# taz.de -- Montagsinterview: Walter Momper zum Mauerfall 1989: „Die BVG fuhr… | |
> Am 9. November 1989 stellten sich West-Berlins Regierendem Bürgermeister | |
> Walter Momper viele Fragen: Wie bringt man Dynamik in die Maueröffnung? | |
> Hat die U-Bahn genug Kapazität? Und wer bringt die Kinder ins Bett? | |
Bild: Beim Mauerfall Regierender Bürgermeister von Berlin, heute Präsident de… | |
taz: Herr Momper, Berlin feiert in diesem Jahr den 20. Jahrestag des | |
Mauerfalls. Ist das alles Schnee von gestern oder geht es noch um was? | |
Walter Momper: Es geht auch darum, wer den Mauerfall für sich in Anspruch | |
nimmt. Der rot-rote Senat in Berlin hat ein ausgewogenes Gedenk- und | |
Feierkonzept vorgelegt. Die anderen werden mit Helmut noch versuchen, das | |
für sich zu reklamieren. | |
Mit Helmut? | |
Mit Helmut Kohl … | |
… obwohl Sie viel aktiver in der entscheidenden Nacht waren? | |
Na ja. | |
Immerhin gibt es Stimmen die sagen, erst als Sie, der damalige Regierende | |
Bürgermeister von West-Berlin, in der Abendschau des West-Senders SFB die | |
Nachricht von der neuen Reisefreiheit bestätigten, hätten das viele | |
Menschen im Ostteil der Stadt ernst genommen. Wieso konnten Sie eigentlich | |
so sicher sein, dass das stimmt? | |
Ich war ja vorab informiert. | |
Sie wussten schon vorher, dass die Mauer fallen wird? | |
Es gab am 29. Oktober ein Treffen mit dem Ostberliner SED-Chef Günter | |
Schabowski und dem Ostberliner Bürgermeister Erhard Krack. Die haben | |
erstmal erzählt, wie froh sie waren, dass sie gerade Erich Honecker los | |
geworden sind. Und dann sagte Schabowski, es werde Reisefreiheit geben für | |
die DDR-Bürger, denn das gehöre zu einem modernen Staat. | |
Was haben Sie davon gehalten? | |
Ich dachte, oh, eine späte Einsicht, aber immerhin. Wir haben dann ganz | |
konkret darüber geredet, wie das umgesetzt werden könnte. Schabowski | |
meinte, es würden anfangs nur sehr wenige rüber kommen, weil die meisten | |
DDR-Bürger ja erstmal einen Pass beantragen müssten. | |
Offensichtlich eine Fehleinschätzung. | |
Ich habe gleich gesagt, dass die bestehenden elf Grenzübergänge nicht | |
ausreichen würden. Das hat er auch eingesehen. Die sagten dann noch, die | |
Bundesregierung müsse helfen, weil die DDR-Bürger ja kein Westgeld hätten. | |
Später haben die alle 100 Mark Begrüßungsgeld bekommen. | |
Das war nach dem Mauerfall das witzigste Problem. Die Besucher nahmen das | |
Geld an, gaben es aber nicht aus, weil sie eh alles geschenkt bekamen. | |
Dadurch gab es keinen Geldrückfluss. Irgendwann hatte die Landesbank keinen | |
Bargeldbestand mehr. Um weiter zahlungsfähig zu sein, musste über Nacht aus | |
Frankfurt mit einer Militärmaschine Geld eingeflogen werden. Ich glaube, | |
das waren sieben Tonnen Bargeld. | |
Das konnte erst nach dem Mauerfall geregelt werden. Gab es noch Punkte, die | |
sich vorab klären ließen? | |
Es stellte sich das Problem, dass die DDR-Bürger nicht über Stadtpläne für | |
West-Berlin verfügen. Die gab es ja im Ostteil nicht. | |
Sie haben daraufhin Stadtpläne besorgt? | |
Wir haben den Springer-Verlag beauftragt, 200.000 Infozeitungen mit Plänen | |
zu drucken. Da hat sich der Tagesspiegel später noch beschwert, dass er den | |
Auftrag nicht bekommen hat. Außerdem haben wir bei der BVG angefragt, ob | |
sie mit ihren U-Bahnen und Bussen den Ansturm aus dem Osten bewältigen | |
könnte. | |
Und war die BVG vorbereitet? | |
Die hatten einen Notfallplan für Smog-Alarm in der Schublade … | |
… also für den Fall, dass die Berliner Luft so verschmutzt ist, dass keine | |
Autos mehr fahren dürfen? | |
Genau. Den haben die genommen. | |
Sie waren also gut vorbereitet. Wurde Ihnen auch ein Termin für die | |
Maueröffnung genannt? | |
Es hieß nur, deutlich vor Weihnachten. Und wir sollten rechtzeitig | |
informiert werden. | |
Der 9. November hat Sie dann aber doch überrascht? | |
Selbst Schabowski war ja überrascht. Der war ja für Propaganda zuständig, | |
musste mit den Journalisten reden und hatte deshalb an den entscheidenden | |
Minuten der Sitzung des Zentralkomitees der SED nicht teilgenommen. Kurz | |
vor der berühmten Pressekonferenz hatte er von dem neuen | |
