# taz.de -- Informationen via Internet: Das Iran-Getwitter | |
> Die Unübersichtlichkeit und Unklarheit über die Wahrheit der | |
> Twitternachrichten spiegeln die reale Chaossituation im Iran wider. | |
Bild: Mikroblogger, um den sich viele Sorgen machen: Persiankiwi schweigt seit … | |
Ja, es gab viele Berichte über Polizisten, die mit Äxten auf Leute | |
schlagen, über Schüsse und Tote im Teheraner Park von Lalezhar. Dennoch | |
könne er nicht bestätigen, dass es dort am Mittwoch ein "Massaker" gegeben | |
habe, wie es viele Twitterer behaupten. NiteOwl nennt sich der | |
Live-Blogger, der dies schreibt und zwar in seinem täglichen "Green Brief". | |
Auf der Seite Anonymous Iran veröffentlicht er jeden Abend diese "grüne | |
Kurzmitteilung", in der er versucht, die Nachrichtenlage auf Twitter | |
zusamenzufassen und deren Glaubwürdigkeit zu bewerten. | |
Die Rede von einem "Massaker" hält NiteOwl für eine Propaganda der | |
Regierung, die die Demonstranten einschüchtern und vom Demonstrieren | |
abhalten will. Vielen gilt NiteOwl als außergewöhlich objektiv. Doch auch | |
er ist nicht unparteiisch, was er selber explizit betont. Die | |
Unübersichtlichkeit und Unklarheit über die Wahrheit der Twitternachrichten | |
spiegeln die reale Chaossituation im Iran. | |
Während in den vergangenen Tagen noch Bänder, Tücher, Twittereinträge und | |
überhaupt alles, was sich grün einfärben lässt, das Erkennungszeichen der | |
iranischen Opposition war, könnte grün morgen schon Geschichte sein. | |
Jedenfalls dann, wenn der Plan eines einflussreichen Twitterers aufgeht, | |
der seit Dienstag eine neue Taktik für die Demonstranten und den Beginn | |
eines Generalstreiks verbreitet. Morgens um 9 Uhr sollen die Leute in | |
Richtung Basar laufen. Dabei solle auf keinen Fall irgendetwas Grünes | |
getragen werden. Auf dem Basar solle man dann einfach nichts tun, also | |
nicht Einkaufen. Und schon wären die Basaris auf passive Weise zum Streiken | |
gebracht. So würden diese nicht Gefahr laufen, wie von der Regierung | |
angedroht, ihre Jobs zu verlieren und die Demonstranten würden nicht länger | |
als solche erkannt werden. Unsichtbar sein, statt grüne Signale - beste | |
Partisanenstrategie. Doch der Feind liest mit und so kann man davon | |
ausgehen, dass in den nächsten Tagen die bewaffneten Kräfte nicht nur die | |
großen Plätze besetzen, sondern dass sie nun auch rund um die Basare | |
Präsenz zeigen werden. | |
Onlinemedien berichten am nächsten Tag von Augenzeugen, die beschreiben, | |
auf dem Basar herrsche "reger Betrieb". Interpretiert wird das so, als sei | |
der Plan des Streiks nicht aufgegangen. Aber bedeutet "reger Betrieb", dass | |
die Leute auch einkaufen? Die Frage bleibt offen. Und damit auch die Frage, | |
ob und wieviele Leute dem Basari-Streikplan gefolgt sind. | |
Noch Anfang der Woche warnten Twitterer davor, Kurznachrichten wie "Mussawi | |
festgenommen" oder "Mussawi verhandelt mit Regierung" zu retweeten, also | |
weiterzuleiten, da derartige Falschmeldungen "der Bewegung" schade. Doch | |
spätestens seit Mittwoch, der Tag an dem sich Mussawi scheinbar wirklich | |
mit Parlamentsabgeordneten getroffen hat, mehren sich Tweets mit dem | |
Inhalt: "Wir sind die Straße, nicht Mussawi." Und prompt verweisen immer | |
mehr Twitterer auf eine Seite, auf der eine angeblich in den Straßen | |
Teherans verteilte Zeitung "Khiaban", die Straße, zu lesen ist. Darin | |
steht: "Sie sollen wissen, dass wir uns nur auf die Straße verlassen." | |
Auf Twitterer ist letztlich natürlich kein Verlass. Vermehrt werden | |
Twitterer wie bloomingtehran von anderen als Agenten der Regierung | |
verdächtigt. Vor allem jene, deren Feeds Panik verbreiteten, wie | |
beispielsweise, dass Panzer auf dem Azadi-Platz stünden. Es gibt aber | |
solche wie persiankiwi oder stopahmadi, die auch von professionellen | |
