# taz.de -- Kopten in Ägypten: Fremd im eigenen Land | |
> Beispiel Naga Hamadi: Das Klima zwischen Christen und Muslimen in Ägypten | |
> hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. | |
Bild: St. Georgskloster (Mari Girgis) im koptischen Viertel in Kairo, Ägypten. | |
Es war kein gewöhnliches Begräbnis, das Anfang des Monats in der | |
südägyptischen Kleinstadt Naga Hamadi stattfand. Es herrschte nicht nur | |
Trauerstimmung, die Christen waren auch wütend und schockiert. Aus allen | |
Seitenstraßen der südägyptischen Kleinstadt strömten sie auf der | |
Hauptstraße zusammen, um die sieben mit Kreuzen geschmückten Särge zu Grabe | |
zu tragen. Am Vorabend des orthodoxen Weihnachtsfestes waren am 6. Januar | |
die sieben koptischen Christen nach der Christmette vor ihrer Kirche | |
erschossen worden. | |
Auch Wochen nach dem Attentat ist in Naga Hamadi die Polizei immer noch in | |
Alarmbereitschaft. Nicht nur um jeglichen interkonfessionellen Konflikt im | |
Keim zu ersticken, sondern auch um den Lokalreportern das Leben schwer zu | |
machen, die gekommen sind, um ein paar Fragen zu stellen. Inzwischen wurden | |
drei mutmaßliche muslimische Täter dem Staatssicherheitsgericht überstellt | |
und damit, so hofft die Regierung in Kairo, soll der Fall erledigt sein. | |
Sie vermeidet es, das Ganze als ein Ergebnis konfessioneller Spannungen zu | |
beschreiben. | |
Mufid Schehab, der Minister für juristische und parlamentarische | |
Angelegenheiten, bezeichnete den Vorfall als "ein Verbrechen, das keine | |
religiöse Dimension besitzt". Die Polizei beschreibt die Tat als eine Art | |
Blutrache für die Vergewaltigung eines muslimischen Mädchens, angeblich | |
durch einen Christen und weist darauf hin, dass einer der mutmaßlichen | |
Täter mit dem Mädchen verwandt sei. Warum in diesem Fall von Blutrache im | |
ländlichen Oberägypten nicht wie üblich eine Familie, sondern eine ganze | |
Religionsgruppe zum Ziel gemacht wurde? Die Antwort auf diese Frage lässt | |
die Regierung offen. | |
Nicht alle geben sich damit zufrieden. Die koptische Parlamentsabgeordnete | |
Georgette Kalliny bezeichnete den Anschlag in einer hitzigen | |
Parlamentsdebatte als konfessionellen Streit und fragte, warum es acht Tage | |
dauerte, bis das Parlament eine Untersuchungskommission nach Naga Hamdi | |
schickte. | |
Ein andere unabhängige Untersuchungskommission der | |
Menschenrechtsorganisation Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte | |
wirft der Polizei vor, die Kirchen in Naga Hamadi nicht ausreichend | |
geschützt zu haben, obwohl es nach dem Vergewaltigungsfall zahlreiche | |
Drohungen gegen die Christen des Ortes gab. Ein Grund, warum die | |
Christmette vorverlegt worden war und viele Kopten es vorzogen, an diesem | |
Abend in benachbarten Orten oder gar nicht zur Messe zu gehen. Außerdem, | |
heißt es in dem 44-seitigen arabischen Bericht, seien im Anschluss Muslime | |
und Christen willkürlich verhaftet und zum Teil gefoltert worden und die | |
Medien seien davon abgehalten worden, vor Ort angemessen zu recherchieren. | |
Laut dem Bericht habe der Anschlag auch eine lokalpolitische Dimension. Die | |
Kopten hatten bei der letzten Parlamentswahl mehrheitlich gegen den | |
derzeitigen Vertreter im Parlament, den Muslim Abdel Rahman al-Ghul, | |
gestimmt. Ende des Jahres stehen neue Parlamentswahlen an. | |
600 Kilometer weiter nördlich, nach der Sonntagsmesse in Schoubra, einem | |
Viertel im Zentrum Kairos mit einem hohen koptischen Bevölkerungsanteil. | |
Der dortige koptische Bischof Morcos nimmt sich Zeit für ein Gespräch mit | |
