# taz.de -- Debatte NPD-Verbot: Die V-Mann-Falle | |
> Vertrauensleute des Verfassungsschutzes sollen die Neonaziszene | |
> bekämpfen, tatsächlich aber unterstützen sie sie. Demokratische | |
> Ehrenmänner sind sie keinesfalls. | |
Bild: Wie kriminell ist die NPD? Und wie kriminell die V-Leute? | |
Brandstiftung, Mordaufrufe, Waffenhandel und Gründung einer terroristischen | |
Vereinigung - das sind nur einige der Straftaten, die die sogenannten | |
"Vertrauensmänner" des Verfassungsschutzes im Schutz ihrer Legende begehen. | |
V-Männer waren es auch, die an führender Stelle in der | |
Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) tätig wurden - und deren | |
klandestine Tätigkeit für die Sicherheitsbehörden ein Verbotsverfahren | |
gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht 2003 zum Scheitern brachte. | |
Für das Verfassungsgericht war es schwierig geworden, den Unterschied | |
zwischen einer "echten" NPD und einer vom Verfassungsschutz unterwanderten | |
NPD auszumachen. Was die Karlsruher Richter am meisten erboste: V-Leute des | |
Verfassungsschutzes hatten an führender Stelle in der rechtsextremen Partei | |
jene belastenden Belege mitproduziert, die dann zur Begründung eines | |
Verbots der Partei herhalten sollten. | |
## Unkontrollierte Grauzone | |
Rund 130 dieser "Vertrauensmänner" der verschiedenen Verfassungsschutzämter | |
sollen auch heute noch in den verschiedenen Gliederungen der NPD tätig | |
sein. Bestätigt wird diese Zahl von den Behörden aus Geheimhaltungsgründen | |
nicht, sie erscheint aber im Licht des vor acht Jahren zu Ende gegangenen | |
Verbotsverfahrens plausibel. Damals wurde berichtet, dass etwa dreißig der | |
führenden NPD-Funktionäre im Dienste des Inlandsgeheimdienst gestanden | |
hätten. | |
Wenn heute angesichts der vielfältigen Kontakte zwischen den Terroristen | |
des Nationalsozialistischen Untergrund, der Neonaziszene und der NPD erneut | |
über ein Verbot der Nationaldemokraten diskutiert wird, wäre das Anlass | |
genug, eine lang verdrängte Tatsache ins öffentliche Bewusstsein | |
zurückzuholen: die Tatsache, dass der Geheimdienst im Auftrag der | |
Exekutiven in kaum kontrollierbaren Grauzonen mit allerlei ausgesprochen | |
fragwürdigen Methoden operiert. | |
Dass V-Leute keine Ehrenmänner sind, die die Demokratie, die | |
Verfassungsordnung oder schlicht den menschlichen Anstand retten oder | |
verteidigen wollen, ist hinlänglich bekannt. Wer seine Kameraden bei den | |
Behörden anschwärzt, darf keine besondere Sympathie erwarten. Weitgehend | |
verdrängt wird aber, wozu diese Rassisten, Schläger und Rechtsideologen mit | |
Duldung der Sicherheitsbehörden tatsächlich fähig waren und sind. | |
Timo Brandt etwa, 1994 vom Verfassungsschutz in Thüringen als V-Mann Nummer | |
2045 unter dem Decknamen "Otto" angeworben, war Spitzenfunktionär des | |
NPD-Landesverbands. Er agierte dort als Sprecher einer "revolutionären | |
Plattform", er organisierte über die Jahre alle großen NPD-Aufmärsche. Er | |
war auch Chef des "Thüringer Heimatschutzes", dem die spätere Zwickauer | |
Mordbande um Mundlos, Bönhardt und Zschäpe angehörte. 200.000 DM soll | |
Brandt in sechs Jahren an Spesen und Prämien kassiert haben, die er | |
vorwiegend in den Aufbau seines Heimatschutzes und anderer rechtsextremer | |
Strukturen steckte. | |
"Die ausgesprochen konstruktive Arbeit des Kameraden Brandt", lobte | |
