Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zensurforscher über Computerspiele: "Der Deutsche mag es gern gere…
> Die Berichte der Boulevardmedien sind gefährlicher als Videospiele, meint
> Zensurforscher Roland Seim. Über Jugendliche, die Verbotslisten als
> "Einkaufsliste" nutzen und typisch deutsche Regulierungswut.
Bild: Richtig Prestige hat nur, was verboten ist: Jugendlicher beim Spielen ein…
taz: Herr Seim, findet in Deutschland eine Zensur statt?
Roland Seim: Im Artikel 5 des Grundgesetzes steht: "Eine Zensur findet
nicht statt."Für Juristen fällt nur eine Vorzensur darunter. Die gibt es
zwar vor allem bei Filmen - in Gestalt der FSK (Freiwillige
Selbst-Kontrolle), und auch bei Computerspielen in Form der
Unterhaltungssoftware Selbst-Kontrolle (USK). Da das aber freiwillige und
halbstaatliche Selbstkontrollgremien sind, gelten sie nicht als
Zensurinstitutionen. Sie vergeben Altersfreigaben, verfügen Schnittauflagen
oder legen Entschärfungen nahe, und können, falls nach Meinung der
Juristenkommission Gewaltverherrlichung bzw. Pornographie vorliegt, die
Staatsanwaltschaften einschalten. Aber Jugendschutz und Kunstfreiheit sind
Grundrechte von Verfassungsrang, man sollte das nicht nur Juristen und
Pädagogen überlassen. Denn die Entscheidungen der USK oder der Gremien der
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM) betreffen letztlich
Millionen von Medienkonsumenten.
Was schlagen Sie vor?
Idealiter soll Selbstkontrolle staatliche Zensureingriffe überflüssig
machen. Jugendschutz ist sinnvoll, da nicht alle Medieninhalte für alle
Altersklassen geeignet sind. Freigaberegelungen gibt es weltweit. Kritiker
vor allem aus Kreisen der CDU halten die Arbeit der USK häufig für zu
lasch, da sie aufgrund der angeblichen Nähe zur Spiele-Industrie
Gefälligkeitsgutachten vermuten. Spielefans hingegen halten die meisten
Formen der Kontrolle oder Entschärfung für ärgerliche Gängelungen mündiger
Bürger. Ähnlich verhält es sich bei der Bundesprüfstelle. Die Prüfer
verstehen sich als Fels in der Brandung, um Minderjährige vor den übelsten
Formen gefährdender Inhalte zu bewahren.
Zweifeln Sie an der Wirksamkeit der BPJM?
Realiter werden die Indices der BPJM gerade von der Zielgruppe der
betroffenen Spiele und Filme, also den Minderjährigen, als "Einkaufslisten"
verwendet, denn eine Indizierung wird von vielen Fans gewissermaßen als
"Auszeichnung" und "Kaufempfehlung" interpretiert. Da ranzukommen
verschafft Prestigegewinn im jugendlichen Umfeld.
Können Sie die Bewertungen der BPJM nachvollziehen?
Viele Entscheidungen der BPjM sind gewiss sinnvoll oder zumindest
nachvollziehbar. Nicht wenige allerdings lassen tiefere Kenntnisse der
zielgruppenspezifischen Codes der Szene vermissen. Eine gewisse
Humorlosigkeit scheint in den Gremien Usus zu sein. In Sachen Kunstfreiheit
hat die Prüfstelle durchaus dazugelernt, vor allem hinsichtlich von Comics,
die früher per se als kinderverblödender Schmökerschund verurteilt wurde.
Und immerhin gelten Indizierungen nicht mehr ewig: Seit 2003 werden
indizierte Medien in aller Regel nach 25 Jahren wieder von der Liste
gestrichen. Vielleicht wird eines Tages auch die Kulturtechnik
Computerspiel als zeitgenössische Kunstform anerkannt werden. Katastrophen
wie Schulmassaker hingegen dürften die Diskussion vor allem um
gewalthaltige Games um Jahre zurückwerfen.
Wie könnte man Jugendschutz aktiv betreiben ohne gleichzeitig den Wunsch
der erwachsenen Spieler nach ungekürzten Spielen zu beschneiden?
