# taz.de -- Ein ZDF-Märchen: Das tapfere Schächterlein | |
> Durch sein Festhalten an ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender steht jetzt | |
> ZDF-Intendant Markus Schächter in der Kritik. Der "schwarze" Intendant | |
> hat es sich nicht leicht gemacht. | |
Bild: War der Union nie schwarz genug: ZDF-Intendant Markus Schächter. | |
Es war einmal eine nicht ganz unwichtige Sendeanstalt, die größte Europas, | |
und sie residierte nahe der altehrwürdigen Stadt Mainz, hoch droben auf dem | |
Lerchenberg. Von dort hatte man einen weiten Blick über die Felder und | |
konnte fahrendes Volk, Feinde, Leo Kirch und sonstiges Kroppzeug schon von | |
weitem heranziehen sehen. Den besten Blick hatte freilich der ehrwürdige | |
Graf der Anstalt aus seinem Büro in einem der obersten Stockwerke des | |
Hochhausturms. | |
Es war der Herbst des Jahres 2001, und der alte Graf, der bei der Anstalt | |
Intendant und Dieter Stolte hieß, hatte seinem Haus durch 24 lange Jahre | |
tapfer und, wie sich das für Grafen gehört, auch ziemlich autokratisch | |
gedient. Nun wollte er sich nicht gerade ins Kloster zurückziehen, wie das | |
alte Grafen früher in Märchen manchmal wirklich machten. Aber Stolte wollte | |
nicht mehr, und so ging Kunde in alle Teile des öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunkreiches, dass ein Nachfolger gesucht werde. | |
Daher reisten in den nächsten Monaten viele - okay, Jünglinge waren es | |
nicht gerade - aus allen Landesteilen nach Mainz, um sich als neue | |
Intendanten beim ZDF zu bewerben. Auf sie warteten schreckliche Prüfungen. | |
Zwar mussten sie sich weder mit dreibeinigen Rittern herumschlagen noch das | |
Herz irgendeiner Prinzessin erobern oder Frösche küssen. Doch sie mussten | |
vor den ZDF-Fernsehrat. Denn es nützte nichts, dass man vom Lerchenberg den | |
Feind hätte von weitem kommen sehen können - er war längst schon da und saß | |
munter in den Räten des ZDF, die über den neuen Intendanten zu entscheiden | |
hatten. | |
Es waren - die Politiker und die anderen Parteibuchträger in den Gremien | |
der öffentlich-rechtlichen Anstalt. Sie hatten das ZDF schon damals penibel | |
unter sich aufgeteilt, belauerten sich argwöhnisch und mochten sich | |
untereinander nicht besonders. Und was ein munteres Turnier der Kandidaten | |
hätte werden können, wurde zur monatelangen Peinlichkeit. Über den | |
Intendantenstadl vom Lerchenberg höhnte die Presse, irgendwann wurde allen | |
Ernstes sogar Rudolf Scharping als neuer ZDF-Chef gehandelt. | |
Doch dann war er da: der Mann, der aus dem Garten kam. Erst um kurz vor | |
drei habe man ihn ganz überraschend angerufen, in seinem Mainzer Häuschen, | |
sagte Markus Schächter an diesem 11. März 2002. "Jetzt konnte ich gar nicht | |
mehr die Arbeit im Garten fortsetzen, die ich heute Vormittag begonnen | |
habe." Plötzlich musste schnell gehen, was zuvor in einem rund halbjährigen | |
politischen Hickhack alle Zeit der Welt hat. Dass Stolte schon ein paar | |
Tage später abtrat, machte nichts. Der Neue kannte den alten Laden ohnehin | |
in- und auswendig: Er war hier schließlich seit 1981 zu Hause, hatte unter | |
anderem das Kinderprogramm gemacht - selbst wenn es heute schwer fällt zu | |
glauben: Schächter war auch der Mann hinter "Ronja Räubertochter" und | |
"Lotta aus der Krachmacherstraße". Und seit 1998 Programmdirektor des ZDF. | |
Ein Krachmacher war er aber nicht, und schon die gut erfundene Fama vom | |
gärtelnden Obermainzelmann sollte zeigen, wie es beim Zweiten weitergehen | |
würde: ruhig, eher nach dem Slogan "Keine Experimente" - jedenfalls nicht | |
sofort. Aber immerhin ein bisschen kollegialer als beim ollen Stolte sollte | |
es werden: "Ich werde nicht die steile Hierarchie fortsetzen, die es unter | |
Stolte gegeben hat, sondern werde teamorientierter arbeiten. Ich bin ein | |
