# taz.de -- Medizinische Forschung: Unbequeme Studien bleiben geheim | |
> Arzneimittelstudien werden oft nur veröffentlicht, wenn sie erfolgreich | |
> verlaufen sind. Pharmaexperten fordern nun eine Veröffentlichungspflicht | |
> für die Ergebnisse von Arzneimitteltests. | |
Bild: Die Ergebnisse vieler Arzneimitteltests gelangen nicht an die Öffentlich… | |
"Forschung ist die beste Medizin" - diesen einprägsamen Slogan verbreitet | |
der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) seit Jahren via | |
Anzeigen, Fernsehspots und einer Kampagnen-Website. Mit Überschriften wie | |
"Klinische Studien - Schlüssel zum Erfolg" geht es offensichtlich auch | |
darum, Menschen zur Teilnahme an Arzneimitteltests zu bewegen. | |
Derartige Studien sind Pflicht; sie sollen belegen, dass ein neues | |
Medikament wirkt und mögliche, riskante Nebenwirkungen in Abwägung zum | |
Nutzen noch vertretbar sind. Gelingt der Nachweis, ist die Bahn frei für | |
die behördliche Zulassung und anschließende Vermarktung. | |
Rund 1.300 solcher Arzneistudien laufen laut VFA jährlich in Deutschland, | |
je nach Prüfphase machen zwischen 10 und 10.000 Testpersonen mit. Auf | |
seiner Internetseite erläutert der VFA: "Forschende Pharmaunternehmen haben | |
sich verpflichtet, die Ergebnisse jeder von ihnen beauftragten | |
Patientenstudie zu veröffentlichen, wenn das erprobte Präparat zugelassen | |
wird." | |
Entscheidend in diesem Satz ist das Wörtchen "wenn": Es besagt, dass sich | |
die verheißene Transparenz grundsätzlich auf solche Studien beschränkt, die | |
aus Sicht des Auftraggebers erfolgreich verlaufen sind. | |
Das angestrebte Ziel wird aber auch oft verfehlt - etwa, wenn eine | |
klinische Prüfung abgebrochen werden muss, weil Probanden gesundheitliche | |
Schäden erlitten haben oder sich während der Testreihen herausstellt, dass | |
das Prüfpräparat nicht wirkt wie erhofft. | |
Einblick haben allenfalls die sogenannten Ethikkommissionen. Sie müssen vor | |
jeder klinischen Studie eine "zustimmende Bewertung" abgeben und auch | |
während der Versuchsphasen über eventuelle Komplikationen informiert | |
werden. | |
Allerdings wirken die Gremien vertraulich - und ob, wo und durch wen | |
klinische Prüfungen abgebrochen wurden, wird nirgends systematisch | |
registriert und veröffentlicht. | |
"Zirka 50 Prozent von dem, was als klinische Studien begonnen wird, sieht | |
nie die Öffentlichkeit", sagt Gerd Antes, der am Universitätsklinikum | |
Freiburg das "Deutsche Register Klinischer Studien" mit aufbaut; für dieses | |
Projekt bewilligte das Bundesforschungsministerium im Herbst 2007 insgesamt | |
2,2 Millionen Euro. Zurzeit sind Angaben zu gerade mal 157 Studien online | |
und für jeden Internetsurfer frei zugänglich - die Registrierung ist | |
freiwillig und beruht auf Goodwill von Forschern und Pharmafirmen. | |
Die hohe Rate an unterbliebenen Publikationen hält Antes für "völlig | |
unakzeptabel". Das Problem werde "noch dadurch verstärkt, dass ,positive' | |
Studienergebnisse schneller und häufiger publiziert werden als ,negative' | |
Ergebnisse", erklären Antes und seine Registerkollegen im | |
Bundesgesundheitsblatt (Ausgabe 4/2009). Werden negative Resultate gezielt | |
verschwiegen, führe dies zu einer "systematischen Verzerrung", was | |
Fachleute als "Publikationsbias" kritisieren. | |
Mögliche Folgen seien "erheblicher Überoptimismus bezüglich der Wirksamkeit | |
einer (neuen) Therapie bis hin zur Ignoranz potenzieller Nebenwirkungen". | |
