| # taz.de -- Nach dem Passauer Attentat: Was tun gegen rechts? | |
| > Machen Neonazis auf sich aufmerksam, wird reflexartig ein NPD-Verbot | |
| > gefordert. Aber was bringt das? Und was kann man außerdem tun? Die taz | |
| > hat nachgefragt, bei Künstlern, Forschern und der Polizei. | |
| Bild: Demonstrieren. Und was noch? | |
| Gesetze anwenden | |
| "Es muss Schluss sein mit der praktizierten Nachlässigkeit in Deutschland. | |
| Ich bin verblüfft, wenn nach wie vor abgestritten wird, dass es seit Jahren | |
| einen Rechtsterrorismus gibt. Von ihm geht die größte Gefahr im Inland aus. | |
| Wenn man den Kampf gegen rechts ernst nimmt, müssen die bestehenden Gesetze | |
| ausgeschöpft werden. Was das heißt? Dass der Staat rechte Straftäter | |
| wirklich verfolgt. Mit irgendwelchen Appellen an die Zivilgesellschaft ist | |
| es nicht getan." Feridun Zaimoglu, Schriftsteller | |
| Gemeinsam in die Kita | |
| "Man muss die Neonazis und die türkischen Schläger in denselben | |
| Kindergarten stecken. Natürlich bevor aus ihnen Neonazis und Schläger | |
| werden. Für die ausgewachsenen Glatzen habe ich kein Rezept, die sind | |
| meines Erachtens oft genauso verloren wie meine arabischen oder türkischen | |
| Intensivtäter. Ich sehe dieselben Gesichter immer wieder, am Verhalten ist | |
| ab einem gewissen Alter kaum noch etwas zu ändern. Deshalb sollten wir Maik | |
| und Ali ab drei Jahren zusammen in den Kindergarten gehen lassen, damit aus | |
| ihnen erst gar keine Neonazis und Schläger werden. Je früher hier gemischt | |
| wird, desto eher können Deutschstämmige und Einwanderer voneinander lernen. | |
| Einfach ausgedrückt: Die Migrantenkinder würden die deutsche Sprache besser | |
| lernen, die Deutschen etwas über andere Kulturen. Es mag etwas länger | |
| dauern, bis sich dadurch etwas ändert, aber dafür wäre es auch nachhaltig. | |
| Ein NPD-Verbot halte ich dagegen für wenig hilfreich. Schließlich | |
| verschwinden damit weder die Menschen noch ihre Einstellungen." Kirsten | |
| Heisig, Jugendrichterin. In 90er-Jahren betreute sie zahlreiche Fälle mit | |
| Neonazis im Berliner Ostbezirk Pankow | |
| Bei sich selbst beginnen | |
| "Der Kampf gegen Rassismus beginnt nicht in der Schule oder bei der | |
| Polizei, sondern bei uns selbst. Das heißt, wir müssen lernen, Zeichen von | |
| Rassismus oder Rechtsextremismus in unserer Umgebung wahrzunehmen, und wir | |
| müssen uns aktiv dazu verhalten. Um ein Beispiel zu nennen: Bei uns an der | |
| Universität prangte in den Umkleidekabinen drei Jahre lang sichtbar ein | |
| Hakenkreuz und der Spruch "Türken raus" - ohne dass das bei uns | |
| thematisiert wurde. Gunter A. Pilz, Fußballfan-Forscher an der Universität | |
| Hannover | |
| Den Rechten das Geld wegnehmen | |
| "Ich beobachte bei vielen Menschen inzwischen eine massive Gleichgültigkeit | |
| gegenüber Rechtsextremen. Viele denken, das Problem wird schon die Polizei | |
| oder eine andere Institution lösen. Es ist nicht genügend verbreitet, dass | |
| jede und jeder Einzelne für das demokratische Miteinander verantwortlich | |
| ist. Die Menschen in Deutschland müssen deshalb stärker ermutigt werden, | |
| sich gegen rechtsextreme Ideologien unbedingt aufzulehnen - vor allem von | |
| Seiten der Nichtregierungsorganisationen und Bildungseinrichtungen. Aber | |
| auch der Staat ist in der Pflicht. Er muss die Perspektivlosigkeit vieler | |
| Jugendlicher bekämpfen. Sie ist der Nährboden für rechte Ansichten. Auch | |
| ein Parteiverbot halte ich für sinnvoll. Denn den Rechtsextremen würden so | |
| wichtige öffentliche Gelder abhandenkommen. Zudem würde der Staat ein | |
| Zeichen setzen, dass er nicht alle Denkrichtungen duldet." Christa Wolf, | |
| Schriftstellerin | |
| Konservative nicht verunglimpfen | |
| "Die Fragestellung gibt auch einen Hinweis auf das, was nicht zu tun ist: | |
| Niemand setzt "links" mit "linksradikal" oder "autonom" gleich. Wir sollten | |
