# taz.de -- Vorübergehender Verlust des Urteilsvermögens: Wo des Stöffsche a… | |
> Apfelwein, Äppelwoi, Ebbelwei - Hessens Antwort auf die Globalisierung | |
> schmeckt vielen nicht beim ersten Schoppen. Aber Bier bestellen gilt in | |
> manchen Kneipen als Ausdruck geistiger Verwirrung | |
Bild: Apfelernte bei Frankfurt | |
Vom ersten Schluck fühlen sich viele abgeschreckt, vom ersten Glas ebenso. | |
Die Liebe auf den ersten Blick zum Apfelwein ist selten. Und mancher gibt | |
früh auf, ungeachtet der von Wirten und Tischnachbarn verbreiteten Theorie, | |
er schmecke erst richtig nach dem soundsovielten Schoppen. Den | |
prognostizierten Zufriedenheitszustand, der mit dem vorübergehenden Verlust | |
des Urteilsvermögens einhergeht, lernen Erstkonsumenten in der Frankfurter | |
Apfelwein-Gastronomie oftmals nicht kennen. | |
Allerdings ist das, was mancherorts ausgeschenkt wird, nicht dazu angetan, | |
den Einstieg zu erleichtern. Wer das Pech hat, gleich auf einen dumpfen | |
holzbetonten Säuerling zu stoßen, sollte jedoch nicht glauben, er wisse | |
jetzt, was im Rhein-Main-Gebiet aus Äpfeln werden könne. Schon nebenan | |
schmeckts oft ganz anders, selbst wenn auch dort oft nicht mehr das | |
selbstgekelterte Stöffsche aus dem Bembel ins Gerippte fließt. Wer sich dem | |
Selbstversuch weiter hingibt, sollte auf jeden Fall wissen: Die Behauptung, | |
Apfelwein enthalte fast keinen Alkohol, ist empirisch längst widerlegt. | |
Der Unterschied zwischen Apfelwein und Apfelwein kann himmelweit sein - von | |
Jahrgang zu Jahrgang, je nach Ausbau im Keller, zwischen industriell | |
hergestellter Ware und dem aus der kleineren Kelterei. Mit am wichtigsten: | |
die zum Keltern verwendeten Apfelsorten. | |
Wer dem nachspüren will, sollte aus Frankfurts Zentrum in die Umgebung | |
wechseln. Es empfiehlt sich ein Besuch beim Obsthof Schneider in | |
Nieder-Erlenbach. "I will teach you differences" könnte hier über der Tür | |
stehen, hinter der mehr als 25.000 Litern sortenrein gekelterte Apfelweine | |
und verschiedene Cuvées lagern, dazu Apfelsäfte und Apfelsekte. Die kann | |
man im Hofladen des Ökoobsthofes kaufen, auf dessen Gelände über hundert | |
Apfelsorten angebaut werden - davon viele alte und solche, die anderswo | |
kaum noch zu finden sind. | |
An der Rettung vergessener Sorten kann sich der Kunde auch anders | |
beteiligen - etwa durch den Konsum der extrem unterschiedlich schmeckenden | |
Apfelweine. Zum Hof gehört eine Bioschoppenwirtschaft, wo auch Biospeisen | |
zu bekommen sind. In der Zeit der Apfelblüte unter den Bäumen in der Sonne | |
zu sitzen und sich durch die Sorten zu testen, ist ein empfehlenswertes | |
Wochenendvergnügen. | |
Der Apfelspezialist Andreas Schneider ist Botschafter des Naturschutzes mit | |
dem Schoppenglas. Was er nicht in Bioqualität selbst anbaut, kauft er von | |
den Streuobstwiesen der Region zu. Wer hier weggeht weiß, wie groß der | |
Unterschied zwischen einer Schafsnase und einem Bohnapfel ist, welche | |
Farbunterschiede die Apfelweincuvées im Glas aufweisen. Er wird den Duft | |
von Ananasrenetten in der Nase haben und nicht mehr leichtfertig behaupten, | |
Apfelwein sei eben Apfelwein. Schneider vermarktet seine Produkte mit dem | |
Slogan "… die hessische Antwort auf …". Beschließen wir den Besuch mit der | |
hessischen Antwort auf Calvados, einem hervorragenden Apfelbrand. | |
Frankfurt braucht immer eine zweite Chance, nicht nur in Sachen Ebbelwei. | |
Hier leben viele, die hier nicht hinwollten und schließlich doch blieben. | |
Die relativ kleine Möchtegernmetropole am Main wirkt zunächst so | |
unzugänglich wie ihr Traditionsgetränk. Die intensive touristische | |
Vermarktung der Ebbelwei-Kultur hat zum Teil ihren Refugien nicht gutgetan. | |
Der Kern des Apfelwein-Viertels um den Frau Rauscher-Brunnen in | |
