# taz.de -- Neuer Browser "Chrome": Google browst heran | |
> Mit "Chrome" will der Konzern Google den Browsermarkt aufmischen. Bislang | |
> dominiert Microsoft dieses Segment. Der neue Browser soll stabiler und | |
> schneller sein. Das Netz wird zur Google-Welt. | |
Bild: "Eliminate 'em": Googles Chrome-Comic | |
Der Browser ist das Fenster des Nutzers ins Netz. Programme wie Microsofts | |
Internet Explorer oder die freie Konkurrenz Firefox der Stiftung Mozilla | |
dienen uns Tag für Tag dazu, online Informationen abzurufen, Bankgeschäfte | |
zu erledigen oder mittels Web, Mail und Chat miteinander zu kommunizieren. | |
Die Anwendungen, die direkt im Browser laufen, werden dabei immer wichtiger | |
und mächtiger: Längst gibt es Textverarbeitungsprogramme, die Büropaketen | |
wie Office Konkurrenz machen, Bildbearbeitungssoftware zum Editieren von | |
Fotos direkt im Netz oder Werkzeuge zum Videoschnitt, die man mit ein paar | |
Mausklicks online abrufen kann. Da also immer mehr Tätigkeiten am Rechner | |
direkt im Internet passieren, wird so auch der Browser immer wichtiger. Er | |
wird zum eigentlichen Betriebssystem des Rechners. | |
Das sieht man auch beim Internetriesen Google so, der jetzt mit einen | |
eigenen Browser Microsoft angreift. Google kontrolliert mit mehr als 50 | |
Prozent Marktanteil am Suchmaschinengeschäft weltweit den Onlinewerbemarkt, | |
ist mit Angeboten wie dem Postdienst Google Mail oder dem Videoportal | |
YouTube tief im Internetleben fast jedes Nutzers verankert und gehört mit | |
einer Marktkapitalisierung von fast 180 Milliarden Dollar zu den | |
wertvollsten Firmen der Erde. Allein: Bislang lieferte Google nur das, was | |
im Browser ablief, aber nicht das, was um ihn herum passierte. | |
Die Software selbst, mit der die Nutzer ins Netz blicken, beherrscht zu 70 | |
Prozent Microsoft mit seinem Internet Explorer (IE) - und das seit einem | |
guten Jahrzehnt, als der Softwareriese im so genannten "Browserkrieg" | |
(siehe Kasten) den Konkurrenten Netscape Navigator in die Flucht schlug. | |
Selbst ein US-Kartellverfahren änderte daran wenig: Für die meisten Nutzer | |
bedeutet der Gang ins Web heute immer noch, Microsofts IE zu starten. | |
Nicht, dass es heute an Konkurrenz mangeln würde. So steigen immer mehr | |
Menschen auf Mozillas Firefox um, weil dieser als sicherer und im | |
Funktionsumfang besser gilt. Bis zu 20 Prozent Marktanteil erlangte die | |
Software dadurch in den letzten Jahren. Microsoft konterte in der | |
vergangenen Woche mit einer neuen Version des IE, die allerlei Fehler | |
ausbügeln soll und neue Funktionen bringt. | |
Bislang hielt sich Google aus diesem Browser-Scharmützel heraus. Im | |
Zweifelsfall stand man zwar stets auf der Seite der Mozilla-Stiftung, half | |
ihr unter anderem mit Programmierern aus. Doch ein direktes Gegenprodukt | |
zum Internet Explorer entwickelte der Konzern nie. Bis heute. Jetzt rückt | |
Google mit der Entwicklung eines eigenen Browsers auf den Markt. Die | |
Software nennt sich "Chrome" - und sie ist ein radikales Konzept. Google | |
wirft viel technischen Ballast weg, macht die Software schneller und | |
sicherer, will alle guten Dinge der Browser-Welt bewahren, die schlechten | |
aber fallen lassen. Gleichzeitig ist es jedoch ein echter Griff nach dem | |
ganzen Netz: In einer Welt, in der Google Chrome die PCs dominiert, | |
dominiert Google das Interneterlebnis von A bis Z. Der Browser ist somit | |
der letzte Baustein einer großangelegten Strategie, die das Netz verändern | |
könnte. | |
Natürlich wird sich auch mit Erscheinen des Google-Browsers, der am | |
Dienstag in einer ersten Vorabversion für Windows verfügbar gemacht werden | |
sollte, an der Entscheidungsfreiheit der Nutzer nichts ändern. Auch dann | |
können sie noch den in Windows eingebauten Internet Explorer verwenden oder | |
weiterhin die freie Lösung Firefox nutzen. Doch Google Chrome ist, soweit | |
bislang bekannt, so clever gemacht, dass der Browser das Verlangen vieler | |
Nutzer wecken dürfte. Hinzu kommt, dass Google als Suchmaschine und | |
Web-Destination Nummer eins auf diesem Planeten eine enorme Marktmacht hat, | |
eine neue Software an die Frau, den Mann zu bringen. Und das wird mit | |
Chrome versucht werden, sind sich Marktbeobachter sicher. | |
Der neue Browser soll bedienerfreundlicher sein. Mit Chrome wird man | |
künftig nicht mehr lange nach bereits besuchten Internetadressen suchen | |
müssen, die Omnibar als Adressleiste macht das Webarchiv im Volltext | |
zugänglich. Die einzelnen Browser-Reiter, Tabs genannt, stehen im | |
Vordergrund: Sie sind einzeln steuerbar, nervige Pop-ups verschwinden in | |