Schwierig. Einmal irgendwo auf der Welt veröffentlicht, lassen sich die
Distributionswege von digitalen Daten in einer freiheitlichen
Mediengesellschaft praktisch nicht mehr regulieren. Es wäre schon viel
geholfen, wenn Freunde, Eltern und Lehrer sich mal dafür interessierten,
was sich in ihrem persönlichen Umfeld so abspielt.
Warum geht Deutschland restriktiver mit Gewaltdarstellung um als andere
Länder?
Der Deutsche mag es offenbar gern geregelt. Die Lösung komplexer
Problematiken wird häufig an Staatsorgane delegiert. Es gibt zahlreiche
Jugendschutz- und Selbstkontrollgremien, Gesetze und Richtlinien. Damit
sollen Normen festgelegt und Kontrollen durchgesetzt werden. Vielleicht ist
Deutschland aber auch aufgrund der Geschichte vorsichtiger was Gewalt
angeht. Wir haben so viele Regeln - und sind dann entsetzt, wenn sie
plötzlich so massiv gebrochen werden. Traditionell liberale Länder wie
Holland oder die skandinavische Region sind da lockerer. In Italien spielt
die Regierung eher keine so große Rolle und in den USA hat das Thema Gewalt
einen ganz anderen historischen und mentalitätsmäßigen Stellenwert. Dafür
ist man dort bei anderen Sachen wie Sexualität, Alkohol oder Zigaretten
restriktiver.
Wird ein Amoklauf wie der von Winnenden von Politikern instrumentalisiert,
um ihre parteilichen Ziele durchzusetzen?
Bei den üblichen Verdächtigen überraschen die ersten Reaktionen natürlich
nicht. Bayern fordert einmal mehr das Verbot von sogenannten
"Killerspielen", der Kriminologe Christian Pfeiffer verlangt schärfere
Kontrollen. Wer nur einen Hammer hat, für den sieht alles aus wie ein
Nagel, heißt es. Insgesamt hielten Politiker und Medien sich ansonsten aber
erstaunlich zurück, was populistische Patentrezepte und Sündenböcke anging,
obwohl schnelle einfache Lösungen bei großen Teilen der Bevölkerung sicher
gut ankämen. Nach Erfurt und Emsdetten wurden Waffen- und
Jugendschutzgesetze verschärft, was Winnenden trotzdem nicht verhindern
konnte. Es scheint sich herumgesprochen zu haben, dass komplexe Probleme
nicht mit einfachen Mitteln gelöst werden.
Stichwort Wirkungsforschung: Haben brutale Spiele einen Einfluss auf labile
Persönlichkeiten?
Auch wenn es eine aufgeklärte, moderne Demokratie nur ungern hört: Gewalt
ist ein uralter Bestandteil der menschlichen Natur und Kultur, und
sicherlich keine Erfindung der Spielehersteller. Im alltäglichen
Miteinander zumeist verdrängt oder kanalisiert, lauert sie dennoch
subkutan. Ballerspiele können da die Funktion einer in aller Regel
harmlosen Ventilsitte haben. Monokausale Auslöser sind solche Games zwar
nicht, aber ein Teil einer fatalen Kette von Fehlentwicklungen können sie
im Einzelfall durchaus sein. Die Täter scheinen bestimmte "coole" Schemen
adaptiert zu haben, wie z.B. die schwarze Kleidung, den Habitus des
einsamen Rächers, den tödlichen Showdown. Man müsste mal klären, woher die
Faszination für Waffen kommt. Der Medienhype um Amokläufer, Robert
Steinhäuser und Tim Kretschmer schafften es post mortem immerhin auf den
"Spiegel"-Titel) könnte womöglich eine glorifizierende Wirkung haben. Bei
dieser Faszination des Schreckens muss man sich aber vor Augen halten, dass
es sich bei Amokläufen um das feige Umbringen unschuldiger, arg- und
wehrloser Kinder oder anderer Unbeteiligter handelt. Vielleicht sollten die
Spielentwickler ihre Games so spannend machen, dass gewaltgeneigte User
erst gar nicht mehr vor die Tür gehen, sondern ihre Gewaltphantasien nur
dort ausleben, wo sie hingehören.
Was halten Sie von der Art, wie die Medien mit einem Amoklauf wie dem
aktuellen umgehen?