Kollegenchef", sagte Schächter. Das klang zwar wieder märchenhaft gut, doch | |
zunächst waren die bösen Mächte im ZDF am Zug. | |
Denn Schächter war ein wackliger Kompromiss, sogar für "seine" Partei: Weil | |
der Intendant des ZDF traditionell ein Schwarzer zu sein hat, hätte es für | |
Schächter solche Schwierigkeiten eigentlich gar nicht geben dürfen. Die | |
Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung hatte dem aus einfachen | |
Verhältnissen stammenden Pfälzer ein Lehramtsstudium ermöglicht, von 1977 | |
bis 1981 arbeitete er im Kultusministerium des damals "schwarzen" | |
Rheinland-Pfalz und war Pressesprecher von Hanna-Renate Laurien (CDU). Doch | |
der Union war Schächter nie schwarz genug. Gewählt wurde er, weil sich nach | |
unendlichen Vertagungen und noch mehr Wahlgängen auch die SPD für ihn | |
erwärmte. Doch da waren schon vier andere Kandidaten im Fernsehrat | |
gescheitert, und bei Schächters Wahl glänzten - absurder Höhepunkt des | |
Affronts - zehn Mitglieder des Fernsehrats demonstrativ mit Abwesenheit. | |
Das Image als "Verlegenheitskandidat" setzte Schächter sichtlich zu, bis | |
heute liegt ihm das Gezerre und Geschacher von 2001/2002 im Magen. Und | |
schon kurz nach der denkbar knappen Wahl schickten sich die Politiker an, | |
dem neuen Intendanten klar zu machen, wer nun weiter die Macht im ZDF | |
hätte: nämlich sie. | |
Der Anlass lag in der Person Schächter selbst: Das ZDF brauchte nun einen | |
neuen Programmdirektor, aber wer gedacht hatte, die politischen Zampanos | |
seien nach dem Desaster des Intendantengeschachers demütiger geworden, | |
wurde schnell eines Besseren belehrt. Auch auf dem Lerchenberg gilt die | |
alte Märchenregel, dass die bösen Feen und Zauberer immer böse bleiben. Und | |
so entfaltete sich schon einmal das Drama, das sich jetzt mit Nikolaus | |
Brender wiederholt hat: Als Nachfolger von Schächter hatte beim ZDF nämlich | |
sein Stellvertreter Hans Janke, der Gentleman vom Lerchenberg, zunächst die | |
Programmdirektion übernommen. Der Fernsehspielchef galt als Garant für | |
Anspruch und als Magier, der Qualität und Quote miteinander vereinen | |
konnte. Doch was ein Märchen mit gutem Ausgang hätte werden können, endete | |
in tiefer Trauer. Schon bald hob wieder ein Geschacher an, das von | |
parteipolitischem Kalkül bestimmt war. Denn Janke wurde - ähnlich grundlos | |
wie jetzt Brender - als "rot" lackierter Kandidat verortet; die Union | |
kläffte und zerrte an "ihrem" Intendanten, der Janke zwar favorisierte. Und | |
sich dann doch drein schickte: Nachdem Schächter, der Meister der | |
Hinterzimmerverhandlungen und des knallharten Kamingesprächs, auf allen | |
Hintertreppen scheiterte, wurde im November 2002 der als CDU-nah geltende | |
Thomas Bellut zum neuen Programmdirektor bestimmt. Wie ein Held sah | |
Schächter damals gar nicht aus. Und auch dieser Fall zehrt bis heute an | |
ihm. | |
Doch wie in jedem guten Märchen, in dem der Held durch emsige Arbeit | |
(Programmreform, Haushaltskonsolidierung, Aufbau der ZDF-Digitalkanäle) und | |
ein bisschen Glück (2005 war das ZDF TV-Marktführer) seine Prüfungen | |
meistert, war für Schächter eines Tages der Lohn da: Mit dem besten | |
Ergebnis, das ein Intendant in der Geschichte des ZDF je erreicht hat, | |
wurde er bis 2012 als Obermainzelmann wiedergewählt. Und "seiner" Partei | |
prompt zu übermütig: Ende 2008 wurde er vor den "schwarzen", den | |
konservativen Freundeskreis im ZDF-Fernsehrat zitiert. Vom "Einlauf", den | |
der Intendant bekam, ist in Mainz die Rede, die Kommunikation mit ihm | |
klappe nicht, er geriere zu unabhängig und fühle sich offenbar seinem Lager | |
nicht mehr genügend verpflichtet. Und dann habe er auch noch mit seinem | |
Landsmann Kurt Beck gekuschelt, dem anderen Pfälzer beim ZDF, der nun mal | |
Landesfürst der SPD ist - wie konnte er nur! Und jetzt noch dies: Nikolaus | |