dieser Zeitung. Für ihn ist der letzte Anschlag nur die Spitze des | |
Eisberges. Das Klima zwischen Muslimen und Christen hat sich in den letzten | |
Jahren zunehmend verschlechtert, sagt er. Um das zu belegen, erzählt er | |
Anekdoten aus dem koptischen Alltag. Etwa von dem dreijährigen koptischen | |
Kind Michael, das in einen gemischten Kindergarten ging und dem von einem | |
anderen Dreijährigen erklärt wurde, dass es als Ungläubiger in der Hölle | |
schmoren werde. | |
Neben der Kirche befindet sich ein koptischer Kindergarten. Dort bestätigt | |
die Lehrerin Mariam solche Geschichten mit eigenen Erfahrungen. Sie hatte | |
ihren Sohn zunächst in einem gemischten Kindergarten eingeschrieben. Doch | |
dort wurde er von den muslimischen Kindern immer als "Ungläubiger" | |
ausgegrenzt. Er bekam richtige Komplexe und wollte nicht mehr hingehen, | |
erzählt sie. Deshalb habe sie ihr Kind in diesen rein koptischen | |
Kindergarten geschickt. | |
Die Muslime und die Christen blieben immer häufiger unter sich, beschreibt | |
sie die Lage. "Wenn wir auf die Straße gehen, werden wir beschimpft und man | |
grüßt uns nicht. Wir fühlen uns gesellschaftlich isoliert", schildert sie | |
die Situation. Derartiges erlebt man besonders in Kairos Armenviertel oder | |
auf dem Land, oftmals dort, wo der Bildungsstand niedriger ist. | |
Aber es ist die zunehmende Islamisierung der Gesellschaft, die alle Kopten, | |
egal welchen Standes, erleben und die ihnen oft das Gefühl gibt, als | |
ägyptische Mitbürger in Vergessenheit geraten zu sein, obwohl sie | |
schätzungsweise 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. "Manchmal habe ich | |
das Gefühl, ich lebe nicht in meinem eigenen Land", sagt Mariam. Und auch | |
Bischof Morcos hat sofort einige Beispiele parat. Etwa dass, wenn man als | |
Christ in einen Laden geht, dort über Lautsprecher der Koran gelesen wird, | |
trotz konfessionell gemischter Kundschaft. In einigen Gebäuden werde sogar | |
in den Aufzugskabinen über Lautsprecher der Koran rezitiert, zählt er | |
weiter auf. "Gibt es in diesem Gebäude keine Christen? Warum respektiert | |
man nicht das Gefühl der anderen?", fragt der Bischoff. | |
Strategisch wichtige Staatsposten sind laut einem ungeschriebenen Gesetz | |
Muslimen vorbehalten. Ein koptischer Präsident, ein Innen-, Außen- oder | |
Verteidigungsminister ist im Land am Nil, das die Verfassung als ein | |
"islamisches" ausweist, undenkbar. Wenn ein Christ mit Auszeichnung | |
graduiert und an der Uni arbeiten möchte, dann sagen sie, das sei nicht | |
möglich, weil er Michael oder Peter heißt, erläutert der Bischof. Klopfe | |
man bei der Polizeiakademie oder der Staatsanwaltschaft als Bewerber an, | |
heiße es, man nehme nur ein Prozent Kopten. "Warum entscheidet nicht | |
einfach nur die Qualifikation?", fragt er. | |
Früher war es kein großes Thema, ob jemand Muslim oder Christ ist, erzählt | |
der prominente oppositionelle koptische Intellektuelle George Ishak. | |
Angefangen habe diese Welle der Ausgrenzung von Kopten, als ägyptische | |
Arbeitsmigranten in den 80er- und 90er-Jahren in großem Stil in | |
Saudi-Arabien ihr Glück versuchten. "Von dort brachten sie die | |
islamisch-wahhabitischen rückständigen Gedanken mit, die eigentlich nichts | |
mit der toleranten ägyptischen Kultur zu tun haben", erklärt er. Der zweite | |
Faktor seien die neuen privaten, konfessionell ausgerichteten | |
Satellitenfernsehkanäle. "Sie gießen jeden Tag Öl ins Feuer", meint Ishak. | |
In den islamischen Predigerkanälen wird jeder Nichtmuslim zum Ungläubigen | |