Wenn man schon etwas verbieten will, dann sollte es eher die voyeuristische
Berichterstattung sein. Die TV-Übertragung von traumatisierten
Schockopfern, das distanzlose Ausschlachten des "Body-Counts", das
vulgärpsychologische Herumstochern im Leben und Sterben wildfremder
Menschen gerade in den Boulevardmedien halte ich für bedenklicher als die
meisten Games. Natürlich ist das Thema von öffentlichem Interesse. Aber je
mehr Öffentlichkeit, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von
Nachahmungstätern oder Trittbrettfahrern. Ähnlich wie bei Serial Killers
kann sich daraus ein bizarrer "Kultstatus" entwickeln. Bei den meisten
seriösen Zeitungen gilt das ungeschriebene Gesetz, nicht unnötig über
Suizide zu berichten. Bei dieser dramatischen Form des "erweiterten
Selbstmordes" scheint das indes nicht zu gelten, sondern es greift die alte
Regel "bad news are good news".
Was halten Sie von dem Begriff "Killerspiele"?
Ohne Amokläufe könnte man die Bezeichnung für einen schmähenden
Tendenzbegriff halten, der Millionen von harmlosen Gamern desavouieren
soll. Letztlich wäre ja auch Schach eine frühe Form von analogem
"Killerspiel". Im Lichte wiederholter Massaker aber erhält er den schalen
Beigeschmack einer schillernden Doppeldeutigkeit, die ins reale Leben
überlappt. Aber auch Schützenvereine haben ihren idyllischen Ruf uriger
Brauchtumspflege und mannhaftem Sportsmanship einmal mehr eingebüßt.
Sind Sie radikal gegen jede Art von Zensur an Spielen? Wenn ja, wo endet
Ihre Toleranz?
Ein kniffliger Spagat. Auf der einen Seite ist Zensur ein Reflex bei
Überforderung gegenüber komplexen unerwünschten Situationen. Anstatt reale
Missstände zu verbessern, soll es ein Verbot von Medieninhalten regeln. Auf
der anderen Seite bedeutet für mich als Zensurforscher die Kritik an
Restriktionen allerdings nicht, dass alles für alle erlaubt sein sollte. In
jeder Gesellschaft muss es natürlich Grenzen geben, etwa wenn die
Integrität von Mitmenschen verletzt wird. Frühe Beispiele für "Spiele", die
indiskutabel sind, sind z.B. "KZ-Manager" und "Anti-Neger-Test". Die
Aussagen des dahinter stehenden menschenverachtenden Weltbildes kann
niemand gutheißen, der in einer demokratischen Wertegemeinschaft verankert
sein möchte. Es dürfte kein Verlust sein, dass derlei verboten wurde. Die
alten Fragen sind: Wer bewacht die Wächter? Und wer legt die Grenzen fest?
Findet zu wenig Dialog zwischen den verhärteten Fronten statt?
Die meisten Probleme sind Kommunikationsprobleme, meinte sinngemäß der
Soziologe Luhmann. Gerade bei den verhärteten Positionen diametral
entgegenstehender Denkansätze wie z.B. zwischen den Heavy-Usern von
Computerspielen und konservativen Eltern oder Politikern aus Bayern wäre
Dialog sinnvoll. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer war der Auffassung, ein
guter Ansatz der sogenannten Hermeneutik wäre, zu bedenken, dass der andere
auch Recht haben könnte. Man sollte also nicht nur auf seinem eigenen
Standpunkt beharren, sondern auch mal gucken, was den anderen so umtreibt.
Wahrheit und Weisheit hat keine Seite gepachtet.
24 Mar 2009
## AUTOREN
Michael Eichhammer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Computerspiele: 14.000 Jugendliche zocken exzessiv
Laut einer neuen Studie sind 14.000 Neuntklässler süchtig nach Rennern wie
"World of Warcraft", 23.000 stark gefährdet. Nun plant Niedersachsen als
erstes Bundesland Testkäufe für Killerspiele.
Killerspiele mal wieder am Pranger: World Of Bullshit
Wie wäre es, statt der "Computerspiele" mal populistische Studien zu
verbieten? Oder deren Lektüre erst "ab 18" zu erlauben? Es würde nichts
helfen, die "Experten" sind nicht mehr zu stoppen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.