| aufhören, "rechts" mit "rechtsradikal" oder der NPD gleichzusetzen. Diese | |
| nur in Deutschland übliche Gleichsetzung und die damit verbundene | |
| Verunglimpfung konservativer Werte leistet einen nicht unerheblichen | |
| Beitrag zum Rechtsradikalismus." Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Präsident des | |
| Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) | |
| Mehr konkrete Projekte | |
| "Wir brauchen eher konkrete Angebote und Projekte gegen rechts als eine | |
| erneute Debatte um die Frage NPD-Verbot ja oder nein. Wir haben in | |
| Nordrhein-Westfalen eine Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus | |
| gegründet. Hier werden mobile Interventionsteams aufgebaut, die direkt vor | |
| Ort helfen beim Kampf gegen rechts." Armin Laschet, CDU-Politiker und | |
| Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen | |
| Mehr Druck auf Unbelehrbare | |
| "Es ist wichtig, dass die Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus | |
| engagieren, nicht alleine gelassen werden. Der Passauer Polizeichef, den | |
| jetzt alle loben, hat ja seinen Kampf offenbar lange recht einsam geführt. | |
| Er musste selbst einen Anwalt bezahlen, damit rechtsextreme Schmähungen | |
| gegen ihn von Internetseiten verschwanden. Das darf nicht passieren. Zum | |
| Zweiten müssen Polizei und Justiz dem harten, unbelehrbaren Kern der Szene | |
| klar machen, dass sie ständig unter Beobachtung stehen. Sie müssen einen | |
| stetigen Druck spüren. Drittens brauchen wir Schulen, die ganz anders | |
| funktionieren als heute. Die Schüler müssen tatsächlich mitentscheiden | |
| dürfen, was an ihren Schulen passiert. Nur wer Demokratie erfährt, lernt | |
| sie zu schätzen. Und zum Vierten müssen die Aussteigerprogramme für | |
| Neonazis weiterhin bestehen. Wir müssen so viel wie nur irgend möglich | |
| unternehmen, um die Jugendlichen aus der rechtsextremen Szene wieder | |
| herauszuholen. Die Debatte über ein NPD-Verbot halte ich dagegen für | |
| verlogen und scheinheilig. Ein Verbot hätte diesen Anschlag nicht | |
| verhindert. Zudem haben diese Forderungen einen schalen Beigeschmack. Es | |
| sieht nämlich so aus, als gäbe es Opfer erster und zweiter Klasse, wenn | |
| jetzt von einem Paradigmenwechsel bei den Rechtsextremen gesprochen wird. | |
| Den gibt es nicht: Wir haben seit Jahren Verletzte und Tote nach | |
| Übergriffen durch Neonazis zu beklagen." Stephan Kramer, Generalsekretär | |
| des Zentralrats der Juden | |
| Die bessere Party organisieren | |
| "Meines Erachtens kann man vor allem zwei Dinge tun: Das eine ist, eigene, | |
| subkulturelle Strukturen aufzubauen, um so Jugendlichen, die noch nicht | |
| vollständig politisiert sind, ein kulturelles Angebot zu liefern, das sich | |
| politisch abgrenzt. Man könnte auch sagen: Die bessere Party organisieren. | |
| Das Zweite ist, den Nazis auf der Straße Grenzen aufzuzeigen, und in | |
| Fällen, wie neulich in Leipzig-Grünau, als ein Brandanschlag auf einen | |
| zivilgesellschaftlichen Treffpunkt verübt wurde, mit einer großen | |
| Menschenmenge zu protestieren. Das Ziel muss sein, Stadtteile zu schaffen, | |
| in denen sich die Nazis nicht alles trauen." Markus Streiter, Antifa | |
| Leipzig | |
| Die Volksparteien am Zündeln hindern | |
| "Es reicht nicht, zu sagen: ,Im Osten sitzen ein paar Neonazis, und das | |
| wars.' Man muss sich in den eigenen Reihen umschauen, das gilt für | |
| Gewerkschaften und Unternehmen genauso wie für Kirchen. Wichtig ist, dass | |
| die großen Parteien im Wahlkampf 2009 nicht wieder zündeln, wie etwa Roland | |
| Koch das in Hessen zuletzt gemacht hat. Und wir müssen alle aufpassen, dass | |
| nicht wieder Ausländer zu Sündenböcken gemacht werden, wenn jetzt die | |
| Wirtschaftslage kippt. Außerdem brauchen wir demokratischere Strukturen in | |
| Schulen, Universitäten und Betrieben, damit die Menschen mehr mitbestimmen | |
| können." Elmar Brähler, Rechtsextremismusforscher an der Universität | |
| Leipzig | |
