# taz.de -- Riesiges Grenzbiotop: Die Grüne Transformation | |
> Die Biotope am ehemaligen Todesstreifen durch Europa haben das Begehren | |
> der Naturschützer geweckt | |
Bild: Alter DDR-Wachturm am Point Alpha | |
An einem Ort wie Point Alpha in der nördlichen Rhön ist der Schrecken eines | |
drohenden dritten Weltkriegs immer noch präsent. Point Alpha war einmal ein | |
exponierter Spähposten der Westmächte. Im direkten Blickkontakt mit den | |
Grenzposten auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Hier erwarteten | |
die Militärs der Nato einen Durchbruch der Truppen des Warschauer Paktes in | |
Richtung Rhein/Main. In Deutschland, dicht bestückt mit Atomwaffen wie | |
sonst keine zweite Region, wären im Ernstfall alle Waffenarsenale | |
hochgegangen. | |
Jetzt, zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, ist Point Alpha eine Mahn-, | |
Gedenk- und Bildungsstätte. Man guckt nicht mehr "rüber", sondern mitten | |
rein in die wundervolle Landschaft der Rhön mit ihren offenen Fernen. Die | |
berüchtigte Staatsgrenze, die hier windungsreich und hässlich wie eine | |
dicke Narbe durch die Landschaft lief, ist voll ergrünt. Wanderer auf dem | |
neuen Point-Alpha-Premium-Wanderweg haben die Chance, die originalen | |
Betonplatten des Kolonnenweges unter den Füßen zu spüren, ansonsten sind | |
Natur und Landschaft die Highlights. Seit das "Grüne Band" Wirklichkeit | |
geworden ist, hat die alte Demarkationslinie neben ihrer politischen | |
Vergangenheit auch ein einzigartiges Naturschutzprojekt zu bieten. | |
Mit dem "Grünen Band" versuchen Naturschützer seit geraumer Zeit, die Natur | |
von Todeszone und militärischen Sperrgürteln entlang der Grenze zu | |
erhalten. Dazu gehört die Pioniervegetation, die sich ganz allmählich nach | |
dem Ende der Rodungen und Pestizidgaben wieder einfand und sich nun | |
prächtig entwickelt. Vor allem aber geht es ihnen um die Brachen und | |
Rückzugsräume für Tiere, die sich, so makaber es sich anhört, im Schutz des | |
Eisernen Vorhanges weiträumig halten konnten. Die über 30 Jahre andauernde | |
Nutzungsruhe ist der Natur der Grenzregionen gut bekommen. Seltene und vom | |
Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten haben im Niemandsland ihre | |
Refugien gefunden. Für den Naturschutz ist dies ein Glücksfall - von | |
beträchtlichem Ausmaß. Die Grenze, die Deutschland teilte, erstreckte sich | |
immerhin über 1.393 Kilometer. | |
Dass es mit dieser Grenznatur etwas Besonders auf sich hatte, war | |
Naturfreunden schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs klar. Im Herbst 1989 | |
organisierte der Bund Naturschutz Bayern gemeinsam mit Naturschützern aus | |
der DDR zu diesem Thema eine Tagung. Sie formulierten als Erste das | |
ehrgeizige Ziel, den deutsch-deutschen Grenzverlauf mit einer Breite von 50 | |
bis 200 Metern unter Schutz zu stellen. Als 2001/02 der BUND die komplette | |
Bestandsaufnahme durchführte, konnten 109 verschiedene Biotoptypen erfasst | |
werden. Fast die Hälfte der Flächen waren gefährdete Biotoptypen der Roten | |
Liste Deutschlands. Vor allem aber der Verbund aus den unterschiedlichsten | |
Lebensräumen selbst faszinierte. Er bildet einen Querschnitt durch fast | |
alle deutschen Landschaften. Fast überflüssig zu erwähnen, dass man auch | |
ornithologisch beeindruckende Funde machte, etwa die sehr selten gewordenen | |
Braunkehlchen. | |
Für Deutschland, das notorisch den europäischen Vorgaben zur Ausweisung von | |
Naturschutzgebieten hinterherhinkt, war das eine gute Gelegenheit zum | |
Aufholen. Aber so einleuchtend der Schutzgedanke war, so schwierig | |
