# taz.de -- Debatte Familienpolitik: Alle Mann an den Wickeltisch | |
> Kinderbetreuung ist keine Sache der Frauen, sondern ein Auftrag an die | |
> Gesellschaft. Der notwendige Strukturwandel ist jedoch nicht in Sicht. | |
Bild: Hat ein Herz für Babys – und Väter: US-Präsident Barack Obama | |
Erinnert sich noch jemand an die Anfänge der ersten Regierung Merkel? Da | |
schockte Ursula von der Leyen das konservative Milieu, keineswegs nur das | |
der eigenen CDU. Männer zum Dienst an der Wickelkommode zwingen wolle die | |
neue Frauen- und Familienministerin, jammerte so mancher Kommentator, und - | |
Stichwort Krippenausbau - mit stalinistischen Methoden kleine Kinder ihren | |
Familien entfremden. | |
Was von der Leyen wollte, war ein längst fälliger Paradigmenwechsel, weg | |
von der jahrzehntelangen Praxis in Westdeutschland, Frauen mit der | |
Betreuung und Sorge für kleine Kinder allein zu lassen, hin zu | |
frühkindlicher Förderung als gesellschaftlicher Aufgabe unter Einbeziehung | |
der Väter. Und das alles sollte nicht nur zum x-ten Mal als schöne Idee | |
beschworen werden, sondern endlich durch Milliarden Euro für Elterngeld als | |
Lohnersatz und vor allem durch den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur | |
verwirklicht werden. | |
## Verstaubte Familienpolitik, nicht nur in den Köpfen | |
Die Gleichberechtigung von Frauen scheitert in Deutschland nicht an | |
fehlenden Förderrichtlinien oder Antidiskriminierungsgesetzen. Sie | |
scheitert, weil Frauen die Entscheidung für Beruf und Familie noch immer | |
schwer fällt, schwer fallen muss, in einem Land, wo gute Krippen, Kitas und | |
Ganztagsschulen mit berufstauglichen Öffnungszeiten selten sind. Oder von | |
armen Eltern nicht bezahlt werden können. | |
Die Gleichberechtigung scheitert an einem verstaubten Familienmodell, das | |
nicht nur in den Köpfen unverbesserlicher Patriarchen existiert, sondern in | |
zahlreichen Bestimmungen des Steuer-, Sozial- und Arbeitsrechts verankert | |
ist (Ehegattensplitting, kostenlose Mitversicherung in der Renten- und | |
Krankenversicherung, Mini- und Midi-Jobs für "Zuverdienerinnen"). Frauen | |
sind in Deutschland benachteiligt, weil die von einer patriarchalen | |
Gesellschaft gesetzten Rahmenbedingungen es so wollen. | |
Von der Leyen hat versucht, zumindest an einem Punkt einen Strukturwandel | |
in Gang zu setzen: bei der Betreuung der unter Dreijährigen. Bis 2013 | |
sollen für mindestens 35 Prozent dieser Kinder Plätze entstehen. Mühevoll | |
genug war es, die 4 Milliarden Euro dafür lockerzumachen. Sie wurden mit | |
einem Zugeständnis an die CSU erkauft, wonach 2013 erneut über ein | |
"Betreuungsgeld" für Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kitas schicken, | |
verhandelt werden muss. | |
Der Ausbau von Krippen, Kitas und Ganztagsschulen schreitet nur langsam | |
voran. Für die notwendige Ausweitung der Öffnungszeiten, für die | |
massenhafte Einstellung von gut ausgebildeten und entsprechend bezahlten | |
ErzieherInnen, LehrerInnen und SozialpädagogInnen, gar für die | |
Kostenfreiheit der Einrichtungen und Mahlzeiten fehlt es angeblich an Geld. | |
Dabei ist die außerhäusliche Kinderbetreuung längst nicht mehr nur ein | |
frauen- oder familienpolitisches Thema. Regelmäßig kann man lesen, dass | |
Deutschland in vielen Bereichen internationalen Standards hinterherhinkt, | |
