# taz.de -- Gewaltexperte Gugel über Zivilcourage: "Schweigen ist Mittätersch… | |
> Wenn wie in Berlin-Friedrichshain ein Mensch von Nazis verprügelt wird, | |
> kann man auch in der Minderzahl helfen, erklärt der Gewaltexperte Günter | |
> Gugel. | |
Bild: "Der Täter sollte nicht provoziert werden, indem man ihn duzt, beschimpf… | |
taz: Herr Gugel, vier Männer schlagen das Opfer so lange, bis es bewusstlos | |
wird. Die ZeugInnen rufen die Polizei, greifen selbst nicht ein. War das | |
richtig? | |
Günther Gugel: Es war richtig, die Polizei zu rufen. Solche Situationen | |
sind immer emotional aufgeheizt und mobilisieren Ängste. Sie erfordern aber | |
ein sofortiges Handeln. Das setzt bestimmte Kenntnisse und Selbstsicherheit | |
voraus. | |
Welche Kenntnisse? | |
Dazu gehört, eine Situation einschätzen zu können: Was ist sinnvoll? Was | |
ist realistisch? Vor allem die Fähigkeit, das Opfer in Sicherheit zu | |
bringen und die Täter festzustellen. Man muss auch wissen, dass man die | |
anderen Zeugen direkt ansprechen und ihnen Handlungsvorschläge machen muss. | |
Und selbst eingreifen? | |
In einer Vier-zu-eins-Situation mit mehreren brutalen Schlägern ist es | |
nicht sinnvoll, körperlich einzugreifen. Dadurch könnte man selbst zum | |
Opfer werden. Das müssen Profis machen wie die Polizei. Anders ist es mit | |
einer Übermacht an Zuschauern, die gemeinsam handeln können. | |
Was sollen die Leute tun? | |
Ratschläge sind in einer konkreten Gewaltsituation, in der sofortiges | |
Handeln erforderlich ist, meist nicht abrufbar, wenn man dies nicht | |
intensiv trainiert hat. Deshalb wird man auf eingeschliffene Routinen | |
zurückgreifen. Die absoluten Basics, die die Polizei empfiehlt, sind: | |
handeln, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen, Hilfe zu mobilisieren, | |
indem ein Notruf abgesetzt wird und sich als Zeuge zur Verfügung zu | |
stellen. | |
Wie soll man konkret auf den Täter zugehen? | |
Gemeinsam zu handeln und Selbstsicherheit zu zeigen verdeutlichen dem | |
Täter, dass die Eingreifenden es ernst meinen. Klar zu formulieren "Lassen | |
Sie die Person frei" informiert den Täter über das Handlungsziel. Der Täter | |
sollte nicht provoziert werden, indem man ihn duzt, beschimpft oder | |
beleidigt. Man muss sehr sachlich und bestimmt mit ihm reden, denn es geht | |
nicht darum, ihn herauszufordern, sondern jemanden aus einer | |
Gefahrensituation herauszuholen. Eine Übermacht von Entschlossenen kann | |
einen Einzeltäter, wenn er unbewaffnet ist, auch körperlich festhalten. | |
Wann soll man eingreifen? Bei derber Beschimpfung? Nach dem ersten Schlag? | |
So früh wie möglich, da sich solche Situationen leicht aufschaukeln können. | |
Bei Diskriminierungen oder verbalen Demütigungen muss man deutlich machen, | |
dass man keine Koalition mit dem Täter eingeht - dass er dieses Verhalten | |
unterlassen soll. Wichtig ist, Öffentlichkeit herzustellen. | |
Wie geht das? | |
Laut und deutlich zu sprechen und nicht hinter vorgehaltener Hand zu | |
flüstern. Schweigen bedeutet zumindest für die anderen stilles | |
Einverständnis und letztlich Mittäterschaft. | |
Ein Mann geht rau mit seiner Frau um - ist das deren persönliche | |
Angelegenheit? | |
Wenn der Konflikt als private Situation eingestuft wird, greift man in der | |
Regel nicht ein. Wir haben in Deutschland eine Kultur, wo das Private stark | |
respektiert wird, was aber zur Folge hat, dass Gewalt in Beziehungen oft | |
nicht oder sehr spät wahrgenommen wird. | |
Was soll man machen, wenn der Mann droht, die Frau zu Hause zu schlagen? | |
Wenn Sie in der Nachbarschaft leben und solche Fälle öfters beobachten: | |
Polizei einschalten oder, wenn Kinder involviert sind, auch das Jugendamt. | |
Inwiefern kann man Zivilcourage trainieren? | |
Man trainiert Zivilcourage im Alltag, wenn man sich gegen Diskriminierung | |
und gegen Übergriffe wendet. Das kann bei einem blöden Witz über jemanden | |
sein, indem man dem Gruppendruck widersteht und seine eigene Meinung | |
vertritt. Dies gelingt besser, wenn man Selbstvertrauen entwickeln konnte. | |
Es geht um Achtsamkeit statt Gleichgültigkeit. Es geht um Widersprechen | |
statt Schweigen. Es sind immer kleine Schritte. | |
Mit dem Täter sachlich reden, ihn nicht provozieren: "Lassen Sie die Person | |
frei!" | |
20 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Filiz Keküllüoglu | |
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