Staatsratvorsitzenden Egon Krenz nur einen entsprechenden Zettel mit der | |
Neuregelung der Reisefreiheit in die Hand gedrückt bekommen … | |
… den er dann ganz am Ende gegen 19 Uhr verlesen hat … | |
… mit dem Nachsatz, das gelte seines Wissen nach sofort. | |
Wann haben Sie davon erfahren? | |
Ich war an dem Abend beim Springer-Verlag zur Verleihung des Goldenen | |
Lenkrads. Dort wurde ich von einem meiner Mitarbeiter informiert. Ich habe | |
mich daraufhin bei Friede Springer mit der Begründung entschuldigt, dass | |
die DDR die Mauer aufmachen würde. Das wurde da noch allgemein mit einem | |
ungläubigen Lächeln abgetan. Ich wurde dann mit Blaulicht zum SFB gefahren. | |
Knapp eine halbe Stunde später waren Sie beim SFB, dem Sender Freies | |
Berlin, live in der Abendschau. Wissen Sie noch, was Sie damals gesagt | |
haben? | |
„Das ist der Tag, auf den wir 28 Jahre lang gewartet haben.“ Aber ich | |
glaube, das hat so richtig keiner verstanden. Wer rechnet schon so schnell | |
nach, dass 1961 der Mauerbau war. Richtig deutlich wurde es wohl erst, als | |
ich die Ostberliner aufgefordert habe, ihre Trabbis und Wartburgs stehen zu | |
lassen, und stattdessen mit S-Bahn und U-Bahn zu uns zu kommen. | |
Zu dem Zeitpunkt war die Mauer aber noch dicht. Haben Sie sich nicht ganz | |
schön weit aus dem Fenster gelehnt? | |
Tatsächlich gab es auch in den Tagen zuvor immer wieder Nachrichten, die | |
sich als Falschmeldungen herausstellten. Einmal hieß es zum Beispiel, dass | |
alle DDR-Grenzsoldaten abgezogen worden seien. Später stellte sich heraus, | |
dass da nur einige das Ende ihres Wehrdienstes feierten und deshalb an der | |
Grenze nicht mehr präsent waren. Aber am 9. November dachten wir, wir | |
müssen da jetzt ein bisschen Dynamik in die Sache bringen. Und im Laufe des | |
Abends gab es auch die Nachrichten, dass sich Tausende an den | |
Grenzübergängen im Osten versammeln. | |
Wie haben Sie darauf reagiert? | |
Es gab noch am Abend eine Sondersitzung des Senats. Und wir haben lange | |
vergeblich versucht, die Alliiertenvertreter zu erreichen. | |
Amerikaner, Briten und Franzosen hatten damals die Oberhand über | |
Westberlin. Und die konnten Sie als Regierender Bürgermeister nicht | |
erreichen? | |
Das war nicht so einfach, es gab damals ja noch keine Handys. Schließlich | |
bekamen wir heraus, dass die alle bei einem Fest des Regisseurs Ulrich | |
Schamoni waren, der an dem Abend seinen 50. Geburtstag feierte. Außerdem | |
musste ich mich noch um meine Kinder kümmern. | |
Ihre Kinder? | |
Meine Frau war an dem Tag in London. Ursprünglich war ich dorthin | |
eingeladen worden, um eine Statue einzuweihen. Da hatte sie mich dann | |
vertreten. Später hat sie mir das übel genommen, weil sie so den Mauerfall | |
verpasst hat. Ich hätte an dem Abend eigentlich unsere Kinder ins Bett | |
bringen sollen. Das haben dann zum Glück Nachbarn übernommen. | |
Sie sind später nochmal zu einer weiteren Live-Sendung des SFB gefahren. | |
Die hatten da eine richtig gute Idee. Im Westfernsehen lief an dem Abend | |
irgendein wichtiges Fußballspiel. Es gab aber die Möglichkeit, alle | |
Fernsehsendemasten, die an der Grenze zur DDR standen, gleichzuschalten, so | |
dass man mit einer Sondersendung zum Mauerfall Ostdeutschland fast | |
flächendeckend erreichen konnte. Was davon im Westen ankam, war in dem | |
Moment zweitrangig. | |
Wann kam denn dann bei Ihnen die Nachricht an, dass die Mauer tatsächlich | |
offen ist? | |
Kurz nach 23 Uhr bekam ich einen Zettel ins Sendestudio gereicht. Darauf | |
stand, dass der Grenzübergang Bornholmer Straße offen sei und Tausende | |
herüberkommen. Ich hielt das Papier in den Händen unter dem Tisch und | |
dachte, wenn ich das jetzt vorlese, bricht ein Sturm los. Nur Minuten | |
später gab es aber schon erste Live-Bilder von der Bornholmer Straße. Ich | |
habe dann gesagt: „Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, dass ich | |
jetzt arbeiten gehen muss“, und habe das Studio verlassen. Viele Zuschauer | |
haben die Nachrichten zuerst für eine Inszenierung gehalten. | |
Wieso das? | |
Es gab mal in den USA eine Sendung über eine angebliche Landung von | |
Außerirdischen, die viele für bare Münze genommen haben. Hier war es genau | |
