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# taz.de -- Kommentar Iran: Spiritualität tötet
> Aufstände als solche zählen nichts, sie müssen ihre Ziele schon
> ausweisen, ehe wir ihnen Solidarität über den Moment hinaus schenken.
Bild: Polizei setzt Demonstranten nach am Baharestan Platz am Mittwoch, das ber…
Ja, wir bangen mit. Wir hoffen, dass im Iran die Protestierenden das
theokratische Regime beseitigen helfen. Wir können natürlich nur
mitfiebern, denn wir wissen nicht einmal, wer für welche neue Politik
stehen könnte. Dass es hauptsächlich junge Menschen sind, die die bleiernen
Zeiten abstreifen möchten, mag ein gutes Zeichen sein - muss es aber nicht.
Wir können nicht wirklich beurteilen, ob die Rebellierenden für eine
Gesellschaft fechten, in der Frauen nicht mehr in einer Art
Kopftuchapartheid gezwungen bleiben; in der der religiöse Vorbehalt in der
Gerichtsbarkeit abgeschafft wird; in der Homosexuelle nicht hingerichtet
werden und in der Israel nicht weiter als Todfeind gilt.
In Israel selbst glaubt man, der Aufruhr im Iran sei ein Streit innerhalb
einer Familie, der am Wesen des Staates nichts ändern werde. Das könnte
sein. Sicher ist, dass eine gewisse Nüchternheit in der Analyse gerade
Linken nicht schlecht zu Gesicht stünde, dass sich jetzt eine abermals
quasireligiöse Haltung zum Furor, den wir aus dem Iran übermittelt
bekommen, verbietet.
Vor 30 Jahren waren es gerade viele autonome Linke, die sich am Rausch der
religiösen Machtübernahme in Teheran delektierten. Ihnen war der
Religionsmob als Projektionsfläche eigener Entgrenzungssehnsüchte gerade
recht. Und ihr wichtigster Theoretiker war Michel Foucault. Er war der
Stichwortgeber einer hemmungslosen Linken, die alle westliche Zivilisation
ästhetisch hasste. Sie wollten Tabula rasa - und Foucault spielte ihnen in
die Karten. Dessen theoretisches Werk heizte eine Weltanschauung an, in der
alle Ordnung schlecht ist, alle Zivilisation, die westliche vor allem, Lug
und Trug. Foucault verachtete den Kampf um Liberalität und Bürgerrechte,
hielt Minderheitenschutz für albern, weil er lediglich der Herrschaft als
solcher diene.
Den Iran und die die weltliche Macht übernehmenden Ajatollas interpretierte
Foucault als spirituelles Pflaster, als Verkörperung des Antipolitischen,
und das verstand er tatsächlich als Kompliment. Die iranische Revolution
war für einen wie Foucault - und Millionen seiner lesenden Kader - eine
rauschhafte Quelle der Entgrenzung zivilisatorischer Fortschritte. In der
Zerstörung des Säkularen sahen sie das Symbol der ihnen lästigen Folgen
bürgerlicher Aufklärung, der Gewaltenteilung, der grundsätzlichen Kühle von
staatlichem Handeln überhaupt. Foucault und die Seinen wollten ausdrücklich
eine Welt, in der sich Volk auf Hitze und Hysterie reimt, in der alle
Differenzierung nicht mehr gilt - die ideologisch delikate Nähe zu
völkischem Gedankengut war und ist ganz offenkundig.
Foucault soll sich später von seiner Euphorie über den religiös
inspirierten Wahn distanziert haben - in Wahrheit wollte er sich lediglich
in der Hinsicht erklären, keineswegs habe er sich seine Finger schmutzig
machen wollen. Und doch tat er genau das: ein Theoretiker der Verachtung
für bürgerliche Strukturen, die auf Kompromiss und Ausgleich setzen, ein
Zettelkastenzufallshistoriker, der überall nur Macht sah und für die eigene
Machtgeilheit blind blieb.
Das muss im Hinblick auf eine linksradikale Tradition, die in jeder Rührung
der sogenannten Volksmassen bereits ein Fest, eine explodierende Sache
sieht, zu denken geben. In dieser Erbschaft liegen auch die Passionen für
jedwede Militanz, die nur sich selbst als Zweck hat - und diese
Leidenschaften leben noch. In der Liebe zur Eskalation, die um ihrer selbst
willen sich feiert, steckt die Tyrannei - der Spiritualität. Einerlei, ob
es um islamische oder christliche Dinge geht: Im Iran waren die sogenannten
Volksmassen im Namen Allahs unterwegs, und sie konnten es; könnte der
katholische Klerus dies auch, wäre er in seiner inquisitorischen Strenge
nicht weniger blutig - historisch ist dies leicht belegbar.
Dies in Sachen 1979 im Kopf zu behalten, also auch zu vergessen, dass da
mal eine autonome Linke mit ihrem Helden namens Foucault alle
westlich-säkulare Freiheit vor religiösen Wächtern und Schlächtern opfern
wollte, ist nötig, um den iranischen Aufruhr der Jetztzeit bewerten zu
können. Aufstände als solche zählen nichts, sie müssen ihre Ziele schon
ausweisen, ehe wir ihnen Solidarität über den Moment hinaus schenken.
26 Jun 2009
## AUTOREN
Jan Feddersen
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