einer einzigen Zeile. Jedes Tab ist seine eigene "Instanz": Ruft man eine | |
Webseite auf, erhält diese einen eigenen Bereich im Speicher des Rechners | |
zugeordnet, der komplett abgeschottet ist. Sollte ein einzelnes Fenster | |
einmal "abstürzen", was oft mehrmals täglich passiert, verabschiedet sich | |
nicht die gesamte Software - sondern nur das abgestürzte Fenster. Auch | |
sicherheitstechnisch hat das Vorteile: Schadprogramme, die man sich mit dem | |
Besuch einer einzigen Internetseite einfangen kann, werden so isoliert und | |
gegenüber dem Rechner stärker abgeschottet. Auch andere Sorten von | |
Angriffen dürfte Chrome besser abwehren: Die Software lädt sich regelmäßig | |
eine Liste mit den gefährlichsten Seiten des Netzes herunter und warnt den | |
Nutzer sofort. | |
Für Chrome hat Google außerdem die interne Technik des Browsers | |
überarbeitet. JavaScript, eine Programmiersprache, in der immer mehr | |
Web-Anwendungen verfasst sind, soll deutlich schneller laufen. Das | |
bedeutet, dass die Web-Mail-Software beispielsweise nicht mehr den Rest des | |
Programms ausbremsen kann, wenn sie gerade dabei ist, Spammails | |
auszusortieren. Der Nutzer kann sich außerdem genau ansehen, was jedes | |
einzelne Browser-Fenster tut: Ähnlich, wie man sich bei Windows anzeigen | |
lassen kann, welches Programm den Rechner gerade besonders belastet, | |
erlaubt dies Chrome auch mit allen aufgerufen Webseiten. Ist eine davon zu | |
langsam, kann man sie einfach "abschießen", wofür zwei Mausklicks reichen. | |
Auch hier wird der Rest von Chrome nicht tangiert. Vor allem für | |
Büroanwendungen ist Chrome optimiert. Sie sollen flotter laufen. Quasi ein | |
Betriebssystem im Netz und ein weiterer Hieb gegen Microsoft. | |
Zu den von Google beworbenen Funktionen gehört auch ein so genannter | |
Inkognitomodus: Mit diesem soll man sich im Web bewegen können, ohne Spuren | |
zu hinterlassen. Besuchte Seiten tauchen dann nicht im Browser-Archiv auf, | |
auch dabei aus dem Netz heruntergeladene Datenkrümel, die so genannten | |
Cookies, die eine Überwachung erlauben könnten, werden gelöscht. Neu ist | |
das allerdings nicht: Sowohl Microsofts IE als auch andere Browser bieten | |
die Funktion, die scherzhaft auch "Porno-Modus" genannt wird, seit | |
längerem. | |
Ob dieses Inkognito-Feature bedeutet, dass auch Google die Aktivitäten der | |
Chrome-Nutzer nicht beobachtet, ist bislang unklar. Das Hauptargument für | |
einen eigenen Browser des Suchmaschinenkonzerns liegt neben dem | |
strategischen Vorteil, die gesamte Netzerfahrung des Nutzers von vorne bis | |
hinten zu kontrollieren, vor allem in der Möglichkeit, dem User | |
zielgenauere Werbung zu präsentieren, die Google dann zu hohen Preisen | |
vermarkten kann. Wer den Browser kontrolliert, kontrolliert auch, mit | |
welcher Suchmaschine gesucht wird und welche Werbung dann eingeblendet | |
wird. Microsoft lenkt Millionen Nutzer mit seinem IE auf eigene Seiten und | |
verdient damit gutes Geld. Das kann Google nun auch für sich nutzen. Der | |
User ist damit stets in einer Google-Welt präsent, die für Vermarkter keine | |
Streuverluste kennt. Dazu passt auch, dass Google mit Doubleclick einen der | |
wichtigsten Werbedienstleister übernommen hat, der fast im ganzen Web | |
präsent ist. Google vermarktet darüber nicht nur eigene Angebote, sondern | |
auch fremde. | |
Noch liegen die Datenschutzbestimmungen von Chrome nicht vor - | |
Privatsphärenspezialisten stehen schon bereit, sie auf negative | |
Entwicklungen für den Nutzer zu durchforsten. Bislang zeichnet sich Google | |
jedenfalls nicht durch Datensparsamkeit aus: Jede Suchanfrage wird | |
beispielsweise mit voller Internetadresse des Anfragenden stets 18 Monate | |
lang gespeichert, wofür das Unternehmen bereits allerlei Kritik einstecken | |
musste. Getan hat sich nichts. | |
Google dürfte gegenüber Datenschützern bei Chrome argumentieren, dass der | |
Browser selbst in Form von Open-Source-Software vorliegt. Das bedeutet, | |
dass jeder zumindest theoretisch in den Quellcode des Programms | |
hineinschauen kann, um zu sehen, was der Internet-Konzern konkret mit den | |
Nutzerdaten anstellt. In der Tat basiert Chrome selbst schon auf freier | |
Software: Google bedient sich an Vorarbeiten, die das Mozilla-Projekt bei | |
Firefox und der Computerkonzern Apple bei seinem Browser Safari geleistet | |
hat. Nach außen gibt sich Google also offen. Das ändert nichts daran, das | |
mit Chrome die Macht des Internetriesen über das Netz weiter wachsen | |
dürfte, wenn erst einmal ein ordentlicher Marktanteil erzielt ist. | |
2 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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