umgekehrt. Die Öffnung der Mauer war für viele unvorstellbar. | |
Wo haben Sie den Mauerfall dann erlebt? | |
Am Grenzübergang Invalidenstraße, direkt neben dem Hamburger Bahnhof. Da | |
waren schon an die 10.000 Menschen. Bürger mit Pass wurden noch ordentlich | |
abgefertigt, mit Stempel und allem. Die anderen sind einfach so durch. Ich | |
habe mich dort auf einen Tisch gestellt, auf dem die Rentner sonst ihre | |
Taschen ausleeren mussten, und die Leute per Megaphon begrüßt. „Liebe | |
Berlinerinnen und Berliner, hier spricht ihr Regierender Bürgermeister …“ | |
Eigentlich wollte ich die Menschen aus dem Übergang heraushaben – aber es | |
war egal was ich gesagt habe, der Rest ging im Jubel der Menge unter. | |
Hatten Sie in der Nacht Kontakt zu Offiziellen aus dem Osten? | |
Nein. Ich habe nur mit einem Hauptmann der Grenztruppen am Übergang | |
geredet. Erst Jahre später habe ich erfahren, dass der danach bei der | |
Führung der Grenztruppen in Rummelsburg angerufen hat. Er hat durchgegeben, | |
dass der Momper vor Ort sei und Volksreden halte. Schließlich hat er | |
gefragt, ob er den Momper festnehmen solle. Der diensthabende Offizier hat | |
aber einen lichten Moment gehabt und dringend davon abgeraten. | |
Hatten Sie selbst nie die Befürchtung, dass da noch etwas schief gehen | |
könnte? | |
Natürlich. Es gab die ganze Zeit ein Gefühl von Angst und Sorge. Irgendwann | |
waren in der Invalidenstraße plötzlich alle DDR-Grenzer verschwunden. Ich | |
dachte, ich muss versuchen, die Menschen möglichst schnell aus dem Übergang | |
herauszubekommen. Es hätte ja sein können, dass die Grenztruppen das | |
Rolltor auf der Westseite dicht machen und von Osten her in die Menge | |
schießen. Es hätte ja nur einer die Nerven verlieren müssen. | |
Wie hatten Sie sich auf so eine Situation eingestellt? | |
Seit der Öffnung des Zauns in Ungarn hatten wir so etwas x Mal | |
durchgespielt. Es war klar: Irgendwann kommt der Sturm von hinten über die | |
Mauer, so haben wir das immer genannt. Unsere Leute hatten zum Beispiel | |
überlegt, wenn 600 Leute entschlossen sind und die stürmen über die Mauer, | |
dann gibt es eine furchtbare Schießerei, ein Blutbad, aber dann sind die | |
durch. Denn wenn sich die Grenztruppen verschossen haben, ist es erstmal | |
aus. Bis sie wieder Munition von der Engels-Kaserne bekommen hätten, wären | |
20 bis 30 Minuten vergangen. Das konnte man nachrechnen. Wenn sich dann in | |
Ostberlin rumgesprochen hätte, jetzt können wir alle abhauen, aber in einer | |
halben Stunde ist Schluss, dann wären die alle dahin gepilgert. Dann hätte | |
es eine Massenflucht gegeben. | |
Die Massenflucht gab es dann ja auch … | |
… aber der Auslöser war keine Schießerei, sondern ein Missverständnis über | |
die Reiseregelung. Dass die DDR-Führung selbst der Auslöser war, das war | |
das Überraschende und Erstaunliche. Das hat dann auch zum friedlichen | |
Ablauf beigetragen. | |
Ab wann waren Sie sicher, dass beim Fall der Mauer alles gut geht? | |
Als ein Westberliner Polizist mit seinem weißem Mantel in der | |
Mauerdurchfahrt den Verkehr regelte. Der stand in ständigem Blickkontakt | |
mit einem Hauptmann der Grenztruppen und DDR-Grenzern und einem | |
Polizeioberrat aus West-Berlin, die vom Wachturm den Überblick behielten. | |
Da dachte ich, wenn die Zusammenarbeit so gut funktioniert, dann klappt das | |
schon. | |
Haben Sie in der Nacht zum 10. November eigentlich noch geschlafen? | |
Kurz. Gegen drei Uhr morgens war ich zuhause. Um sieben Uhr sind wir schon | |
wieder los, um nach Bonn zum Bundesrat zu fliegen. Als wir später wieder in | |
Tempelhof landeten, gab es kein Durchkommen mehr. Die Stadt war so voll, | |
dass wir über die Bürgersteige gefahren werden mussten. Allein auf dem | |
Ku'damm waren 300.000 Menschen. Insgesamt kamen rund eine Millionen am | |
ersten Tag aus dem Osten in den Westen. | |
Wahnsinn? | |
Wahnsinn. Ja, das wurde ja ganz schnell zum Wort des 9. November. | |
28 Sep 2009 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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Der 9. November | |
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