Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rechte Gewalt in Berlin: Fighting in Friedrichshain
> Ein Student wird von Neonazis fast totgeschlagen. Autonome schlagen
> zurück. Nirgendwo sonst in Berlin gibt es so viele Nazi-Übergriffe wie im
> alternativen Friedrichshain. Warum?
Bild: Bei den rechten Überfällen in Friedrichshain hat die Brutalität stark …
BERLIN taz | Ja, sagt Christian Ströbele, hier gebe schon so Ecken, an
denen es abends "ein bisschen ungemütlich" werde. Der 70-jährige
Polit-Junkie, der 2002 und 2005 als einziger Grüner direkt ein
Bundestagsmandat errang, schiebt sein altes schwarzes Fahrrad mit einem
Schaffellsattel durch einen Teil seines Wahlbezirk. Angst habe er zwar
nicht, sagt er in die Sonne blinzelnd, aber dies seien schon Situationen,
"bei denen man mehrfach hinter sich guckt".
Sein "Erlebnisort", die Warschauer Brücke, sei auch in der Nähe gewesen. Im
Wahlkampf 2002 wurde Ströbele dort von einem vorbestraften Neonazi
niedergeschlagen. Er rannte dem Schläger, wütend "Feige, feige!" rufend,
hinterher, erzählt Ströbele. Auch das war in Friedrichshain, im früheren
Ostberlin, wo gerade die meisten Hauptstädter damit beschäftigt zu sein
scheinen, in Cafés Latte macchiato zu trinken.
Friedrichshain, das ist, vor allem in seinen südlichen Straßenzügen nahe
der Spree, ein Stück cooles Berlin mit Straßencafés, Clubs, originellen
Läden und bunt gekleideten Menschen. Es ist ein Ausgehbezirk mit der auch
außerhalb Berlins bekannten Amüsiermeile Simon-Dach-Straße und vielen
Tanzläden wie dem K17 oder dem Cassiopeia oder den etwas weiter entfernten
Clubs wie der Bar 25 oder dem Berghain, die selbst international einen
Namen haben.
Viele Studenten leben hier, massenhaft Linke in ehemals besetzten Häusern
in der Rigaer Straße sowie alternativ angehauchtes Bürgertum aus dem
Westen. Es ist ein Viertel, das langsam gentrifiziert wird, wie die
Soziologen sagen. Mieten und Preise ziehen an, das alteingesessene
Kleinbürgertum zieht weg, wohlhabendere, gut ausgebildete Neubürger kommen
nach.
It`s Ströbeles own country - aber auch der Bezirk, in dem es rechte
Gewalttaten in den letzten Jahren besonders häufig gab. Ein neue
Eskalationsstufe war erreicht, als am vergangenen Wochenende der linke
Student Jonas K. von rechten Schlägern zunächst äußerst brutal zusammen
geschlagen wurde, bevor versucht wurde, den Bewusstlosen mit einem
Nackentritt zu töten. Daraufhin flogen auf einem unangemeldeten Protestzug
in der Nacht zu Mittwoch viele Steine auf die Disco Jeton, die als
Rechtentreff verschrien ist. Und für den heutigen Samstag ist wieder eine
Kundgebung gegen rechte Gewalt geplant. Die Anspannung im Viertel ist groß.
Ströbeles junge Mitarbeiterin Katrin Schmidberger erzählt in seinem
Wahlkreisbüro, dass die Nazis im Viertel "auf dem Vormarsch" seien. Sie
träten "viel selbstbewusster, provokativer" auf. Bei den Rechten,
vielleicht auch durch die Gentrifizierung vertrieben, "kommt vieles aus
Frust und Perspektivlosigkeit", meint Ströbele. Gegen rechte Tendenzen
müsse man, wie am Samstag geplant, "besonders sichtbar auf der Straße sein"
- und natürlich alle Schläger zur Rechenschaft ziehen.
Aber warum zieht das eher linke und alternative Friedrichshain so viele
Rechte an? Warum ist die Quote rechter Überfälle hier so überproportional
hoch? Warum gibt es so viele Auseinandersetzungen zwischen Rechten und
Linken?