Sachsenhausen wirkt heruntergekommen, obwohl die Ballermann-Meile | |
inzwischen das Schlimmste hinter sich hat. Die besseren Lokalitäten finden | |
sich wenige hundert Meter weiter oder in anderen Stadtteilen. Einen | |
Direktvergleich mit kurzen Wegen ermöglichen etwa auf einem kurzen Stück | |
der Textorstraße in Sachsenhausen die drei Apfelwein-Wirtschaften Germania, | |
Feuerrädche und Kanonesteppel. Gedrängtes Sitzen ist hier abends angesagt, | |
das wird notfalls durchgesetzt. Das Dinner for two findet anderswo statt. | |
Wer hier sitzt, will keinen Distinktionsgewinn, obwohl bestimmte | |
Ebbelwei-Kneipen durchaus unterschiedliches Publikum haben. Die | |
Durchmischung trägt auch zu einer gewissen Friedfertigkeit als | |
Grundstimmung bei. Der Hesse ist ohnehin kein Mensch der Extreme, sondern | |
der tolerante Bewohner eines Durchgangslandes. | |
Die Globalisierung hat auch im Ebbelwei-Milieu Spuren hinterlassen. Die | |
typischen Gerichte der Frankfurter Küche mussten ergänzt werden um das dem | |
Publikumsgeschmack Entsprechende. Zur grünen Soße, zum Rippchen mit Kraut, | |
zum Handkäs mit Musik gibt es seit langem auch die anderswo üblichen | |
Schnitzelvariationen. | |
Dennoch haben einige Lokale es geschafft, die lokale Küche auch in eine | |
zeitgemäße Richtung weiterzuentwickeln. Die Hardcore-Ebbelwei-Wirtschaft | |
jedoch, in der bärbeißige Kellner die Bestellung von Bier als Ausdruck | |
geistiger Verwirrung abstrafen und der Süßgespritzte als Hochverrat am | |
Stöffsche gilt, ist selten geworden. Überhaupt das Personal: Gehörten | |
früher misanthropische Originale als Kellner zum Grundinventar der | |
Ebbelwei-Gemütlichkeit, hochgeachtet von ihren ewig räsonnierenden | |
Stammgästen, den "Schlääschtschwätzern", so geht der Trend heute auch in | |
Richtung Serviceorientierung, ohne Zweifel ein kultureller Verlust. Denn, | |
um mit Karl Kraus zu argumentieren: Gemütlich bin ich selber. | |
Die reinsortige Apfelweinwirtschaft ist auf dem Rückzug. Der | |
Pro-Kopf-Verbrauch von Apfelwein geht bundesweit zurück. Das können auch | |
engagierte Hessen nicht verhindern, die nach wie vor zehnmal so viel vom | |
Stöffsche trinken wie der Durchschnittsdeutsche. | |
Was man dazu isst | |
Eine konservative Speisekarte enthält häufig Fleischlastiges, vom Haspel | |
über Rippchen, Rindswurst und andere Wurstsorten bis zum Handkäs mit | |
Zwiebeln ("Musik") und angemachtem Camembert. Derart puristisches | |
Selbstverständnis findet sich in den traditionelleren Wirtschaften in den | |
Stadtteilen, die kleine Gerichte anbieten, weil Personal teuer und die | |
Küche für Größeres nicht geeignet ist. Schon das Traditionsgericht Grüne | |
Soße findet sich hier oft nicht. Viele Wirtschaften zum Beispiel in | |
Sachsenhausen bieten ambitioniertere bodenständige Küche und lösen sich | |
gleichzeitig vom reinen Apfelweinimage, zumal der wirklich nicht zu allem | |
passt. Trotzdem ist man beim eher Deftigen auf der sicheren Seite, wenn man | |
beim Ebbelwei bleiben will. Das gilt nicht für sortenreinen Apfelwein oder | |
Apfelsekte, die sich inzwischen selbst in der Spitzengastronomie finden. | |
Einige Adressen | |
Zu den drei Steubern, Dreieichstr. 28, Frankfurt, Traditioneller Purismus. | |
Schließt angeblich, wenns Stöffsche aus ist. | |
Zum Rad, Leonhardsgasse 2, Frankfurt-Seckbach. Einer der schönsten | |
Sommergärten mit viel Betrieb und langer Speisekarte, die nicht nur | |
apfelweinorientiert ist. | |
Zur Krone, Wilhelmshöher Str. 163-165, Frankfurt-Seckbach. Gleich | |
gegenüber, für die Rippchen-und-Kraut-Fraktion mit viel Lokalkolorit und | |
ebenfalls einem Garten. | |
30 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernd Bär | |
## TAGS | |
Äpfel | |
Hessen | |
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