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# taz.de -- Zu Googles zehntem Geburtstag: Der Schlitz
> Als Larry Page und Sergey Brin vor zehn Jahren ihren Suchschlitz online
> stellten, taten sie einen Schritt, der die Gewohnheiten von Millionen von
> Menschen umkrempelte. Ein Essay
Bild: Der Suchschlitz.
"Information ?", seufzte ein Romanagent von 1945. "Was stimmt nicht mehr an
Drogen und Weibern?" Kein Wunder, dass die Welt verrückt spielt, seitdem
Information zum einzigen realen Tauschmittel geworden ist. Friedrich
Kittler
Vor ein paar Jahren bin ich noch ans Fenster zu dem kleinen Thermometer
gegangen, um nach der Außentemperatur zu sehen. Heute gehe ich dazu ins
Netz. Ein neues Fenster hat sich geöffnet - eines, das fast leer ist bis
auf einen bunten Schriftzug und einen Eingabeschlitz: Google.
Von hier aus kann jeder teilnehmen am größten und lautlosesten kollektiven
Experiment des 21. Jahrhunderts. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich das
Suchen von einem nützlichen, peripheren Dienst zur zentralen Schnittstelle
des Internets entwickelt. Aus dem Suchen im Netz ist eine überall
verstandene Methode geworden, durch das Informations-Universum zu
navigieren.
Der Suchschlitz
Wenn man irgendwo auf der Welt jemandem am Bildschirm den
Google-Suchschlitz zeigt, weiß er mit hoher Wahrscheinlichkeit, was man
damit macht. Es ist die Wünschelrute für's Netz. Bisweilen hat das Suchen
bereits religiösen Charakter angenommen. Viele wollen gar nicht mehr
finden. Sie wollen suchen.
Hätte Sigmund Freud die Datenbank der Google-Suchanfragen gekannt, es hätte
ihn umgeschmissen. Menschen fragen Google alles und schaffen damit, wie der
Suchmaschinenexperte John Batelle es nennt, eine gigantische "Datenbank der
Absichten" - eine Informationsgoldmine von nie dagewesenem Ausmaß.
Was will die Welt?
Ein Unternehmen, das diese Frage beantworten kann, hat Zugang zum Kern der
menschlichen Kultur. Und zum innersten Geheimnis des Verkaufens. Dabei
verändert Google nicht nur das Findbarmachen von Information. Leute zu
googeln, gehört längst zur modernen Lebensart.
Beruflich und privat bereiten sich inzwischen viele auf eine Begegnung vor,
indem sie routiniert nachsehen, was Google zu der Person alles auf Lager
hat. Finden sich auf der Trefferliste zu einem Namen minder interessante
Einträge, fallen manche Jobbewerber bereits durch's Raster. Partygänger
sondieren, ehe sie sich in Geselligkeit begeben, die anderen Gäste.
Amateur-Ahnenforscher suchen über Kontinente hinweg und bis in die Tiefe
vergangener Jahrhunderte nach Familienmitgliedern. Angestellte mustern ihre
Kollegen auf dem Netzradar. Zu immer mehr Menschen lassen sich Sträuße an
Informationen ergoogeln. Wer versucht, seine elektronischen Spuren wieder
einzusammeln, wird merken, dass das gar nicht so einfach ist.
Verschärfte Kontrolle
Der Betriebswirt Waqaas Fahmawi, ein in den USA lebender Palästinenser,
erzählte der New York Times, dass er immer gern freizügig Petitionen
unterschrieben habe. Seit Fahmawi entdeckt hat, dass etliche der Aufrufe
digital archiviert sind, ist er mit der Vergabe seiner Unterschrift
wesentlich restriktiver geworden. Er befürchtet, dass ihm künftige
Arbeitgeber seine politischen Ansichten übelnehmen könnten und fühlt sich
dadurch zugleich in seiner politischen Äußerungsfreiheit eingeschränkt:
"Wir leben in einem System verschärfter Kontrolle."
Die zunehmende Durchlässigkeit der Privatsphäre wird auch zur Verfeinerung
von Dienstleistungen eingesetzt. In manchem teuren Hotel werden Gäste, die
das erste Mal anreisen, vor ihrer Ankunft gegoogelt, damit man sie
forcierter umsorgen kann. Basis sind die Reservierungsdaten - Name und
Adresse.
Zimmer mit Morgensonne
Wenn ein Gast laut Google gern morgens joggt, bekommt er ein Zimmer mit
Morgensonne. "Don't be evil" - nicht böse sein - lautet das
Google-Geschäftsmotto. Ob man sich in der Firma auch tatsächlich daran
hält, läßt sich nicht kontrollieren. Google macht alles digital Findbare im
Netz transparent, aber sich selbst läßt die Google-Gang nur ungern in die
Karten schauen. Als der Nachrichtendienst Cnet im Frühjahr 2005 -
ergoogelte - Informationen über Google-Geschäftsführer Eric Schmidt
veröffentlichte, wurde das mit einer drastischen Kontaktsperre beantwortet.
Ein Jahr lang erhielten Cnet-Mitarbeiter keine Auskunft mehr von Google.
Lieber Suchen als Finden
Bisher war es so, dass man bei einer Suche etwas finden wollte. Aber die
Zeiten haben sich geändert. Inzwischen kann es wichtiger sein, eine weitere
Suche zu finden.
Im Frühjahr letzten Jahres wurde die 34-jährige Melanie McGuire angeklagt,
ihren Mann William betäubt und erschossen zu haben. Das Opfer war nach dem
Mord zerstückelt und die Leichenteile in drei Koffern verstaut worden, die
in der fünf Autostunden entfernten Chesapeake Bay gefunden wurden.