Journalisten und Bloggern wie Andrew Sullivan als glaubwürdige Quelle | |
behandelt werden. Es war persiankiwi, der nach den ersten Tweets über | |
Panzer in Teheran dies als falsch meldete. Und er scheint Recht gehabt zu | |
haben. Bis heute gibt es keine Meldungen darüber, dass die Armee ausgerückt | |
ist. | |
Die Medien hierzulande glauben eher dem, was die staatlichen Nachrichten | |
des iranischen Regimes verbreiten als den Videos auf Youtube. Auch in die | |
andere Richtung dringen nicht alle Meldungen durch: Am Montag tauchte die | |
Nachricht in diversen deutschen Nachrichtenportalen auf, der Sprecher des | |
iranischen Justizministeriums hätte bekannt gegeben, dass Steinigung und | |
Hand abhacken als Strafe abgeschafft werden. Diese Nachricht ging im Netz | |
unter. So werden einige hochgespült und andere wieder runter - es scheint | |
zufällig. Wobei dies nicht zu beudeten hat, dass der Justizsprecher das | |
nicht wirklich gesagt hätte. Und er mittlerweile vielleicht eine Hand | |
weniger hat. | |
Als glaubwürdig zu gelten ist für Twitterer nicht unbedingt gut. Wenn im | |
Netz jeder weiß, auf wen man sich verlassen kann, dann weiß das auch die | |
Gegenseite. Die iranischen Sicherheitskräfte dringen nicht mehr nur in | |
reale Räume ein, um Dissidenten zu verhaften, sondern auch ins Twitternetz. | |
Auch Tweeter sollen bereits festgenommen worden sein. Von persiankiwi ist | |
seit Mittwochnachmittag kein Eintrag mehr zu finden und andere Twitterer | |
fragen besorgt nach seinem Verbleib. | |
Um sich vor den Einblicken der Sicherheitskräfte zu schützen, sind die | |
Nerds gefragt. Also die Leute, die wissen, was unter FreeGat, Gpass, Tor, | |
UltraSurf, Gtunnel, I2P zu verstehen ist. Das sind Programme, die vor den | |
Tugendwächtern des Internet aus Tehran schützen sollen. Doch viele | |
Twitterer sind überfordert. Wer tagsüber arbeitet, abends demonstriert, | |
nachts alahu akhbar von den dächern ruft und zwischendrin noch Handyvideos | |
hochlädt muss schon ganz schön viel Energie haben, jetzt noch | |
Anonymisierungssoftware zu installieren, die den eigenen Rechner vor | |
unerlaubten Zugriffen schützen sollen. Meldungen laufen ein, die Programme | |
würden nicht funktionieren. Die Nerdfraktion schweigt eine Weile. Doch nach | |
ein paar Stunden schwappt eine neue Welle von Befehlen, Programmen und | |
Hinweisen mit Updates zur Sicherheit über die Seiten. | |
Viele scheint dieser Schutz nicht zu reichen - es heißt, die | |
Oppositionellen würden jetzt eher die Chat-Funktion des Googlebasierten | |
gmail-accounts benutzen, um untereinander zu kommunizieren. Klingt | |
einleuchtend. Denn wenn es stimmt, was Google sagt, dann ist diese | |
Kommunikation so gut wie unsichtbar für Außenstehende. Nicht ganz zu | |
Unrecht wird seit einigen Tagen rege diskutiert, warum eigentlich so viel | |
auf englisch getwittert wird. So wurde auch der Basari-Streikplan zunächst | |
nur auf englisch getwittert, bis jemand fragte, wer den Plan auf Farsi | |
übersetzen könne. Ob die Ansage "alle zum Basar" nun aus Nordteheran oder | |
aus Südkalifornien kommt, ist für die Demonstranten letztlich vielleicht | |
auch egal, wenn es funktioniert. | |
Der ganze Twittertrubel ist kein Triump von David über Goliath. Die | |
Regierung hat die Geschwindigkeit des Internet zwar drastisch gedrosselt. | |
Ganz abgeschaltet hat sie es nicht, was technisch möglich wäre. Für die | |
Regierung sind nämlich über Twitter und Co Informationen über die | |
Dissidenten und deren Aktivitäten zu bekommen. Am Donnerstag allerdings | |
liefen auffällig wenige Tweeds. Twitterer omidhabibinia, dem persianwiki | |
vertraut, meldete, die Internetgeschwindigkeit sei fast bei Null. | |
25 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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USA | |
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