Brender, sowohl Edmund Stoiber (CSU) wie Angela Merkel (CDU) mehr als ein | |
Dorn im Auge, schon mehr ein Stachel im Fleisch, sollte nach Schächters | |
Willen Chefredakteur bleiben. Hatte die CSU nicht schon seit 2003 Brenders | |
Absetzung verlangt? Oder Merkels Hausmeier beim ZDF, | |
Ex-CDU-Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann, sich nicht deutlich genug | |
gegen den dunklen Schnauzbart verwandt? | |
Dumme Christdemokraten | |
Schon im Februar 2009 kam es im ZDF-Verwaltungsrat, der über Chefredakteure | |
sowie Programmdirektoren zu befinden hat, zum Schwur. Doch was wie bei | |
Janke begann, endete - wenn auch nur vorerst - anders: Schächter setzte | |
weiter auf Brender. Und das ZDF bemühte mal wieder die heimische Flora und | |
Fauna. Beim Wandern in der geliebten Pfälzer Landschaft, raunte es aus der | |
aller Märchenonkeligkeiten gänzlich unverdächtigen Pressestelle des | |
Senders, sei dem Intendanten die rettende Idee zum Aufschub gekommen: Ein | |
Gutachten sollte bis zum Herbst klären, woran man war. Zeit war gewonnen, | |
in der sich mancher hätte besinnen können. | |
Allein: Es nützte nichts. Die Union blieb so dumm wie halsstarrig bei ihrem | |
"Brender muss weg", wie Schächter tapfer zu seinem Chefredakteur stand. Nun | |
hat es die Union zwar am Freitag geschafft, Brender zu killen. Doch | |
Schächter ist bis zuletzt standhaft geblieben. Wie im Märchen hat es sogar | |
für sieben auf einen Streich gereicht, doch neun Stimmen wären im | |
ZDF-Verwaltungsrat nötig gewesen, Brender durchzubringen. Nun steht da ein | |
Mainzelmann als tragischer Held, der sich für das von Unions-Wortführer | |
Roland Koch geheuchelte "uneingeschränkte Vertrauen" zu ihm, dem | |
Intendanten, wohl nicht viel kaufen können wird. Und der trotzdem | |
selbstbewusst verlangt, dass die Spielregeln beim ZDF und vor allem der | |
enorme Einfluss der Politik rechtlich überprüft werden müssen. | |
Doch bevor das geschieht, ist Markus Schächter wieder auf Wanderung durch | |
Deutschlands heilige Wälder. Denn nur er kennt jenen märchenhaften Ort, wo | |
nahe dem alten Tore auf einer Lichtung bei Mondschein, versteckt hinter | |
dicken Mauern - die unabhängigen Chefredakteure wachsen. Denn wieder gibt | |
es Streit im ZDF auf dem Lerchenberg, wieder sitzen die Feinde schon im | |
Haus. Und wieder ist - wie es in der Sprache der alten Märchen geschrieben | |
würde - ein wichtiger Job frey. | |
30 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Beck will ZDF-Gremien reformieren: Keine Macht den Politikern | |
Nach der Nichtvertragsverlängerung von ZDF-Chefredakteur Brender reagiert | |
Ministerpräsident Beck. Er will weniger aktive Politiker in den | |
ZDF-Aufsichtsgremien. | |
Streit um ZDF-Chefredakteur Brender: Die Drahtzieherin im Kanzleramt | |
Wird Nikolaus Brender ZDF-Chef bleiben? Vermutlich nicht. Roland Koch ist | |
beim Machtkampf nur die Speerspitze der Union – die Drahtzieherin sitzt im | |
Kanzleramt. | |
ZDF-Chefredakteur muss gehen: Union schasst parteilosen Brender | |
Der Parteiauftrag ist erfüllt: Nikolaus Brender ist nicht mehr | |
Chefredakteur des ZDF. Roland Koch verteidigt die Entscheidung. Sie sei | |
"legitim" und "zum Wohle" des Senders. | |
Kommentar ZDF-Chefredakteur: Schamlose Machtspiele | |
Die Dreistigkeit, mit der sich die Union im ZDF-Verwaltungsrat durchsetzte, | |
ist ein Generalangriff auf die journalistische Unabhängigkeit des | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunks. | |
Der ZDF-Verwaltungsrat: Die Mär von der Staatsferne | |
Im ZDF-Verwaltungsrat drängen sich die Granden von SPD und Union. Jetzt | |
fordern über 30 Juristen eine Prüfung dieser Einflussnahme in Karlsruhe. | |
Kommentar Fall Brender: Das Stimmvieh ZDF | |
Im Fall Brender ist das Verhalten der so genannten gesellschaftlichen | |
Gruppen in den ZDF-Gremien ein Skandal. Sie haben die Pflicht, die | |
Gesellschaft zu vertreten. |