# taz.de -- Killerspiele mal wieder am Pranger: World Of Bullshit | |
> Wie wäre es, statt der "Computerspiele" mal populistische Studien zu | |
> verbieten? Oder deren Lektüre erst "ab 18" zu erlauben? Es würde nichts | |
> helfen, die "Experten" sind nicht mehr zu stoppen. | |
Bild: Der tut nix, der will nur spielen: ein Ork aus "World Of Warcraft". | |
BERLIN taz Zwölf Seiten, vollgeschrieben von elf Autoren, liefert der | |
aktuelle Spiegel zum "Amoklauf des Tim K.". Und weil sich in dieser | |
haarsträubend voyeuristischen Titelgeschichte kein einziges die Tat | |
erhellendes Wort findet, schiebt die Redaktion sicherheitshalber gleich im | |
Anschluss drei Seiten zu einem völlig anderen Thema hinterher, denn: | |
"Deutschlands größte Jugendstudie kommt zu alarmierenden Ergebnissen: | |
Neuntklässler verbringen jeden Tag im Schnitt etwa 140 Minuten mit | |
Computerspielen - mehr als 14.000 gelten als spielsüchtig. Hauptattraktion: | |
das Online-Spektakel ,World Of Warcraft'." | |
Was uns das sagen soll? Dumme Frage, Tim K. "liebte" doch auch diese ganzen | |
"Computerspiele", und da kann man mal sehen, wohin das führt und woher so | |
was kommt. Erst "duschen" sich die "Jugendlichen" vor lauter Gedaddel nur | |
noch "alle zwei Wochen", trinken nur noch "Cola light" statt selbst | |
gepressten Orangensaft und essen "Pizza", wovon sie Pickel bekommen und | |
Ränder unter den Augen, und der Rest ergibt sich dann wie von selbst: | |
schlechte Noten, Vereinsamung, Massaker. | |
Eine noch dümmere Frage wäre, nebenbei bemerkt, ob so ein schicker Auftritt | |
auf dem Spiegel-Titel für labile Jugendliche mit Ich-Schwäche nicht auch | |
ein entscheidender Anreiz zum Amoklauf sein könnte. Aber das fragen wir | |
besser mal nicht, das führt zu weit, nämlich zu öden Diskussionen über den | |
Bildungsnotstand oder die journalistische Ethik. | |
Selten jedenfalls ist nach einem Ereignis, bei dem es so wenig zu verstehen | |
gibt, die öffentliche Debatte so schnell ins Groteske und Ärgerliche | |
verrutscht wie in diesem Fall. Je boulevardesker das Medium, desto | |
dringlicher muss es seinem Publikum eine Erklärung liefern, ein Motiv, | |
einen Grund, einen letzten, nicht weiter hinterfragbaren und doch sofort | |
einleuchtenden Anstoß - und kann nicht. | |
Es sei denn, ein Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut | |
Niedersachsen kommt daher mit seiner [1][Studie] zu "World Of Warcraft", | |
für die er 44.610 Neuntklässler befragt und ermittelt haben will, dass 3 | |
Prozent der Jungs "süchtig" sind, so richtig süchtig, als wärs Alkohol oder | |
Kokain - und kein Spiel. Ein Spiel übrigens, das, wie jedes gute Spiel, | |
zwar durchaus einen gewissen "Suchtfaktor" aufweist, ansonsten aber so | |
"blutrünstig" ist wie Poker. | |
Hier trifft das, was Harald Staun in der FAS sehr richtig als medialen | |
"Aufklärungsfanatismus" bezeichnet hat, ungebremst auf das | |
"Medienwirkungsgequatsche" von Leuten wie Christian Pfeiffer - der, wir | |
erinnern uns, 2000 vermittels seiner Expertise und eines "Gutachtens" den | |
peinlichen Sebnitz-Fall erst losgetreten hat: Rechtsextreme hätten im | |
Schwimmbad der sächsischen Kleinstadt unter dem Beifall der übrigen | |
Besucher den 8-jährigen Joseph Kantelberg-Abdullah ertränkt. | |
Wenn man "World Of Warcraft" etwas vorwerfen kann, dann höchstens, dass es | |
die Jugendlichen auf spielerische Weise mit den Grundgesetzen des | |
Kapitalismus vertraut macht. Als "Charakter" begegnet der Spieler anderen | |
Figuren, mit denen er kommunizieren, handeln oder auch kämpfen kann, wobei | |
es allerdings wesentlich zahmer zugeht als beim Massengemetzel in Filmen | |
wie "Herr der Ringe". | |
Nun mag man von Rollenspielwelten à la "Herr der Ringe" halten, was man | |
will - zur "Vereinsamung" tragen sie nicht bei, stehen die Spieler doch | |
gerade im Onlinemodus in regem Kontakt miteinander, tauschen sich aus, | |
treffen sich bisweilen sogar ganz wirklich zu LAN-Partys. | |
Natürlich kann mans mit "World Of Warcraft" auch übertreiben. Aber womit | |
kann man das nicht? Natürlich würde es helfen, wenn Eltern nur den Hauch | |
eines inhaltlichen Interesses für den spielerischen Zeitvertreib ihrer | |
Kinder aufbringen könnten - verbotswütige Experten wie Christian Pfeiffer | |
haben dafür keine Zeit, die sind offenbar zu sehr mit ihren Studien und | |
ihrer medienwirksamen Agenda beschäftigt. | |
Wesentlich ausdauernder noch als vorm Computer übrigens hocken die | |
Jugendlichen übrigens noch immer vor dem Fernseher. Dort stehen ihre | |
Chancen derzeit sehr gut, Christian Pfeiffer persönlich zu begegnen. Heute | |
Abend etwa sitzt er um 22.15 Uhr bei Phoenix in der "Expertenrunde" zum | |
Thema: "Nach dem Amoklauf - Wie gefährlich sind Killerspiele?" | |
In der offiziellen Ankündigung dieser wichtigen Sendung ist allen Ernstes | |
von " ,Ego-Shootern' wie ,World Of Warcraft' " die Rede. Schon klar. | |
Diskutieren die Experten demnächst auch über "Pornofilme wie ,Bambi' "? | |
Daraus spricht mehr als nur Dummheit oder Desinteresse. Hier verbirgt sich | |
das eigentliche Problem: eine totale und selbstgefällige und | |
unerschütterliche Ignoranz gegenüber jugendlichen Lebenswelten. Das kann | |
wirklich aggressiv machen, aggressiver noch als sechs Stunden "Counter | |
Strike" am Stück. | |
17 Mar 2009 | |
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## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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