# taz.de -- Mehrheitsanteile für Autogewerkschaft: Chrysler in Arbeiterhand | |
> Die Autogewerkschaft UAW soll 55 Prozent an dem Autokonzern übernehmen. | |
> Auch Fiat und die US-Regierung steigen ein. Doch Freude kommt darüber | |
> nicht auf. | |
Bild: Zuletzt abgehängt: US-Autobauer Chrysler. | |
WASHINGTON taz | Es ist ein historischer Schritt, den der Autokonzern | |
Chrysler gehen muss. Die letzte Ikone der US-Autoindustrie, die einen | |
Insolvenzantrag stellen musste, war die Firma Studebaker. 1933 war das, in | |
Folge der großen Depression. 76 Jahre später beantragt mit Chrysler nun der | |
erste der drei großen US-Autokonzerne Gläubigerschutz. | |
Die Chrysler-Entscheidung fiel nach einer langen Nacht der Verhandlungen, | |
in der sich die Auto-Beauftragen des US-Präsidenten Barack Obama mit | |
Gläubigern nicht über eine Sanierung außerhalb des Insolvenzrechts hatten | |
einigen können. Die rund 20 Gläubiger, insbesondere Hedgefonds und | |
Finanzinvestoren, bestanden auf ihrer Schuldenrückzahlung. Deshalb | |
entschied Obama schließlich, dass ein Insolvenzverfahren unter | |
Gläubigerschutz der einzig gangbare Weg sei. | |
Im Garten des Weißen Hauses stehend, flankiert von den Männern seiner | |
Auto-Taskforce, kündigte der US-Präsident dann die Lösung an: Eine Allianz | |
mit dem italienischen Autokonzern Fiat, ein Insolvenzverfahren und neue | |
staatliche Milliardenhilfen für den Konzern, der seit Monaten als der | |
schwächste der großen drei (Chrysler, Ford und General) gegolten hatte. | |
Dass dieser Schritt eine weitere außergewöhnliche Intervention Washingtons | |
in die Geschicke der Privatwirtschaft sei, darauf hinzuweisen verloren die | |
oppositionellen Republikaner keine Zeit. | |
Aber Obama bot noch weitere Überraschungen. So soll die einst mächtige | |
Autogewerkschaft United Automobile Workers (UAW) durch ihren Rentenfonds | |
die Kontrolle bei Chrysler übernehmen. Das Eignermodel nach Abschluss des | |
Insolvenzverfahrens soll dann so aussehen: 55 Prozent des Konzerns gehören | |
der UAW, Fiat übernimmt anfänglich 20 Prozent, später bis zu 35 Prozent. | |
Zudem hält die US-Regierung acht und die kanadische Regierung zwei Prozent. | |
In nur 60 Tagen soll die staatlich betreute Umstrukturierung abgeschlossen | |
sein. Das US-Finanzministerium will den Prozess mit insgesamt 8 Milliarden | |
Dollar, rund 6 Milliarden Euro, finanzieren. Kanada, wo Chrysler ebenfalls | |
Produktionsstandorte hat, gibt weitere 2,4 Milliarden Dollar Nothilfe dazu. | |
Durch die Partnerschaft mit Fiat, vor allem mit dessen technischem | |
Know-how, würden mehr als 30.000 Arbeitsplätze bei Chrysler und | |
zehntausende weitere bei Zulieferern und Händlern gesichert, sagte Obama. | |
Chrysler, 1919 gegründet, hatte bereits seit Monaten mit dem Fiat-Konzern | |
verhandelt, der unter anderem auch eine Übernahme der deutschen GM-Tochter | |
Opel anstrebt. Chrysler mit seinen 54.000 Angestellten ist derzeit noch im | |
Besitz der US-Beteiligungsgesellschaft Cerberus. | |
Experten äußerten Zweifel, ob das ungewöhnliche Trio aus Gewerkschaft, Fiat | |
und der US-Regierung nun den Autobauer dahin bugsieren kann, wohin Chrysler | |
es in drei Jahrzehnten selbst nicht schaffte - nämlich in die Zukunft. | |
Ausgerechnet die Gewerkschaften und ihren betrieblicher Altersfonds hatte | |
Obama - und mit ihm radikale Marktbefürworter - zuvor selbst zum Teil des | |
Problems der US-Autoindustrie erklärt. | |
Unglücklich sind auch progressive UAW-Gewerkschafter wie Wendy Thompson, | |
eine ehemalige Arbeiterin aus Detroit. Sie ist überzeugt davon, dass sich | |
die längst zahnlose UAW ein weiteres Mal hat über den Tisch ziehen lassen. | |
"Anstatt des Insolvenzverfahrens hätte Washington einen öffentlichen Trust | |
unter Beratung und Verwaltung von Ingenieuren, Arbeitern und | |
Umweltfachleuten gründen sollen, die Chrysler zu einem Konzern des 21. | |
Jahrhunderts machen könnten, der weit über reine Benzineffizienz | |
hinausdenkt", sagte Thompson der taz. Sie und ihre UAW-kritischen | |
Mitstreiter in Detroit sind der Ansicht, dass sich im angekündigten | |
Chapter-11-Verfahren "viel zu viele irrationale Momente verbergen". Obamas | |
Coup, den Pensionsfonds der UAW zum Haupteigner zu machen, sei der "Anfang | |
vom Ende des betrieblichen Rentenmodells". Denn nun seien Altersabsicherung | |
und Krankenversicherungen für die Arbeiter unsicherer als je zuvor. Der | |
Chef der Gewerkschaft UAW, Ron Gettelfinger, gestand ein, dass die | |
Übereinkunft für die aktive Belegschaft und die Ruheständler "schmerzhaft" | |
sei, aber Chrysler immerhin eine Überlebenschance gebe. | |
2 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Adrienne Woltersdorf | |
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