung und möglichst hohe Investitionen | |
internationaler Konzerne. Von ein paar Schlauchbooten auf der Spree und | |
Transparenten am Ufer lassen sich die Landesoberen nicht so leicht | |
beeindrucken. | |
12 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
K. Pezzei | |
S. Heiser | |
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