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# taz.de -- Debatte sexueller Missbrauch: Das Schweigen der Lämmer
> Schuld an den Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen ist nicht
> nur das Zölibat. Auch ein verkorkstes Sexualklima in der Kirche, ihre
> Weltfremdheit und der Glaube sind Ursachen.
Bild: Es gibt eine lange Liste mit Schandtaten im Namen des Herrn.
Natürlich die Pfaffen! Die Reaktion auf den Missbrauch von Kindern und
Jugendlichen am Berliner Jesuitengymnasium "Canisius Kolleg" ist
vorhersehbar. Wieder einmal steht eine Institution der katholischen Kirche
zu Recht in der Kritik, weil in ihr jahrelang sexuelle Verbrechen an
Kindern verübt wurden. Es gibt eine lange Liste mit solchen Schandtaten im
Namen des Herrn, zuletzt waren es pädophile Priester in den USA und in
Irland.
Schnell ist eine Erklärung bei der Hand: Das Zölibat, die erzwungene
Ehelosigkeit der katholischen Priester, soll die Schuld an solchen
Verbrechen tragen – wer keinen Sex mit Frauen haben darf, reagiert sich an
kleinen Jungs ab, scheint der Gedanke dahinter. Mal abgesehen davon, dass
dabei wild Hetero- und Homosexualität, Sex unter Erwachsenen und Sex mit
Abhängigen, Liebesbeziehungen und Machtdemonstrationen durcheinander
geworfen werden – der Kurzschluss mit dem Zölibat ist vor allem deshalb
falsch, weil er Verantwortlichkeiten verschleiert. Denn wenn eine
Jahrhunderte alte Kirchenregel schuld ist, dann sind die Täter und ihre
Vorgesetzten fein raus.
Der Zölibat ist nur ein Symptom, nicht die Ursache. Die liegt in der
verklemmten Sexualmoral der katholischen Kirche. Dabei fordert das
Kirchenrecht von einem Priester nur die Ehelosigkeit, und auch sie ist nur
eine Verwaltungsvorschrift, die der Papst mit einem Federstrich ändern
könnte. Ordensleute allerdings geloben beim Eintritt ins Kloster neben
Armut und Gehorsam auch "Keuschheit", Jesuiten sogar noch zusätzlich Treue
zum Papst. Die Täter von Tiergarten haben sich also in der Gedankenwelt der
Kirche gleich mehrfach versündigt: Gegen die Kinder, aber eben auch gegen
ihr Gelübde, gegen ihren Orden und schließlich auch gegen den Papst.
Der wiederum trägt keine Mitschuld an den einzelnen Verbrechen. Wohl aber
an einem Klima, das solche Übergriffe ermöglicht und deckt. Denn zu Recht
weisen Kirchenleute jetzt darauf hin, dass sexueller Missbrauch keine
Domäne der katholischen Kirche ist: In Familien, Freundeskreisen,
Sportvereinen, Jugendzentren und staatlichen Schulen werden Kinder
misshandelt. Und in allen Bereichen wurden die gleichen Fehler gemacht:
Täter wurden nicht zur Rechenschaft und aus dem Verkehr gezogen, sondern
nur mit einer Ermahnung an die nächste Schule weitergeschickt.
Dieses Wegschauen trifft gerade die Kirchen, denn hier ist oft das
Vertrauen der Eltern größer, die Kontrolle laxer, und der Anspruch an eine
christliche Erziehung ist himmelhoch. Dass eine solche umfassende Erziehung
von Kindern zu gesunden Persönlichkeiten ausgerechnet von Menschen
geleistet werden soll, die mit der Sexualität einen wichtigen Teil ihrer
Persönlichkeit abspalten und abtöten, wird seltsamerweise nicht als Problem
begriffen.
Dabei ist es in der katholischen Kirche ein offenes Geheimnis, dass ihre
Leibfeindlichkeit ein Haupthindernis zu einer menschlichen Gemeinschaft
ist. Schon vor 20 Jahren hat der (später geschasste) Priester und
Psychotherapeut Eugen Drewermann mit seinem Standardwerk „Die Kleriker“ die
psychischen Defizite des Kirchenpersonals beschrieben. Seitdem hat sich die
Lage eher noch verschlimmert. Sexualität ist tabuisiert und wird in der
Priesterausbildung nur theoretisch betrachtet.
Das Milieu zieht Menschen mit dem Sexleben eines Pubertierenden magisch an.
Das sind dann Priester, die von einem Intimleben auf Augenhöhe mit einem
Partner (ein Drittel der katholischen Priester gelten als schwul) oder
einer Partnerin nur träumen können, für die eigene sexuelle Erfahrungen
immer mit Schuld und Heimlichkeit verbunden sind. Und der Priestermangel
führt dazu, dass manche Bistümer offensichtlich ungeeignete Kandidaten zu
Priestern weihen.
Wie legt man einen solchen Sumpf von Lebensfeindlichkeit und – man muss das
Wort gerade gegenüber der Kirche gebrauchen – Unmoral trocken? Eltern
sollten beim Pfarrer genauso kritisch sein wie beim Fußballtrainer, eher
kritischer. Das Canisius-Kolleg und der Jesuitenorden könnten in die
Offensive gehen und eine internationale Konferenz aus Theologen,
Soziologen, Medizinern und Missbrauchsopfern einberufen, um darüber zu
reden, welche Strukturen in der Kirche dem sexuellen Missbrauch Vorschub
leisten.
Früher haben die Kirchen für drängende kirchliche und gesellschaftliche
Probleme eigene Orden gegründet oder Lehrstühle an Universitäten
geschaffen. Die Frage, wie sehr die Struktur der Kirchen zu befreiendem
Handeln oder zu lebensfeindlichen Missbräuchen einlädt, wäre deutlich
wichtiger als spitzfindige theologische Debatten und hätte ein eigenes
Forschungszentrum verdient. All das wird unter dem deutschen Papst nicht
passieren. Aber wenn man irgendwo Wunder erwarten darf, dann doch wohl in
der katholischen Kirche.
2 Feb 2010
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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