Ulli Jentsch sitzt in einer Fabriketage im friedlichen Kreuzberg und kann
dafür nur Erklärungsansätze liefern. Der Mitarbeiter des angesehenen
"antifaschistischem pressearchivs und bildungszentrums apabiz" neigt nicht
zur Panikmache.
Das Besondere an der rechten Gewalt in Friedrichshain sei ihr Auftreten im
öffentlichen Raum nahe U- oder S-Bahn-Stationen. Cliquen junger Männer aus
der rechten Szene, oft aus Brandenburg, würden dort, nachdem sie "in Berlin
eine Sause gemacht haben", auf ein linkes Milieu treffen - an Orten, "wo
sie sich immer auch wieder treffen müssen", weil sich ihre Wege
überschnitten, etwa an Verkehrsknotenpunkten.
So war es auch beim Beinahemord am Wochenende, als sich Gruppen von Rechten
und Linken am S- und U-Bahn-Knotenpunkt Frankfurter Allee in die Arme
liefen. Hinzu kämen in Friedrichshain gezielte Angriffe organisierte
Rechter auf linke Kneipen, Clubs oder Hausprojekte, so Jentsch. Sabine Seyb
vom Opferberatungsverein ReachOut berichtet: Etwa seit Anfang 2007 führen
organisierte rechte Schläger gezielt nach Friedrichshain, um in
alternativen Kneipen oder Hausprojekten zu randalieren.
Im April dieses Jahres veröffentlichten Neonazis im Internet eine Liste
"linker Läden" in Berlin, namentlich in der "Hochburg"
Friedrichshain-Kreuzberg. Als die Polizei mit den Gefährdeten Kontakt
aufnehmen wollte, um sie zu warnen, lehnte alle linken Projekte Gespräche
ab. Das Misstrauen war wohl zu groß. "Das ist etwas in die Hose gegangen",
sagt Jentsch lachend.
Tino K. von der Antifa Friedrichshain, die sich auch in der lokalen
Initiative gegen rechts engagiert, sagt: "Alle Welt kommt am Wochenende in
den Kiez und will Party machen." Da könnten schon Welten
aufeinanderprallen. Bei den rechten Überfällen habe die Brutalität stark
zugenommen. "Fast alle Angriffe wurden mit Waffen ausgeführt", sagt Tino K.
Vor drei Monaten eröffnete auch ein Thor-Steinar-Laden im Viertel. Das
Modelabel ist bei Neonazis beliebt. "Eigentlich hat der Laden in
Friedrichshain keine Kunden. Die Eröffnung ist eine Kampfansage", meint
Tino K.
In der Clubszene wird die Entwicklung aufmerksam verfolgt. Stephanie
Neumann von der Diskothek K17 betont: In ihrem Club verkehren Punks,
Gruftis und Metaller - sie sind zum Glück noch kein Opfer eines
Naziangriffs geworden. Gleichwohl beobachtet sie ein "höheres
Gewaltpotenzial bei den Prollos". Eine Mitarbeiterin der Bar 25 räumt ein:
Der östliche Teil des Bezirks, wo auch der Angriff auf Jonas K. geschah,
sei schon etwas "bierstammtischmäßig".
Von dort ist es auch nicht weit nach Lichtenberg. Der Nachbarbezirk, allen
voran der sogenannte Weitling-Kiez, ist eine Hochburg der rechten Szene.
Die Wege für die Neonazis in den Friedrichshainer Ausgehbezirk sind kurz.
In der U-Bahn-Station Samariterstraße wurde im November 1992 der linke
Hausbesetzer Silvio Meier durch Rechte erstochen - eine Gedenktafel und
jährliche Gedenkdemonstrationen erinnern an ihn. Der damalige Mord gleicht
dem Mordversuch am Wochenende in mancher Hinsicht.
Die 20-jährige Mirela hat die Schlägerei nach eigenen Angaben gesehen. Sie
arbeitet in einem Backshop direkt am Übergang zwischen der S- und
U-Bahn-Station Frankfurter Allee. Ausgangspunkt der Prügelei sei gewesen,
dass der Kampfhund eines Rechten einen Linken angestupst habe. Der habe
dagegen protestiert, der Rechte solle seinen Hund wegschaffen. So habe sich
die Sache aufgeschaukelt, bis ein Rechter eine Bierflasche zerschlagen
habe, um damit in das Gesicht eines jungen Linken zu schlagen. "Sein
Gesicht war voller Blut, sogar am Hals", sagt Mirela, "es war wie in einem
Horrorfilm."