Auch bestehe die Gefahr, dass Forscher ganze Studien "unnötigerweise" | |
wiederholen und unwissentlich Probanden dem Risiko bereits erwiesener, aber | |
nicht publizierter Nebenwirkungen aussetzen könnten. | |
"Wer Ergebnisse einer Studie geheim hält, hintergeht die teilnehmenden | |
Patienten und stellt die Rechtmäßigkeit der Einwilligung zur | |
Studienteilnahme in Frage", kritisiert Peter Sawicki, Leiter des Kölner | |
Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). | |
Als Anlass, die Öffentlichkeit derart zu alarmieren, nahm Sawicki einen | |
Ende November veröffentlichten Abschlussbericht, mit dem das IQWiG drei | |
Medikamente gegen Depressionen bewertet hat. | |
Einer der Hersteller, die Firma Pfizer, habe die Erstellung des Berichts | |
"massiv behindert", sagt Sawicki, dessen - aus Beiträgen der gesetzlich | |
Krankenversicherten finanziertes - Institut die Aufgabe hat, "verlässliche | |
Schlussfolgerungen über Nutzen und Schaden" von Arzneien zu ziehen. Pfizer | |
habe sich "über lange Zeit geweigert", dem IQWiG Informationen zu Studien | |
über den Wirkstoff Reboxetin zur Verfügung zu stellen, der seit 1997 in | |
Deutschland zugelassen ist. | |
Mehrfach habe das IQWiG eine Liste "aller publizierten und unpublizierten | |
Daten" vergeblich vom Hersteller erbeten; in der öffentlich zugänglichen | |
Literatur hätten nur Daten von rund 1.600 Patienten vorgelegen, die für | |
einen Nutzen des Wirkstoffs sprachen. Die Kölner Wissenschaftler fanden es | |
aber "offenkundig", dass Pfizer hier "knapp zwei Drittel aller bislang in | |
Studien erhobenen Daten unter Verschluss hielt", so dass eine Auswertung | |
nur der frei verfügbaren Daten ein verzerrtes Bild ergeben hätte. | |
"Erst unter öffentlichem Druck", so das IQWiG, habe Pfizer die angemahnten | |
Daten doch noch vollständig offen gelegt. So konnten Sawickis Kollegen | |
letztlich 17 "für die Nutzenbewertung geeignete" Studien mit insgesamt etwa | |
5.100 Patienten analysieren. Fazit des IQWiG: Weder für die Akuttherapie | |
noch für die Rückfallprävention sei ein Nutzen für Reboxetin belegt. Weder | |
hätten Patienten im Vergleich zu einem Scheinmedikament besser auf die | |
Therapie angesprochen, noch konnten sie mit dem Wirkstoff ihren Alltag | |
besser bewältigen. | |
Der Hersteller konterte mit einer eigenen Pressemitteilung, Titel: "Pfizer | |
sieht positiven Nutzen von Reboxetin für die Behandlung der Depression". | |
Man werde den IQWiG-Bericht nun prüfen und später detaillierter Stellung | |
nehmen; im Übrigen sei Reboxetin "ein bereits älterer Wirkstoff", der zur | |
Behandlung von Depressionen nur noch "bei einem kleinen Teil der Patienten" | |
eingesetzt werde. | |
Das IQWiG fordert eine "EU-weite gesetzliche Verpflichtung zur | |
Veröffentlichung der Ergebnisse klinischer Studien", was auch die schon | |
zugelassenen Medikamente einschließen müsse. Die Bundesregierung solle | |
darauf dringen, dass auf EU-Ebene eine verbindliche Regelung umgesetzt | |
werde, wie sie bereits seit Herbst 2007 in den USA in Kraft sei. | |
Registrierung und Publikation sollten für alle Varianten von medizinischen | |
Versuchen mit Menschen obligatorisch sein, empfehlen Experten wie Gerd | |
Antes. Denn es werden nicht nur Arzneien an Testpersonen erprobt, sondern | |
auch Medizinprodukte, technische Geräte sowie chirurgische und | |
diagnostische Verfahren. | |
8 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
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