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# taz.de -- Hintergrund Franzosen in Ruanda: Kumpanei mit Mördern
> Der erst jetzt vorgelegte Bericht der ruandischen Untersuchungskommision
> macht deutlich, in welchem Ausmaß französische Militärs in den Völkermord
> in Ruanda verstrickt waren.
Bild: Ein Überlebender in einer Schule im südlichen Ruanda, in der 1994 tause…
Als die französischen Soldaten in Cyangugu landeten, zweieinhalb Monate
nach Beginn des Völkermordes in Ruanda, wurden sie von den Mordmilizen als
Freunde empfangen. "Direkt, nachdem sie die Grenze überschritten,
verteilten sie Granaten, Gewehre und beidschneidige Macheten", erinnert
sich der einstige Milizionär Jean Ndihokubwayo. Um den Ort der zukünftigen
französischen Basis zu sichern, "befahlen sie uns, das Gelände abzusuchen
und den Feind aufzuspüren, also die Tutsi, die sich im Busch versteckt
halten könnten, und sie mit der Machete zu töten. Tatsächlich haben wir im
Busch Tutsi getötet. Die Morde nahmen zu und es gab viele Leichen im
Ruzizi-Fluss. Die Franzosen sagten, wir seien dumm, die Leichen an der
Wasseroberfläche treiben zu lassen, denn wenn jemand Fotos machen würde
gäbe es ein Problem, also haben sie uns gezeigt, wie man Leichen versenkt.
Sie stiegen in Boote und fuhren zu den Leichen, die sie mit Bajonetten
aufschlitzten."
Französisches Militär war direkt am Völkermord in Ruanda beteiligt, bei dem
zwischen April und Juli 1994 über 800.000 Menschen getötet wurden. Dies
geht aus einem Bericht hervor, den eine unabhängige Untersuchungskommission
am Dienstag in Ruanda vorlegte. Der Bericht, bereits im November 2007
fertiggestellt aber erst jetzt offiziell veröffentlicht, sei "eine gute
Grundlage für mögliche juristische Schritte", sagte Ruandas Justizminister
Tharcisse Karugarama. 33 Politiker und Militärs aus Frankreich werden in
einem noch unveröffentlichten Annex namentlich als Verantwortliche genannt.
Die Verwicklung Frankreichs in Ruandas Völkermord ist noch nie so klar
dargestellt worden wie in diesem Bericht, der unter Leitung des ehemaligen
ruandischen Oberstaatsanwalts Jean de Dieu Mucyo entstand. Ab April 2006
befragte Mucyos unabhängige Untersuchungskommission, an der unter anderem
Ruandas wichtigster Sozialwissenschaftler Jean-Paul Kimonyo teilnahm, 698
ruandische und ausländische Zeugen und sichtete zahlreiche bislang
vertrauliche Dokumente. Die Ergebnisse: Frankreich wusste über die
Vorbereitungen des Völkermordes Bescheid und beteiligte sich daran;
französische Soldaten kämpften gemeinsam mit Ruandas Armee und
unterstützten die Völkermordmilizen aktiv.
Frankreichs Rolle bei der Vorbereitung und Umsetzung beginnt im Oktober
1990, als aus Uganda heraus eine Guerillabewegung ruandischer Exiltutsi,
die RPF (Ruandische Patriotische Front) einen Krieg gegen Ruandas damalige
Hutu-Regierung unter Präsident Juvénal Habyarimana aufnimmt. Ruandas
Regierung sieht alle Tutsi des Landes als "inneren Feind" an und
militarisiert das Land. Frankreich schickt Eingreiftruppen und
Militärberater. An Straßensperren kontrollieren ruandische und französische
Soldaten gemeinsam Reisende; Tutsi werden als mögliche RPF-Kollaborateure
festgenommen, erniedrigt und misshandelt, und manche verschwinden in
Militärhaft. Französische Soldaten beteiligen sich auch an Folter
gefangener RPF-Rebellen.
Am Abend des 6. April 1994 kommt Präsident Habyarimana beim Abschuss seines
Flugzeuges über der ruandischen Hauptstadt Kigali ums Leben. Führende
Hutu-Extremisten, die ein von Habyarimana 1993 mit der RPF geschlossenes
Machtteilungsabkommen ablehnen, ergreifen die Macht. Versammelt in der
französischen Botschaft in Kigali bilden sie eine "Übergangsregierung",
während Armee, Präsideialgarde und Hutu-Milizen landesweit beginnen, Tutsi
zu jagen und zu töten. Französisches Militär, zur Evakuierung weißer
Ausländer nach Kigali entsandt, verweigert verfolgten Tutsi Hilfe, und
französische Waffenlieferungen an die Täter über den Flughafen der
kongolesischen Grenzstadt Goma gehen während der organisierten Massaker
weiter.
Ende Juni 1994 schließlich, als das Völkermordregime im Kampf gegen die RPF
vor der militärischen Niederlage steht, besetzen französische Truppen den
Westen Ruandas. Offiziell ist es eine "humanitäre Intervention", um dem
Morden ein Ende zu setzen. Tatsächlich aber arbeiten die Soldaten der
Eingreiftruppe "Turquoise" mit den Hutu-Mordmilizen, den sogenannten
Interahamwe, zusammen. Sie gehen mit ihnen gemeinsam auf Patrouille, sie
beraten sie, sie liefern ihnen gefangene Tutsi aus, sie vergewaltigen
Tutsi-Mädchen.