gestaltete er sich. Nach der Wende wollte/sollte das Land um jeden Preis | |
zusammenwachsen, eine gemeinsame Infrastruktur musste her, und Straßen und | |
Bahnlinien, Gewerbegebiete sollten in die Landschaft gepflanzt werden, die | |
Landwirtschaft wollte neue Flächen. Und der Bund, dem der militärische | |
Grenzstreifen nun gehörte, hätte sein neues Eigentum gern versilbert. | |
Tatsächlich musste die Bundesregierung etliches Grenz-Land an Länder, | |
Kommunen und öffentliche Einrichtungen vergeben. Mit dem | |
Mauergrundstücksgesetz von 1996 ermöglichte sie früheren Eigentümern den | |
Rückkauf ihrer Flächen zu 25 Prozent des Verkaufswertes. Aber prinzipiell | |
stand das Grenz-Land dem freien Markt offen. Und während die | |
Finanzverwaltung noch hoffte, daran zu verdienen, engagierte sich längst | |
das Bundesamt für Naturschutz für das "Grüne Band" - es finanzierte | |
beispielsweise die Kartierung der Grenzbiotope. | |
2003 schließlich bedachte die Bundesregierung das "Grüne Band" mit dem | |
neuen Ehrentitel "Nationales Naturerbe" und beschloss die Übergabe ihrer | |
Flächen an den Naturschutz. Das heißt: Man wollte es den Ländern übergeben, | |
die per Gesetz für Naturschutzgebiete zu sorgen haben. Doch da mauerten die | |
Länder. Sie wollten das Geschenk nicht auch noch extra finanzieren müssen, | |
jedenfalls nicht die Förster des Bundes, die ihnen die Regierung als | |
zusätzliche Personalkosten in Aussicht stellte. | |
Die Geschichte des "Grünen Bandes" hat das Format einer Posse. Leider. Denn | |
während des jahrelangen Tauziehens wurden auch die Löcher im Band immer | |
zahlreicher und größer. Die Naturschützer vom BUND übten sich unterdessen | |
in Selbsthilfe. Sie kaufen seit 1999 selbst Grenz-Land, ausschließlich aus | |
Privatbesitz und vorzugsweise besonders wertvolle Biotoptypen. Finanziert | |
wird der Landkauf durch Anteilscheine für 65 Euro das Stück, die jeder, der | |
will, erwerben kann. Die Anteilscheine sind symbolisch, die alljährlichen | |
Aktionärsversammlungen dagegen sind echt. Man trifft sich im Grünen, bei | |
Wind und Wetter, erprobt dabei einen neuartigen Grenz-Natur-Tourismus mit | |
Picknick, Radtouren, Nachtwanderungen, Vorträgen von Fachleuten. Der | |
Zuspruch sei ungemein, heißt es beim BUND. Inzwischen gehören ihm 3,5 | |
Prozent des "Grünen Bandes". | |
Ende 2008 gab es Anlass zum Jubeln. Als erstes Bundesland einigte sich | |
Thüringen mit dem Bundesfinanzministerium und übernahm den mit 763 | |
Kilometern Länge größten Teil des innerdeutschen Bandes. Jetzt hat | |
Thüringen den Auftrag, "zu erhalten, zu entwickeln und zu schützen". Das | |
Land kann bereits interessante Vorhaben vorweisen. Beispielsweise einen | |
Grenzwanderweg in der Wartburgregion, der neben der Natur des "Grünen | |
Bandes" auch zahlreiche Grenzmuseen und landschaftliche Höhepunkte mit | |
einschließt, die einst militärisch abgeriegelt waren. Auch Point Alpha in | |
der Rhön liegt auf dieser Route. Die Chancen für das "Grüne Band" stehen | |
also gar nicht so schlecht. Die vorläufige Bilanz: Über 80 Prozent sind - | |
als Lebensraumverbund - noch intakt. Hundertfünfzig Naturschutzgebiete sind | |
im grünen Korridor und entlang der ehemaligen Grenze ausgewiesen worden, | |
sie bedecken 28 Prozent der Fläche. | |
Die Bedeutung des "Grünen Bandes" ist gewachsen. Seit seiner | |
Internationalisierung sprechen auch andere Länder davon. Es soll nämlich | |
vom Eismeer bis zum Mittelmeer bzw. bis zum Schwarzen Meer als "Rückgrat | |
eines europäischen ökologischen Netzwerkes" entwickelt werden. Dafür macht | |
sich inzwischen die international renommierte Weltnaturschutzorganisation | |
