# taz.de -- Trend Ökokleidung: Öko-à-porter | |
> Der Markt für Ökokleidung wächst. Auch Ketten wie H&M und C&A steigen | |
> ein. Was fehlt, ist ein einheitliches Textilsiegel. | |
Bild: Springt auf auf den Ökozug: Billigklamottenkette H & M. | |
Die persönliche Ökorevolution begann für viele im Kühlschrank: Mit Bioessen | |
die Umwelt entlasten und etwas für die eigene Gesundheit tun - das ist | |
mittlerweile Mainstream. Doch im Kleiderschrank hängen selbst bei Ökoessern | |
immer noch Textilien, die mit hochgiftigen Pestiziden und klimaschädlichem | |
Mineraldünger produziert wurden. Nicht mehr lange, glaubt man | |
Trendforscherin Anja Kirig vom Zukunftsinstitut in Kelkheim. Sie sagt: | |
"Ökokleidung ist ein Verbrauchertrend, der in der breiten Masse angekommen | |
ist." | |
Das Geschäft mit umwelt- und sozialverträglich produzierten Textilien | |
boomt. Die Kette C&A hat angekündigt, den Anteil von Bio an ihren | |
Baumwollprodukten in Europa dieses Jahr auf 10 Prozent zu steigern. 2008 | |
habe das Unternehmen bereits 8.000 Tonnen verkauft, sagt Sprecher Thorsten | |
Rolfes. Konkurrent H&M will 2009 nach eigenen Angaben die Menge von | |
Produkten mit der Aufschrift "Organic Cotton" weltweit auf rund 3.000 | |
Tonnen erhöhen. Vor drei Jahren waren es erst 30 Tonnen umweltfreundliche | |
Baumwolle. Und in vielen Städten eröffnen insbesondere junge Designer | |
Läden, die Bio verkaufen. | |
Die weltgrößte Ökomesse, BioFach, die am Donnerstag in Nürnberg startet, | |
macht das Thema zu einem neuen Schwerpunkt: Zum ersten Mal stellen rund 50 | |
Firmen in einer eigenen Abteilung "Green Fashion" aus. "Die höhere | |
Nachfrage nach Ökotextilien ist die logische Konsequenz des Booms bei | |
Biolebensmitteln", sagt Trendforscherin Kirig. Das Thema Ökoessen habe die | |
Verbraucher für verantwortungsvollen Konsum sensibilisiert. "Jetzt wächst | |
der Wunsch, nicht nur beim Essen, sondern auch beim Anziehen ein gutes | |
Gewissen zu haben." Tatsächlich können Berichte über die konventionelle | |
Textilproduktion den Spaß an der Mode verderben (siehe Interview): hoher | |
Energie- und Ressourcenverbrauch, Gifte und miserable Arbeitsbedingungen. | |
Biotextilien dagegen versprechen je nach Siegel zum Beispiel pestizidfreien | |
Anbau und Einhaltung hoher Sozialstandards. | |
Aber die Verbraucher hätten zusätzlich ihre eigenen Interessen im Blick, | |
sagt Kirig. "Es geht um den Gesundheitsaspekt." Viele Menschen beunruhige | |
es, dass bestimmte Farbstoffe möglicherweise krebserregend sind. Manche | |
Chemikalien in der Kleidung, zum Beispiel Chromat in Lederwaren, können | |
Allergien auslösen. Diese Sorgen sind wohl auch der Grund, weshalb der | |
Bioanteil bei Babykleidung besonders hoch ist. "Babys sind vom | |
Allergiestandpunkt aus gesehen am empfindlichsten ", erklärt Heike Scheuer, | |
Sprecherin beim Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft. Auch | |
Unterwäsche und T-Shirts für Erwachsene gebe es häufig in Bio. Scheuer | |
sagt: "Die ist der Haut schließlich am nächsten." | |
Dennoch spielt Bio im deutschen Textilhandel mit seinen 60 Milliarden Euro | |
Jahresumsatz immer noch eine untergeordnete Rolle. Genaue Zahlen gibt es | |
nicht. "Der Ökoanteil an der weltweiten Baumwollproduktion ist | |
verschwindend gering", sagt Gudrun Höck, Referentin des Branchenverbands | |
BTE. Jährlich werden weltweit 25 Millionen Tonnen Baumwolle angebaut - nur | |
60.000 davon in Bioqualität. Doch auch Höck geht davon aus, dass dieser | |
Zweig wachsen wird. Der Preis scheint jedenfalls kein großes Problem zu | |
sein. Bei H&M kostet eine Ökodamenjeans mit 39,90 Euro genauso viel wie | |
eine konventionelle. Zwar ist Biobaumwolle wegen der geringeren Erträge auf | |
den Feldern teurer als konventionelle. Aber das Material macht bei | |
Textilien nur einen Bruchteil der Gesamtkosten aus. | |
Einen neuen Wachstumsschub könnte ein staatliches Siegel für Biokleidung | |
bringen. "Wir brauchen ein einheitliches Siegel, das der Verbraucher sofort | |
erkennt", fordert die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate | |
Künast. Sie hat als damalige Agrarministerin schon das sechseckige | |
Gütezeichen für Ökolebensmittel durchgesetzt. So wie für Essen müsse die | |
Europäische Union auch für Kleidung Ökokriterien in einer Richtlinie | |
vorgeben. Beim Anbau etwa der Baumwolle dürften keine | |
chemisch-synthetischen Pestizide benutzt werden. Auch die Färbemittel | |
sollten umweltfreundlich sein. Außerdem fordert Künast Standards für die | |
Arbeitsbedingungen in der Produktion. Ihr Ziel: "Das Siegel muss den | |
gesamten Produktionsprozess vom Acker bis in den Schrank zertifizieren." | |
Bisher verwirrt die Verbraucher ein wahrer Siegeldschungel. Ungefähr | |
zwanzig verschiedene Gütezeichen dürften in Deutschland auf dem Markt sein. | |
Viele davon vergeben sich die Hersteller selbst. Und manche wie das Siegel | |
"Öko-Tex Standard" kommen zwar bio daher, verlangen aber nicht völlig | |
pestizidfreien Anbau. Einige Gütezeichen garantieren faire | |
Arbeitsbedingungen, andere wieder nicht. | |
Als Schritt zu einem EU-Siegel fordert Künast eine nationale | |
Deklarationspflicht für Chemikalien in der Kleidung. Derzeit muss auf den | |
Etiketten nur das Material genannt werden. "Das reicht nicht", sagt die | |
Politikerin. Sie plädiert für Informationen zum Beispiel über | |
allergieauslösende Stoffe oder Pestizidrückstände. "Dann", sagt Künast, | |
"sieht Biokleidung noch viel besser aus." | |
Mit beiden Vorschlägen stößt sie jedoch auf Widerstand. Die EU-Kommission | |
begnügt sich mit dem Europäischen Umweltzeichen (EU-Blume), das aber keine | |
Sozialstandards einfordert. "Zumindest derzeit planen wir kein weiteres | |
Label", sagt Kommissionssprecherin Barbara Helfferich. | |
Auch Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) verweist bei der Frage | |
nach neuen Standards und Siegeln auf die bestehenden Regelungen. Der Handel | |
sieht vor allem eine erweiterte Deklarationspflicht skeptisch, weil die | |
benutzten Materialien sich schnell änderten. Künast ist trotzdem | |
optimistisch: "Ich schätze, dass es in fünf Jahren ein einheitliches | |
EU-Siegel für Textilien gibt." | |
19 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
Jost Maurin | |
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