"Sie gaben uns rote Stirnbänder zur Erkennung und sagten, wir sollten ihnen
helfen, die Sicherheit zu gewährleisten," erinnert sich Thomson Mubiligi,
damals Interahamwe-Milizionär in Cyangugu. Cassien Bagaruka, Feuerwehrmann
am Flughafen der südwestruandischen Grenzstadt, sagt: "Ich habe gesehen,
wie französische Militärs gefesselte Tutsi zum Flughafen brachten, um sie
vom Hubschrauber in den Kivu-See zu werfen." Manche französischen Soldaten
hatten ein Arrangement mit Hutu-Milizionären, dass gefangene Tutsi-Mädchen
in französische Obhut überstellt werden sollten, wo sie dann vergewaltigt
werden konnten.
Im Dorf Rubengera suchten versprengte Tutsi, die sich monatelang vor den
Mordmliizen versteckt gehalten hatten, bei den französischen Soldaten
Schutz. zu suchen, erinenrt sich Dorfbewohner Francois Rudakubana. "Drei
Tage später sahen wir, wie die französischen Militärs diese
Tutsi-Flüchtlinge zu einem Büro eines ermordeten Priestern brachten, in
einer etwas entlegenen Ecke", erinnert sich Dorfbewohner Francois
Rudakubana. "Später sahen wir einen Lastwagen voller Leichen wieder
zurückfahren, gefahren von einem französischen Soldaten mit einem anderen
Franzosen nehen ihn. So fuhren die Franzosen die Leichen in den Wald von
Gafumba, um sie dort zu begraben." Ein ehemaliger Soldat aus dem Dorf
erzählt: "Wir kamen zur Schule, und zwei französische Militärs sagten uns,
sie hätten Arbeit für uns. Sie zeigten uns eine Gruppe von neun bis 13
Tutsi, die Hände hinter dem Rücken mit blauen Bändern gefesselt, und sagten
uns, wir sollten sie hinter die Schule bringen und töten. Wir töteten sie
mit Knüppeln und brachten sie in den französischen Militärlastwagen nach
Gafumba."
Am 3. Juli traf sich ein französischer Oberst mit mehreren Gemeindechefs im
Gebäude der Hilfswerks "SOS Gikongoro" im gleichnamigen südruandischen
Distrikt und warnte, die Tutsi der RPF seien im Begriff, den Distrikt zu
"inflitrieren". "Sie sagten uns, wir sollten der Bevölkerung befehlen, die
Straßensperren aufrechtzuerhalten", erinnert sich Désiré Ngezahayo, damals
Bürgermeister von Karama, einer Vorstadt von Gikongoro. "Um einen
Inkontanyi (RPF-Kämpfer) zu erkennen, gebe es drei Kriterien. Erstens die
Kontrolle des Personalausweises - also die Suche nach Tutsi, die wir dann
töteten, wie wir es vorher schon machten. Dann die Kontrolle der Schultern,
um zu sehen, ob es da Spuren des Tragens schwerer Munitionsladungen gibt.
Denn die Kontrolle der Unterschenkel, weil die Inkontanyi Gummistiefel
tragen, die Spuren hinterlassen. Wer diese Merkmale trägt, den müssten wir
sofort töten... Also haben wir die Kontrollen verstärkt, und immer wenn wir
einen Tutsi aufspürten, wurde er sofort getötet." Zahlreiche Augenzeugen
erinnern sich außerdem, wie französische Soldaten im Distrikt Gikongoro
Tutsi-Zivilisten verhafteten, fesselten, in Hubschrauber brachten und aus
diesen im Tiefflug über entlegenen Gebieten abwarfen, beispielsweise im
Naturpark des Nyungwe-Regenwaldes.
Während die Unterstützung Frankreichs für Ruandas Regierung vor dem
Völkermord, auch bei der Planung der Massaker, bereits in breiten Umrissen
bekannt war, sind die unzähligen Zeugenaussagen über einzelne Vorgänge
während der "Operation Turquoise" neu. Damit hat Ruanda nun zusätzliche
Munition in seinem politisch-juristischen Dauerstreit mit Frankreich: Die
Beziehungen zwischen beiden Ländern sind seit 2006 abgebrochen, ein
französischer Untersuchungsrichter will Ruandas Präsident und einstigen
RPF-Führer Paul Kagame als angeblichen Urheber der Ermordung von
Expräsident Habyarimana am 6. April 1994, Startschuss des Völkermordes,
verklagen. In Frankreich läuft außerdem ein Ermittlungsverfahren gegen
ehemalige Turquoise-Soldaten aufgrund einer Anzeige von
Völkermordüberlebenden.
"Es geht nicht um Rache", beschwichtigt Ruandas Botschafter in Deutschland,
der langjährige RPF-Aktivist Eugène Gasana, gegenüber der taz. "Der Bericht
soll uns und den Franzosen helfen, zu verstehen, was passiert ist und wie
wir diese Lage überwinden können. Es geht um Einzelpersonen in Frankreich
und in Ruanda, nicht um Frankreich allgemein."
Sharon Courtoux von der französischen Organisation "Survie", die seit
langem Frankreichs Afrikapolitik kritisch begleitet und eigene umfangreiche
Untersuchungen über Frankreichs Rolle in Ruandas Völkermord angestellt hat,
ist hingegen eher enttäuscht - auch, weil der Bericht anders als
angekündigt nicht allgemein und komplett veröffentlicht worden ist. "Die
halten noch einiges zurück", glaubt sie und sagt, die Augenzeugenberichte
allein reichten nicht für neue Anklagen: "Man müsste in Ruanda Leute
finden, die uns sagen, welcher Franzose wann welche Dokumente in Händen
hielt."
6 Aug 2008
## AUTOREN
Dominic Johnson
Dominic Johnson
## TAGS
Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
Schwerpunkt Frankreich
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