IUCN stark. Seit 2004 koordiniert sie die Gesamtinitiative der | |
Organisationen, die das Projekt europaweit vorantreiben. Der | |
transeuropäische grüne Korridor auf der alten Markierung des Kalten Krieges | |
wird 23 Staaten berühren und 8.500 Kilometer lang sein (einschließlich der | |
Grenzen der ehemals blockfreien Staaten Jugoslawien und Albanien). | |
Es geht dabei, wie schon in Deutschland, um die Chance, Wildtieren ihre | |
Wanderungsmöglichkeiten zu erhalten, erklärt Liana Geidezis vom Projektbüro | |
des BUND. Wo Landschaften zerschnitten, fragmentiert sind, müssten | |
einerseits Lebensräume erhalten, Standorte gesichert werden, es müssten | |
aber auch Verbindungskorridore offen bleiben. Rentiere im hohen Norden | |
wollen wandern oder auch Wölfe. Ihnen käme ein grüner Korridor zwischen | |
Finnland und Russland zugute. | |
Bereits heute verläuft das "Grüne Band" durch einige große europäische | |
Schutzgebiete. Gerade die Randständigkeit der Grenzgebiete, die durch den | |
Eisernen Vorhang zementiert wurde, erleichterte seinerzeit die Einrichtung | |
von Nationalparken. Wo keine spezifischen wirtschaftlichen Interessen in | |
die Grenzgebiete drängten, blieb auch die Natur intakt. Wo sich | |
vorzugsweise "sanfter" oder "nachhaltiger Tourismus" in Grenzregionen | |
entwickelte, ist echte Wildnis sogar erwünscht. Je mehr davon, umso besser. | |
So bilden etwa der deutsche Nationalpark Bayerischer Wald und der | |
tschechische Nationalpark Sumava gemeinsam ein gewaltiges "grünes" Revier. | |
Ähnlich ist die Situation am Weltnaturerbe Neusiedler See. Sowohl auf | |
ungarischer als auch auf österreichischer Seite ist die Region | |
Nationalpark. Hier gibt es in der geschützten Natur noch einen weiteren, | |
politisch denkwürdigen Ort. Ein Gedenkstein erinnert an ein | |
"paneuropäisches Picknick", das im August 1989 direkt an der Grenze | |
stattfand. Es war als eine Art Friedensdemonstration gedacht, anlässlich | |
deren für drei Stunden der Eiserne Vorhang geöffnet wurde. Die Öffnung war | |
sollte eher symbolisch sein, aber über 600 DDR-Bürger nutzten diese | |
Gelegenheit zur Flucht in den Westen. Trotz des geltenden Schießbefehls | |
schritten die ungarischen Grenzer nicht ein. Das "paneuropäische Picknick" | |
gilt als ein Meilenstein aller Vorgänge, die zum Fall des Eisernen Vorhangs | |
führten. | |
Noch ist das "Grüne Band" wenig bekannt. Zumindest in Deutschland könnte | |
sich das bald ändern. Das Bundesamt für Naturschutz und der BUND haben den | |
Kontakt zu Touristikern und Marketingspezialisten aufgenommen, um auch | |
touristisch in die Offensive zu gehen. "Viabono", die Dachvermarktung | |
naturtouristischer Angebote in Deutschland, ist an der Entwicklung | |
spezifischer Erlebnisangebote beteiligt. Das Ziel sei, so Stefan Krug von | |
"Viabono", das "Grüne Band" durch touristische Angebote in Wert zu setzen. | |
Vorerst beschränkt man sich dabei auf drei Regionen. Thüringen (Thüringer | |
Wald, Thüringer Schiefergebirge, Frankenwald) wurde ausgewählt, des | |
Weiteren der Harz und die Region Elbe-Altmark-Wendland. Das Modell | |
"Nationalparktourismus" könnte sich wiederholen. Wenn erst einmal Touristen | |
die nationale Natur lieben, steigt ihr Ansehen, vor allem unter | |
Einheimischen. | |
[1][www.greenbelteurope.eu]; [2][www.europeangreenbelt.org]; | |
[3][www.dasgrueneband.info] | |
CHRISTEL BURGHOFF ist freie Journalistin und lebt in Frankfurt | |
14 Feb 2008 | |
## LINKS | |
[1] http://www.greenbelteurope.eu | |
[2] http://www.europeangreenbelt.org | |
[3] http://www.bund.net/gruenes-band/ | |
## AUTOREN | |
Christel Burghoff | |
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