Auch die Freunde des Opfers Jonas K. aus Mecklenburg-Vorpommern verstanden
die Welt nicht mehr, als sie von dem Angriff in Friedrichshain hörten.
Micha und Mandy sind nach Berlin gezogen. Sie kennen den S-Bahnhof
Frankfurter Allee, Mandy hat selbst dort oft rechte Pöbeleien und
Übergriffe beobachtet. "Aber nie in diesem Ausmaß. Der Angriff war an
Brutalität eine krasse Stufe höher" sagt sie. "Erschreckend" ist für Jonas'
Freund Ronny, "dass das scheinbar Alltag ist. Selbst durch die Mahnwache am
Montag sind Nazis gelaufen - unglaublich."
Der Geschäftsführer der Diskothek Jeton, der anonym bleiben will, steht auf
der Straße vor seinem Laden und begutachtet die Schäden durch die
Steinewürfe. Nein, betont er, das sei keine Nazi-Disco. "Wir arbeiten schon
länger daran, dieses schlechte Image loszuwerden." Entgegen den gut
belegten Ermittlungen der Polizei und entgegen eindeutigen Fotos, die
inzwischen im Internet aufgetaucht sind, behauptet er: Die Schläger "waren
keine Gäste von uns".
Schließlich hätten sie "zu 80 Prozent Stammpublikum": "Das sind alles
normale Bürger." Auch Schwarze und "Ausländer" würden reingelassen. Am
Abend des Überfalls habe es eine "Schaumparty" gegeben, die Täter wären
viel zu nass gewesen, um noch lange in der Stadt zu bleiben.
Die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Sigrid Klebba (SPD) kann nicht
erklären, warum es gerade in ihrem Bezirk so viele rechte Übergriffe gibt:
"Die Suche nach Antworten ist im Bezirk noch nicht abgeschlossen." Es gebe
da nur Mutmaßungen - auch ob der Streit zwischen Linken und Rechten nicht
manchmal "provozierend gesucht wird". Das Ganze passiere eben vor allem im
öffentlichen Raum eines "Innenstadtbereichs". Und, das will Klebba dann
doch klarstellen: Die Rechten seien keine Friedrichshainer Bürger.
18 Jul 2009
## AUTOREN
P. Gessler
T. Masberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Jahr nach der Naziattacke: Das Glück des Vergessens
Im Juli 2009 wird Jonas K. von Neonazis in Friedrichshain fast
totgeschlagen. Trotzdem engagiert er sich weiter gegen rechts - auch auf
der Silvio-Meier-Demonstration am kommenden Samstag.
Prozess: Neonazi-Opfer leidet an Amnesie
Der Student, der im vergangenen Sommer fast totgetreten wurde, kann sich an
den Vorfall nicht erinnern. Er sei froh darüber, sagt er vor Gericht.
Gewaltexperte Gugel über Zivilcourage: "Schweigen ist Mittäterschaft"
Wenn wie in Berlin-Friedrichshain ein Mensch von Nazis verprügelt wird,
kann man auch in der Minderzahl helfen, erklärt der Gewaltexperte Günter
Gugel.
Berliner Demo gegen Rechts: "Kein Gewalterlebnispark für Nazis"
Rund 5.000 kommen zum Protest gegen den Nazi-Übergriff vom vergangenen
Sonntag. Antifaschismus scheint an diesem Abend fast selbstverständlich zu
sein.
Besuch in der umstrittenen Disko: Eine ruhige Nacht im Jeton
Vor einer Woche schlugen rechtsextreme Gäste des Jeton in
Berlin-Friedrichshain einen Mann fast tot. Nun ist der Laden nahezu leer.
Rechtsextreme Schläger: Mit Hitlergruß auf der Tanzfläche
Bilder im Internet zeigen die am Sonntag verhafteten Rechten ganz privat -
und offen rechtsextremistisch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.