seinerzeit der NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, hat sehr dazu beigetragen, dass | |
der Landesverband Thüringen wieder Tritt gefasst hat." Tatsächlich stieg | |
die Mitgliederzahl der NPD unter Timo Brandt, der sich selber zum | |
"Überzeugungsspitzel" erklärte, deutlich an. "Otto" hat auch die gesamte | |
Karriere des Zwickauer Terrortrios bis zu seinem Abtauchen Anfang 1998 | |
mitverfolgt. | |
## Fehlgeleitete Informationen | |
Der amtierende Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, | |
Thomas Sippel, fasste vor dem Innenausschuss des Landtages Ende vergangenen | |
Jahres zusammen, was alle Verfassungsschutzämter seit Jahren zum Besten | |
geben: "Es braucht qualitativ gute Quellen, um diese Szene überhaupt | |
penetrieren zu können und Ermittlungsansätze zu finden." Sippel brüstete | |
sich weiter damit, dass sein Amt "zum Auffinden des Unterschlupfes des | |
Trios", gemeint war die Zwickauer Terrorzelle, auch V-Leute eingesetzt | |
habe. | |
Die lieferten aber nicht nur zutreffende Hinweise auf einen Aufenthaltsort | |
der Gesuchten, sie setzten darüber hinaus sowohl das Landesamt als auch die | |
Zielfahnder der Polizei auf falsche Fährten: Mal hieß es, die drei seien in | |
Südafrika untergetaucht, mal hieß es, sie seien auf Kreta tot aufgefunden | |
worden. "Möglicherweise bewusst fehlgeleitete Informationen", urteilte dazu | |
Jörg Zierke, Chef des Bundeskriminalamts in Wiesbaden. | |
## Im Auftrag der Partei | |
Über den Einsatz von V-Leuten wird aus Gründen des "Quellenschutzes" nach | |
wie vor der Schleier der Geheimhaltung ausgebreitet. Angesichts der bislang | |
bekannt gewordenen Fälle drängt sich allerdings die Frage auf: Führt der | |
Einsatz von "Vertrauenspersonen" nicht zwangsläufig dazu, dass der | |
Verfassungsschutz praktisch zur Verfestigung ebenjener Szene beiträgt, die | |
er eigentlich beobachten und bekämpfen soll? | |
Noch zugespitzter könnte gefragt werden, wer hier eigentlich wen durch die | |
Arena zieht: der Verfassungsschutz die rechte Szene oder doch eher die | |
Rechten die Mitarbeiter des Geheimdienstes. Wolfgang Frenz zum Beispiel war | |
von 1959 bis 1995 V-Mann und langjähriges Mitglied im Bundesvorstand der | |
NPD. Für seine Kontakte zu den Schlapphüten hatte er sich seinerzeit das | |
Plazet des damaligen Parteichefs Adolf von Thadden geholt. | |
Im Kampf gegen den rechten Extremismus sind die Erfolge des | |
Verfassungsschutzes ausgesprochen bescheiden. Weder konnte er das | |
zunehmende Gewicht rechtsextremer Organisationen zuverlässig | |
prognostizieren, noch konnte er nennenswert zur Aufklärung von Straftaten | |
beitragen, die von Neonazis begangen wurden. | |
Im Gegenteil: Während antirassistische Initiativen, Bürgerrechts- und | |
Ausländerorganisationen die zunehmende Vernetzung neonazistischer | |
Organisationen anprangerten, bagatellisierten die | |
Verfassungsschutzbehörden: Terroristische Strukturen seien in der | |
rechtsextremen Szene nicht auszumachen. Dass sich in Zwickau unter dem | |
Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" ebensolche Strukturen gebildet | |
hatten, ist den Verfassungsschützern entgangen, aller eingeschleusten | |
V-Leute zum Trotz. | |
5 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Gast | |
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