nicht nur bei der Entlohnung von Frauen, sondern auch bei der Integration | |
von Zuwanderern und bei der Bildungspolitik. | |
Diese Bereiche hängen eng zusammen: Wir brauchen den Ausbau der | |
frühkindlichen Bildung und Betreuung, nicht nur um Frauen gleiche Chancen | |
auf dem Arbeitsmarkt zu geben, sondern auch weil viele Familien mit der | |
Erziehung von Kindern überfordert sind. Und weil nicht nur Reichtum, | |
sondern auch Armut vererbt wird. Wenn von der Leyen mit dem Elterngeld die | |
Absicht verfolgt haben sollte, die gut ausgebildeten bürgerlichen Schichten | |
zu mehr Kindern zu animieren, so ist sie damit gescheitert. | |
Deutschland muss jetzt auf die Kinder setzen, die mangels frühkindlicher | |
Förderung und dank eines elitärer Auslese verpflichteten Schulsystems | |
bisher keine Chance hatten. Schwarz-gelbe Parteiprogramme und | |
Wahlkampfaussagen signalisieren keinen weiteren Strukturwandel in der | |
Frauen- und Familienpolitik. Im Gegenteil. CDU und FDP wollen für Familien | |
mehr Steuererleichterungen und mehr Kindergeld. Das ist die Politik alten | |
Schlags. | |
Schon jetzt leistet sich Deutschland einen im internationalen Vergleich | |
stark aufgeblähten Familienetat. Gefördert werden vor allem Familien mit | |
traditioneller Arbeitsteilung zwischen "Ernährer" und "Zuverdienerin". Je | |
höher das Einkommen des Haupt- oder Alleinverdieners, desto höher auch die | |
Steuersubventionen. Für die anderen bleiben Transferzahlungen, | |
hauptsächlich Kindergeld. | |
## Es bleibt beim negativen Erwerbsanreiz für Ehefrauen | |
An der Situation armer Familien ändert das nichts wirklich. Der dicke | |
Subventionsbrocken Ehegattensplitting (über 20 Milliarden Euro jährlich) | |
wird wahrscheinlich wieder einmal unangetastet die Legislaturperiode | |
überstehen, auch wenn die Union für ein "Familiensplitting" eintritt. Auch | |
wenn das "Ernährer"-Einkommen statt durch zwei durch drei oder mehr geteilt | |
werden sollte, bevor es versteuert werden muss, ändert das allerdings | |
nichts am negativen Erwerbsanreiz für Ehefrauen. | |
Bundeskanzlerin Merkel hat Bildungspolitik zum Schwerpunkt für die neue | |
Legislaturperiode ernannt, will aber das gegliederte Schulsystem | |
beibehalten, das bekanntlich Kinder aus "bildungsfernen" Schichten früh | |
aussortiert. Auch die Liberalen wollen die Ausgaben für Bildung drastisch | |
erhöhen. Wie das gehen soll, wenn man gleichzeitig die Steuern senkt und | |
den Staatshaushalt konsolidiert, bleibt vorerst unklar. Getreu ihrer | |
sonstigen Programmatik setzt die FDP auch in der Bildung auf "private" | |
Lösungen: Von der Kinderbetreuung über die Schulen bis zu den Universitäten | |
sollen Privatinitiativen und kommerziell ausgerichtete Träger mitmischen. | |
Wer sich diese Bildung nicht leisten kann, darf auf Bildungsgutscheine und | |
Stipendien hoffen. Und natürlich dürfen die Papis der Kids auf den | |
Privatschulen die Kosten dafür von der Steuer absetzen - eine Absage an | |
Bildung als Bürgerrecht. Denn das setzt voraus, dass der Bildungssektor in | |
öffentlicher Verantwortung bleibt und gute Qualität möglichst kostenfrei | |
vom ersten Lebensjahr an für alle liefert. | |
5 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Claudia Pinl | |
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Familie | |
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