# taz.de -- Neuer Roman von John le Carré: Geheimdienstler sind auch nur Trott… | |
> Mit seinem neuen Roman "Marionetten" leistet Krimiautor John le Carré | |
> seinen Beitrag zum 9/11-Komplex. Als Handlungsort hat er sich Hamburg | |
> ausgesucht. | |
Bild: Auch bekannt unter Codename Carré: Der Autor David Cornwell. | |
Seit Hegel wissen wir, dass die Eule der Minerva erst mit der einbrechenden | |
Dämmerung ihren Flug beginnt. Der Denker sollte sich folglich zu den | |
politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten verhalten und nicht | |
mutmaßen, wie es in der Zukunft sein wird oder wie es wäre, wäre die | |
Geschichte anders verlaufen. Das hört man noch immer gern, in dieser Zeit, | |
die sich von restlos allen Utopien verabschiedet haben will. | |
Hegels Wunsch andererseits, "den Staat als ein in sich Vernünftiges zu | |
begreifen und darzustellen", trifft heute, wo Hegel vom Kopf auf die Füße | |
gestellt wurde und wieder zurück, nicht mehr den Nerv der Zeit. Seit dem | |
11. September 2001 will man, damit die veränderte Weltordnung nicht | |
begriffen werden muss, den Staat kritisieren, ohne marxistisches Rüstzeug | |
zwar, dafür aber umso lauter. Denn wenigstens die Staatskritik fühlt sich | |
noch vertraut an in dieser rhizomatischen Welt. Und wenn man dann doch | |
keine befriedigenden Anhaltspunkte für seine lauthals geäußerte | |
Staatskritik in die Hand gespielt bekommt, behilft man sich eben mit | |
Verschwörungstheorien. | |
Dabei haben sich die Welt und ihre Wahrnehmung nicht erst mit den New | |
Yorker Anschlägen verändert, diese waren nicht der Beginn, sondern der | |
Ausdruck einer Entwicklung, die schon in den 80er-Jahren des letzten | |
Jahrhunderts ihren Anfang nahm und mit dem Schlagwort "Kampf der Kulturen" | |
nie hinreichend beschrieben worden ist. | |
In genau jenes Feld dringt nun mit seinem neuesten Roman "Marionetten", der | |
im Original wesentlich präziser "A most wanted man" heißt, der Starautor | |
John le Carré ein. Le Carrés Thriller vermochten manchen Lesern den Kalten | |
Krieg besser zu erklären als die tägliche Zeitungslektüre. | |
Le Carré allerdings hat es anders als Don DeLillo, John Updike oder Philip | |
Roth nie zu literarischen Weihen gebracht - in Deutschland, wo noch immer | |
zwischen Unterhaltungsliteratur und Hochkultur geschieden wird, erst recht | |
nicht. | |
Doch nun hat sich le Carré Hamburg als Spielort seines Romans ausgesucht | |
und zugleich, wie die oben genannten Kollegen auch, seinen Beitrag zum | |
9/11-Komplex geleistet. Und dieser Umstand scheint die hiesige Kritik | |
einzulullen. Dabei ist "Marionetten" ein schnell gestrickter Roman, der | |
noch nicht einmal wirklich spannend ist. "Marionetten" schildert die | |
Ankunft eines verwirrten und verwirrenden jungen Mannes in Deutschland - | |
ein illegaler Flüchtling, halb Russe, halb Tschetschene, ein Muslim und | |
offensichtlich ein Folteropfer, neben all diesem zudem schrecklich naiv. | |
Dieser junge Mann hat ein Geheimnis, das ihn nicht nur für seine Anwältin, | |
sondern auch für einen Privatbankier, einen islamischen Geistlichen und für | |
nahezu alle westlichen Geheimdienste interessant werden lässt. | |
Dieser Junge ist eine gut konstruierte Figur, doch le Carré gibt sie | |
schnell aus der Hand, da er sich nicht traut, aus der Perspektive des | |
Muslims zu schreiben, all die anderen Köpfe seiner Figuren sind für seinen | |
Erzähler hingegen frei begehbar. Und er schafft eine Gut-Böse-Dichotomie, | |
die heutzutage völlig sinnlos ist. Wusste man im Kalten Krieg vielleicht | |
nicht immer, welcher Geheimdienstler denn nun der Good Guy war, so wusste | |
man doch stets, dass die westlichen den östlichen Staaten vorzuziehen | |
waren. | |
In diesem Thriller aber sind alle Staaten verdächtig, daher müssen die | |
handelnden Personen zu zwar belasteten, letztendlich aber freundlichen | |
Gutmenschen werden, die durch ein paar Trottel und ein paar richtig fiese | |
Männer und Frauen durch den Plot getrieben werden. | |
Noch schlimmer als die bald sehr vorhersehbare Handlung ist die Neigung le | |
Carrés, seine Leser zu unterschätzen und ihnen auch das beibringen zu | |
wollen, was sie als Krimi-, Thriller- und Spionageromanleser schon längst | |
wissen. | |
Mehr noch, um es sie wissen zu lassen, lässt er einige politische | |
Gegebenheiten, etwa radikalen Islam und seine Finanzierungswege, von | |
Figuren in Dialogen erklären. Diese Figuren aber, Geheimdienstler, wenden | |
sich nicht an unerfahrene Volltrottel, sondern an Geheimdienstler und | |
erzählen diesen dann sehr ausführlich, was der einigermaßen aufmerksame | |
Zeitungsleser auch schon wusste. Das ist so langatmig, wie es belastend | |
ist. | |
Es liest sich so: "Eines schönen Tages wird eine überschaubare Summe bei | |
dieser Bank eingezahlt, erläutert sie. Sagen wir in Amsterdam. Sagen wir | |
zehntausend Dollar. Ein guter Onkel kommt des Wegs und zahlt sie ein." | |
Dieselbe Aussage wird einfach noch mal wiedergekäut. Die Geheimdienstler, | |
die so belehrt werden müssen, benehmen sich denn nachher auch tatsächlich | |
wie Volltrottel, immerhin das. | |
Am Ende seines Romans nennt der gute Onkel le Carré sehr ausführlich seine | |
Quellen, es sind beeindruckend viele. Aber in einer Konstruktion, in der | |
diese Quellen nicht ausgewertet werden können, weil es bei Gut gegen Böse | |
bleiben soll, sind auch diese Quellen nichts als Namen. | |
21 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Jörg Sundermeier | |
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Hamburg | |
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