deklariert, und die christlichen TV-Stationen mischen sich | |
unberechtigterweise in innerislamische Angelegenheiten ein", beschreibt | |
Ishak den, wie er es nennt, "Religionskrieg der Satellitenkanäle". Und | |
schließlich sei da noch das Bildungssystem, in dem täglich Christen | |
diskriminiert werde. | |
Die Regierung und die staatlichen Institutionen versuchen, das Problem mit | |
einem propagandistischen "Wir sind alle ägyptische Brüder und Schwestern, | |
und wer das Problem anspricht, der fördert die Spaltung" herunterzuspielen. | |
Und bricht der Konflikt irgendwo zu deutlich aus, wird das Ganze | |
ausschließlich als Akt des Sicherheitsapparats angesehen. | |
Blogger verhaftet | |
Es gibt eine wachsende Gruppe von Ägyptern, Christen und Muslimen, die | |
nicht mehr zusehen wollen und das Problem gesellschaftlich angehen möchten. | |
Zehn Tage nach dem letzten Anschlag machten sich Anwälte, Menschenrechtler, | |
Aktivisten und Internetblogger mit dem Zug auf den Weg von Kairo nach Naga | |
Hamadi. Christen und Muslime. "Wir wollten unser Beileid ausdrücken und uns | |
ein Bild vor Ort machen", sagt der prominente oppositionelle | |
Internetblogger Wael Abbas. Er wollte auch als Muslim ein Zeichen setzen. | |
Weit kam er allerdings nicht. "Nach der Ankunft am Bahnhof setzten wir uns | |
in ein Café. Es wurde sofort von vier Mannschaftswagen der | |
Bereitschaftspolizei umstellt", erinnert er sich. Sie wurden allesamt | |
verhaftet. Abbas verbrachte dreißig Stunden in einer verdreckten Zelle. | |
"Sie warfen uns vor, wir wollten die Leute zu einem Streit zwischen den | |
Konfessionen anstiften", lacht Abbas ein wenig verzweifelt. Er sieht immer | |
noch mitgenommen aus. "Der Staat ist bei den Streitigkeiten zwischen | |
Muslimen und Christen eindeutig Komplize", lautet sein deutlicher Vorwurf. | |
Wie sonst ließe es sich erklären, dass die Aktivisten mit vier | |
Mannschaftswagen Polizei abgeholt wurden und wie "Terroristen behandelt | |
worden sind", während am Tag des Anschlags nur ein Polizist vor der Kirche | |
postiert worden war, und das in einem Ort, dessen interkonfessionelle | |
Spannungen allen bekannt waren, fragt Abbas. | |
Auf seinen Internetblog hat er eine wacklige Handyaufnahme gesetzt, die ihm | |
zugespielt wurde. Sie zeigt die Szene wenige Minuten nach dem Anschlag vor | |
der Kirche. Verzweifelte Menschen beugen sich über die Leichen, die in | |
Blutlachen auf der Straße liegen. Der Muslim Abbas fordert, dass Medien, | |
Regierung und Zivilgesellschaft endlich handeln. "Der Staat gibt nicht | |
einmal zu, dass es ein Problem zwischen Muslimen und Christen gibt. Wie | |
kann man ein Problem angehen, dessen Existenz man noch nicht einmal | |
anerkennen will?! Der Staat will das Problem nicht lösen und lässt andere | |
es nicht lösen. Er ruiniert alles", glaubt Abbas. | |
Immerhin hat die Regierung eine offizielle Delegation mit religiösen | |
Würdenträgern nach Naga Hamadi geschickt. Es gab einen Fototermin mit dem | |
Großscheich der islamischen Al-Azhar-Universität (mit Turban), dem Bischof | |
von Naga Hamadi (in schwarzer Priestertracht) und dem Religionsminister (in | |
maßgeschneidertem Anzug) - damit, so die Vorstellung der Regierung, waren | |
die Dinge wieder zurechtgerückt. Noch einmal kurz in die Menge gewinkt, | |
dann fahren die schwarzen Limousinen wieder zurück nach Kairo. Die Christen | |
und Muslime in der ägyptischen Provinzstadt werden wieder ihrem Schicksal | |
überlassen. | |
18 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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