# taz.de -- Nicht mehr Arbeitsminister: Jung schläft und tritt zurück | |
> Aus der katastrophalen Kommunikation nach dem tödlichen Luftangriff von | |
> Kundus hat Jung die Konsequenzen gezogen: Er stellt sein Amt als | |
> Arbeitsminister zur Verfügung. | |
Bild: Nicht mehr Verteidigungs- und neuerdings auch nicht mehr Arbeitsminister:… | |
Um 13.30 Uhr trat Franz Josef Jung - heiter wie immer - vor die Presse, | |
trug eine 101 Sekunden dauernde Erklärung vor und verschwand - fast wie | |
immer -, ohne Fragen zu beantworten. "Nach reiflicher Überlegung" und | |
nachdem er gemäß verbreiteter Sitte "erst einmal eine Nacht" darüber | |
geschlafen habe, habe er die Bundeskanzlerin darüber informiert, dass er | |
sein Amt als Arbeits- und Sozialminister zur Verfügung stelle, sagte Jung. | |
Der ehemalige Verteidigungsminister von der CDU erklärte, er bleibe zwar | |
dabei, dass er die Öffentlichkeit und das Parlament stets "korrekt | |
unterrichtet" habe. Doch übernehme er "die politische Verantwortung für die | |
interne Informationspolitik des Bundesverteidigungsministeriums" nach den | |
Luftangriffen vom 4. September. | |
Damit erreichte die politische und kommunikative Katastrophe, die dem | |
Bombardement mit bis zu 142 Todesopfern im nordafghanischen Kundus | |
nachfolgte, einen weiteren Höhepunkt. Ob jedoch die neue schwarz-gelbe | |
Regierung die Hypothek Jungs aus der vergangenen Legislaturperiode nun | |
abschütteln kann, bleibt dahingestellt. | |
Schon seit Donnerstag hatten nur noch wenige Beobachter in Berlin-Mitte | |
einen Cent darauf gewettet, dass Jung sich im Amt halten würde. Hinfällig | |
waren Freitagmittag nun alle halb- und viertelherzigen Erklärungen, die | |
CDU-Politiker inklusive Angela Merkel über Jungs Vertrauenswürdigkeit | |
abgegeben hatten. | |
Am Freitagmorgen tagte der Verteidigungsausschuss des Bundestags zu der | |
Vertuschungsaffäre. Die Abgeordneten ließen sich vom neuen | |
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) darüber | |
unterrichten, dass diesem bei Amtsübernahme nicht nur der bewusste | |
Feldjägerbericht vorenthalten worden war, sondern auch neun weitere | |
Dokumente. Diese bestätigen jedoch wohl nur, was auch aus dem Bericht der | |
Militärpolizei hervorgeht. | |
Das allerdings ist skandalös genug. Denn aus dem der taz vorliegenden, im | |
kaum verständlichen Abkürzungs-Militärdeutsch gehaltenen Bericht geht | |
hervor, dass die Feldjäger aus dem Regionalkommando Nord in Masar-i-Scharif | |
den von Oberst Georg Klein georderten Bombenabwurf auf zwei Tanklaster und | |
dessen Nachbereitung in Kundus sehr kritikwürdig fanden. Weiterhin lagen | |
dem Einsatzführungskommando in Potsdam unmittelbar nach dem Bombardement | |
Informationen vor, dass es zivile Tote, insbesondere Kinder, gegeben hatte. | |
Außerdem hatten Oberst Klein und sein Fliegerleitoffizier namens "Red Baron | |
20" keine ausreichenden Informationen darüber, wer sich an den Tanklastern | |
aufhielt, als sie das Bombardement anforderten. All dies widerspricht der | |
Darstellung der Ereignisse, an der das Verteidigungsministerium nach dem 4. | |
September tagelang festhielt. | |
Guttenberg soll am Mittwochabend erfahren haben, dass Bild diesen Bericht | |
veröffentlichen würde, und dann Nachforschungen im eigenen Haus angestellt | |
haben. Das Ergebnis: Er entließ Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und | |
Staatssekretär Peter Wichert. Diesen beiden wird nun vorgeworfen, den | |
Bericht mutwillig und mit Vertuschungsabsicht unterdrückt zu haben. Kenner | |
des Verteidigungsministeriums berichten, die beiden seien gewissermaßen die | |
Köpfe eines Systems gewesen, in dem jeder gegen jeden gearbeitet habe. | |
Doch Teilnehmer an der Ausschusssitzung vom Freitag berichteten auch, | |
Guttenbergs Auftritt sei nicht anders denn als Affront auch gegen Jung zu | |
werten gewesen - er habe dessen Rücktritt sichtlich ebenfalls für | |
angebracht gehalten. | |
Guttenberg "handhabt das relativ souverän", gestand selbst der | |
Verteidigungsexperte der Linksfraktion Paul Schäfer gegenüber der taz zu. | |
Doch ergänzte er: "Der Minister geht, der Aufklärungsbedarf bleibt." Auch | |
der grüne Verteidigungspolitiker Omid Nouripour erklärte sofort, dass die | |
Grünen darauf beharren, dass ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werde. | |
Zu viele Fragen stellten sich trotz aller bereits gezogenen personellen | |
Konsequenzen. | |
"Wir wollen Herrn Guttenberg natürlich gerne helfen, diese unglaublichen | |
Zustände im Verteidigungsministerium aufzuklären", sagte Nouripour zur taz. | |
Ihm sei es allerdings ein Rätsel, wie Guttenberg bisher zu der Bewertung | |
kommen konnte, das Bombardement sei "militärisch angemessen" gewesen. | |
Jung hatte am Donnerstagabend im Bundestag erklärt, vom Feldjägerbericht am | |
5. oder 6. Oktober Kenntnis erhalten zu haben. Er habe ihn jedoch zur | |
Weitergabe an die Nato-Untersuchungskommission freigegeben - angeblich, | |
ohne ihn gelesen zu haben, was am Freitag nur noch unglaubwürdiger schien. | |
Wenn aber die Informationen aus dem Feldjägerbericht in den Bericht der | |
Nato-Kommission eingingen, der Guttenberg Anfang November vorlag, hätte | |
Guttenberg den Luftangriff kaum so rechtfertigen können, wie er es dann | |
tat. Guttenberg hat in Aussicht gestellt, dass er seine Einschätzung des | |
Luftangriffs revidieren werde. | |
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Susanne Kastner (SPD), sagte | |
zur taz, auch die SPD wolle einen Untersuchungsausschuss beantragen, "weil | |
wir wissen wollen, wer noch alles davon gewusst hat", was im | |
Feldjägerbericht stand. Sie wolle damit aber keinesfalls Vermutungen | |
aufstellen, dass auch die Kanzlerin oder das Bundeskanzleramt früher | |
informiert gewesen sein könnten, als dies bislang behauptet wurde. Merkels | |
Sprecher Ulrich Wilhelm erklärte am Freitag, dem Kanzleramt sei der Bericht | |
am Mittwoch per Fax um 17.35 Uhr zugegangen. | |
Wenn sich der Verteidigungsausschuss dem Grundgesetz gemäß selbst als | |
Untersuchungsausschuss konstituiert, tagt er zwar geheim, doch die | |
Abgeordneten denken, dass der Rest der Öffentlichkeit nicht weiterhin | |
ausgeschlossen sein muss. "Es ist doch gar nicht gesagt, dass alles geheim | |
ist", sagte Ausschuss-Chefin Kastner zur taz. | |
FRANZ JOSEF JUNG, EXMINISTER | |
28 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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