| Die alternative Szene fördern | |
| "Es gibt so gut wie keine Kommune und Gemeinde, in der der | |
| Rechtsextremismus kein Thema ist. Unabhängig davon, wie groß das jeweilige | |
| Ausmaß ist, Rassismus und Rechtsextremismus müssen dort vor Ort in den | |
| regionalen Gremien behandelt werden. Man darf nicht wegsehen. Und dort, wo | |
| eine alternative, nichtrechte Jugendkultur im Ansatz spürbar ist, muss man | |
| sie effektiv fördern und unterstützen. Die Auseinandersetzung darf dabei | |
| auch nicht auf den Rechtextremismus reduziert werden, es geht vielmehr um | |
| den alltäglichen Rassismus, und das muss vor allem den gesellschaftlichen | |
| Verantwortungsträgern bewusst werden." Torsten Fischäder, Mitarbeiter im | |
| soziokulturellen Zentrum Treibhaus e. V. in Döbeln | |
| Mehr Vielfalt in Betrieben | |
| "Rechtsextremimus darf keinen Platz in der Gesellschaft haben. Gerade in | |
| den Betrieben gelingt das Zusammenleben verschiedener Nationalitäten gut. | |
| Wer mit seiner eigenen wirtschaftlichen Situation zufrieden ist, hat zudem | |
| weniger Veranlassung, dem Fremdem im Alltag zu misstrauen. Deshalb ist eine | |
| gute Integration von Migranten in der Arbeitswelt entscheidend. Dazu | |
| gehört, dass Betriebe die speziellen Fähigkeiten und die Kompetenzen ihrer | |
| Mitarbeiter zielgerichtet einsetzen und die kulturelle Vielfalt fördern." | |
| Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen | |
| Industrie- und Handelskammertags | |
| Selbstbewusste Kinder | |
| "Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat immer davor gewarnt, Rechtsextremismus als | |
| Problem der neuen Bundesländer zu behandeln. Wir haben immer gesagt: Das | |
| wird irgendwann im Westen ankommen. Auch das Warten auf eine grundlegende | |
| Reform des Schulsystems ist kontraproduktiv. Wichtig ist, sich jetzt zu | |
| fragen, wie aus Kindern und Jugendlichen selbstbewusste Erwachsene werden, | |
| die bereit sind, eine Kultur der Anerkennung zu leben. Man muss, gerade auf | |
| kommunaler Ebene, genauer hinsehen, anstatt das Thema für Parteispielchen | |
| zu missbrauchen. Das schreckt die Leute ab und führt auch zu | |
| Demokratiemüdigkeit. Aber Gesellschaftspolitik ist in Deutschland nicht | |
| wirklich populär. Das zeigt auch die Reform der staatlichen Förderung, die | |
| die Situation vieler gerade kleinerer Initiativen gegen rechts nicht | |
| verbessert, sondern verschlechtert hat." Anetta Kahane, Vorsitzende der | |
| Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen eine Ausbreitung der rechtsextremen | |
| Alltagskultur stemmt | |
| Rechtes Gedankengut nicht dulden | |
| "Sachsen hat bereits frühzeitig mit der eigens eingerichteten ,Soko Rex' | |
| auf die Bedrohung durch den Rechtsextremismus reagiert. Vor einem Monat | |
| wurde die Soko Rex personell aufgestockt auf jetzt 30 Beamte. Wir haben | |
| auch in der Vergangenheit mit den Verboten der Skinheads Sächsische Schweiz | |
| und der Kameradschaft Sturm 34 gezeigt, dass in Sachsen dem | |
| Rechtsextremismus klar begegnet wird. Ich würde mir wünschen, dass die | |
| Gesellschaft Tag für Tag deutlich macht, dass sie das Gedankengut dieser | |
| Leute nicht duldet." Bernd Merbitz, Landespolizeipräsident Sachsen | |
| Integration in die Wirtschaft | |
| "Gegen Fremdenfeindlichkeit und Radikalismus hilft Integration. Die | |
| deutsche Wirtschaft praktiziert die Integration von Ausländern in | |
| Deutschland jeden Tag: in ihren Betrieben und durch ihre internationalen | |
| Kontakte. Unser heutiger Wohlstand wäre ohne ausländische Mitbürger nicht | |
| möglich." Thomas Hüne, BDI-Sprecher | |
| Protokolle: Wolfgang Gast, Ariane Lemme, Veit Medick, Daniel Schulz, Wolf | |
| Schmidt, Deniz Yücel | |
| 16 Dec 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| W. Gast | |
| A. Lemme | |
| V. Medick | |
| D. Schulz | |
| W. Schmidt | |
| D. Yücel | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
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