# taz.de -- taz-Umzug vor 20 Jahren: Ein Viertel macht wieder Zeitung | |
> 1989 zog die taz in die heutige Rudi-Dutschke-Straße - direkt an die | |
> Mauer, nicht weit weg vom Springerhochhaus. Damals, kurz vor dem | |
> Mauerfall, galt das ehemalige Zeitungsviertel als tot. Das hat sich | |
> längst geändert. | |
Bild: Seit 20 Jahren Sitz der taz-Redaktion: Das Rudi-Dutschke-Haus in der Rudi… | |
"Eine Stunde vorher wanderte ich um das Mossehaus, und ein unsichtbares, | |
gewaltiges Orchester begleitete mich. Musik, Musik der Zukunft schönste | |
Musik der Welt. Ich sah durch die Fenster im Parterre die funkelnden | |
Gestänge der riesigen Rotationsmaschinen. Sie gehörten nun auch mir. Sie | |
würden mit mir an der Zeit weben." (Fred Hildenbrandt, 1922) | |
Als die taz 1989, wenige Monate vor dem Fall der Mauer, ins Zeitungsviertel | |
zog, waren die riesigen Rotationsmaschinen des legendären Berliner | |
Tageblatts und der anderen Titel des Verlagsgründers Rudolf Mosse dort | |
längst Geschichte - und Fred Hildenbrandt, von 1922 bis 1932 Feuilletonchef | |
des Tageblatts, schon mehr als 25 Jahre zuvor verarmt in Westdeutschland | |
gestorben. Im Gebäudekomplex Schützen-/ Ecke Jerusalemer Straße, der jetzt | |
nur einen Steinwurf von der Kochstraße, aber unerreichbar fern in | |
Berlin-Hauptstadt lag, gab es zwar noch einen Druckbetrieb. Tageszeitungen | |
liefen dort aber nicht mehr über die Rotation. Das Berliner Zeitungsviertel | |
- an der Kochstraße saß Ullstein, der Scherl-Verlag eine Parallelstraße | |
weiter - galt als tot. Obwohl Springer, in dessen liebevoller Umarmung | |
längst die Reste von Ullstein aufgegangen waren, sich seit 1960 | |
demonstrativ direkt an die Sektorengrenze und die 1961 gebaute Berliner | |
Mauer geklotzt hatte. | |
Nun kam die tageszeitung nicht gerade voll des publizistisch-historischen | |
Bewusstseins ins Zeitungsviertel, sondern weil es hier vor dem Mauerfall | |
billiger war, an ein Grundstück zu kommen. Der [1][taz-Altbau in der | |
Rudi-Dutschke-Straße 23 (vormals Kochstraße 18)] beherbergte auch nie | |
Presseunternehmen: Hier saßen in der Weimarer Zeit vor allem Filmfirmen. | |
Doch mit dem taz-Zuzug kam auch etwas von der alten Spannung in das Geviert | |
um Zimmer-, Schützen- und Kochstraße zurück. | |
Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich hier die Berliner Presse | |
konzentriert; Ullstein - am Ort des Verlagshauses steht heute die | |
GSW-Scheibe - "erfand" hier 1904 die erste Boulevardzeitung auf deutschem | |
Boden: die BZ am Mittag. Als Vorbild diente übrigens die Londoner | |
Penny-Presse - im deutschen Mediengeschäft ist Ideenklau aus Großbritannien | |
also auch schon etwas älter, als dies heutige TV-Übernahmen wie "Wer wird | |
Millionär" oder die "Dschungelshow" erwarten lassen. Auch Ullsteins | |
Hauptmotiv für die Einführung des neuen Titels passt erstaunlich gut zur | |
heutigen Jagd der Verlage nach neuen Erlösquellen und hohen Renditen: Bei | |
der BZ am Mittag stand weniger das redaktionelle Zusatzangebot im | |
Vordergrund als vielmehr die perfekte Auslastung der Rotationen, die | |
zwischen dem Druck der Morgenzeitungen und der damals üblichen Abendblätter | |
bislang stillgestanden hatte. | |
Damals war die mit mehreren Ausgaben über den Tag erscheinenden Zeitung das | |
schnellste Medium. Das Radio steckte noch in den Kinderschuhen. | |
Entsprechend sah der Arbeitstag der Redaktionen aus: Der eingangs zitierte | |
Fred Hildenbrandt befand sich 1922 auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch | |
beim später von den Nazis ermordeten Berliner-Tageblatt-Chefredakteur | |
Theodor Wolff. Es fand mitten am Arbeitstag eines damaligen Morgenblattes | |
statt: um 23.30 Uhr. Dass Theaterpremieren, Opernaufführungen oder | |
spätabendliche Sportereignisse schon am nächsten Morgen in der Zeitung | |
besprochen standen, war selbstverständlich. | |
Doch obwohl die Bomben spätestens 1945 das in unmittelbarer Nachbarschaft | |
zur Regierungsmeile Wilhelmstraße und zum Terrorzentrum der Gestapo an der | |
Prinz-Albrecht-Straße gelegene Zeitungsviertel in Schutt und Asche legten | |
und dem Medium Zeitung heute gerade mal wieder der Untergang geweissagt | |
wird, ist es überraschend lebendig: In den vergangenen zehn Jahren zogen | |
die Verlegerverbände für Tageszeitungen, Zeitschriften und Anzeigenblätter | |
ins neue Haus der Presse in der Charlottenstraße. Springer lagerte zwar | |
1993 die Druckereien nach Spandau aus, holte aber die Konzernzentrale und | |
die Zentralredaktionen von Bild und Bild am Sonntag aus Hamburg nach Berlin | |
und stritt so erbittert wie erfolglos gegen den taz-Vorschlag, aus dem | |
Kochstraße-Abschnitt zwischen Friedrich- und Lindenstraße die | |
Rudi-Dutschke-Straße zu machen. Und nach den kommenden Bundestagswahlen | |
wird sich auch der Tagesspiegel (bislang an der Potsdamer Straße | |
untergebracht) heranrobben: Er will am Anhalter Bahnhof Quartier beziehen. | |
Das Zeitungsviertel lebt also nicht nur, es erweitert sich sogar nach | |
Westen. Das zeigt sich auch an einer seit 2006 arbeitenden Initiative aus | |
Verlagen, JournalistInnen und WissenschaftlerInnen, die vom Museum für | |
Kommunikation und vom Kreuzberg-Museum unterstützt wird: Ursprünglich als | |
Verein zur Erinnerung an den historischen Pressestandort geplant, heißt sie | |
heute einfach "Initiative Berliner Zeitungsviertel" und bietet regelmäßig | |
Führungen an - durch Geschichte und Gegenwart. | |
17 Jun 2009 | |
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## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
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