Mit Google überführt
Zehn Tage vor dem Mord, am 18. April 2004 um 5:45 Uhr, war auf einem
Laptop, den Melanie McGuire benutzt hatte, die Phrase "How To Commit
Murder" gegoogelt worden - "Wie begeht man einen Mord". Am selben Tag
wurden von dem Rechner aus weitere Suchanfragen durchgeführt, unter anderem
zu Themen wie "nicht nachweisbare Gifte" und "tödliche Dosis Digoxin". Am
24. April 2007 sprach die Jury Melanie McGuire dessen schuldig, was der
Richter einen "besonders abscheulichen und brutalen, ruchlos und planmäßig
durchgeführten Mord" nannte.
Auch in anderen Bereichen entscheidet Google inzwischen über Untergang oder
Überleben. Parallel zum Siegeszug des coolen Suchschlitzes entwickelte sich
eine neue Form der Weltwirtschaft: die Google-Ökonomie. Dabei geht es -
egal welche Art von Geschäft man betreibt - vor allem darum, auf den
Google-Trefferlisten so weit vorne wie möglich zu landen.
Um sich nach vorne durchzudrängeln, gibt es eine Menge sauberer und
unsauberer Tricks. Inzwischen lebt eine ganze Industrie von dieser Art
Schiebung, die Suchmaschinen-Optimierer. Als die Ergebnislisten immer
vermüllter wurden, entschloß man sich bei Google zu einem Gegenschlag.
Am seidenen Faden von Google
Am 16. November 2003 änderten sich die Sortierungen der Trefferlisten zum
ersten Mal teils dramatisch. Zahllose Websites, die zuvor unter den Top 100
zu finden gewesen waren, wurden degradiert oder waren überhaupt nicht mehr
zu finden. Auf manchen Sites versiegte der Besucherstrom und damit die
Umsätze. Die Existenz zahlloser kleiner und großer Unternehmen hängt heute
am seidenen Faden ihrer Positionierung auf einem der vorderen Plätze einer
Google-Antwort.
Google ist zum Inbegriff für "Sofortwissen" geworden. Und der Witz von dem
Mann, der nur ein Buch hat, ist nun Wirklichkeit. Das Buch heißt Google,
und es wird immer dicker. Googles Dienste bieten so viel Komfort, dass ein
Großteil der Netznutzer gar nicht erst nach Alternativen sucht, die
durchaus vorhanden sind.
Es ist mit der Supersuchmaschine ein bißchen wie mit dem
Hollywood-Produzenten, dem eine traumhafte Villa mit Swimmingpool gehörte.
Er war damit nicht zufrieden und ließ sich einen Steg aus Plexiglas über
den Pool bauen, genauer gesagt: knapp unter die Wasseroberfläche. Wer nicht
wußte, dass da ein Steg ist, sah nichts. Manchmal ging der Produzent dann
rüber zum Pool und wandelte über dem Wasser. Ein Wunder.
Google vollbringt Wunder
Im August 2003 wurde Google-Gründer Sergey Brin von einem
Konferenzteilnehmer gefragt, wann ihm klar geworden sei, dass Google ein
Wahrzeichen der Gegenwart geworden ist. Als Antwort erzählte Brin die
Geschichte von jemandem, der angeblich einem Familienmitglied mit einem
akuten Herzinfarkt das Leben gerettet hatte, indem er bei Google
nachfragte, was zu tun sei und mit den gewonnenen Informationen schnelle
medizinische Hilfe hinzuziehen konnte.
Mit anderen Worten: Google vollbringt inzwischen auch Wunder. Die
Vorstellung, dass jemand eine Suchmaschine konsultiert, statt den Notarzt
zu rufen, ist absurd - jedenfalls in Deutschland. In einem Land wie den
USA, in dem 46 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung leben, verheißt
eine Einrichtung wie Google kostenlosen medizinischen Rat. Täglich
entstehen neue Dienste im Netz, die Google-Inhalte integrieren.
Die Welt auf Google
Besonders bliebt ist der Kartendienst Google Maps, dessen Satellitenbilder
sich mit Karten und selbstkonfektionierten Elementen zu den erstaunlichsten
"Mashups" verbinden lassen. Es gibt Karten mit Promi-Sichtungen, mit
Restaurants, in die man etwas zu trinken mitbringen darf und Simulationen
der Klimakatastrophe.
Wer seinen Freunden Reisetips geben will, schickt heutzutage Placemarks,
mit denen sie sich in Google Earth an die richtigen Plätze führen lassen
können, oder er veröffentlicht seine Empfehlungen in der entsprechenden
Community, deren virtuelle Stecknadeln man mit einem Mausklick auf der
Karte zuschalten kann.
Die augenblickliche Erfüllung jedes Wunsches
Google steht für die große Verheißung des Internet, sich einmal in eine
Jetzt-Sofort-Alles-Maschine zu verwandeln. Das, was in Märchenbüchern
Zauberei heißt - die augenblickliche Erfüllung jedes Wunschs.
Einen Haken an der Sache hat der Kulturwissenschaftler Lewis Mumford
beschrieben: "Nichts kann die menschliche Entwicklung so wirkungsvoll
hemmen wie die mühelose, sofortige Befriedigung jedes Bedürfnisses durch
mechanische, elektronische oder chemische Mittel. In der ganzen organischen
Welt beruht Entwicklung auf Anstrengung, Interesse und aktiver Teilnahme -
nicht zuletzt auf der stimulierenden Wirkung von Widerständen, Konflikten
und Verzögerungen. Selbst bei den Ratten kommt vor der Paarung die
Werbung."
Adwords und Adsense heißt das bei Google. Das Unternehmen erzielt 99
Prozent seiner Einkünfte mit Werbung.
5 Sep 2008
## AUTOREN
Peter Glaser
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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