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# taz.de -- Pilotenstreik bei Lufthansa: Kaum Ärger am Airport
> Die Pilotenvereinigung Cockpit bestreikt den Luftverkehr der Lufthansa.
> Rund die Hälfte der Flüge fällt aus. Die Fluggäste nehmen es gelassen,
> hoffen auf eine gute Landung.
Bild: Auf dem Weg zur Kurzstrecken-Demo: Piloten der Lufthansa.
FRANKFURT/MAIN taz | Montagmorgen um sieben Uhr ist der Betrieb auf dem
Frankfurter Rhein-Main-Flughafen auf den ersten Blick auch nicht hektischer
als sonst. In der Abflughalle tummeln sich fast mehr Kameraleute und
Mikrofonträger als Passagiere. Noch sehen die Anzeigetafeln gar nicht so
leer aus wie von der Lufthansa (LH) befürchtet; von den ersten 48 Flügen
sind 23 "cancelled", annulliert, gestrichen. Das entspräche - ungefähr
jedenfalls - dem vermuteten Ausfall von knapp der Hälfte der Flieger der
Kranich-Linie.
Nur im Inland geht gar nichts mehr, nicht Hamburg, nicht Berlin, Köln oder
München. Die meisten orangeblauen Schalter in A und B, Lufthansa-Terrain im
Airport, sind fast verwaist, nicht einmal Schlängelchen bei Ticketverkauf,
Gepäckaufgabe, an den Check-in-Automaten. Optimisten stehen bei Last Minute
an. Überall sind sie zugegen, die an diesem Tag ganz besonders freundlichen
LH-Service-MitarbeiterInnen in ihren roten Westen und Jacketts, mit den
"May I help you"-Buttons am Revers. Nein, sagen dürfen sie nichts,
verweisen an die Pressestelle, aber auch das ganz und gar liebenswürdig.
Sonstige Sorgen sind: Gepäck schon aufgegeben, Flug ausgefallen - was nun?
"Gepäckrückgabe annullierter innerdeutscher Lufthansa-Flüge in
Gepäckausgabe B", weist ein Pfeil den Weg. An den Schaltern für die
Umbuchung bildet sich nach und nach ein Menschenpulk. Flightmanager May hat
eine Leuchtturmfunktion, schmal, groß und souverän schleppt er neue
Absperrpfähle, ein Sperrschild, schiebt sich durch die kleine Menge, rudert
mit den Armen und versucht, Ordnung herzustellen: "Please do me a favour!
Make one straight line, please! Bitte! Bitte, bitte, bitte!" Die Reihe
formiert sich gleichwohl eher locker.
Mittendrin agiert eine französische Großfamilie mit Opa, Oma, Tanten,
Onkeln, Kind. Sie wollen von einer Familienfeier zurück nach Marseille. Der
kleine Maurice kann gerade stehen und hat seinen Spielzeugkoffer
ausgepackt, verstreut Stofftiere und Bilderbücher. Mays Kollege J., der
nicht namentlich zitiert werden will, weil das mit der Pressestelle der LH
so abgesprochen worden sei, macht Tina Kammler aus Heilbronn nicht gerade
Mut. "Ich muss heute noch nach Atlanta kommen", sagt sie.
Sie hat ihren halben Hausstand auf dem Gepäckwagen, Riesentrolley und zwei
große Taschen. Ihr Flug ist vor einer Stunde gecancelt worden. In den USA
wartet ein Praktikumsplatz auf sie. Wenn sie da nicht pünktlich komme, sei
das zumindest "wahnsinnig ärgerlich". J. schüttelt den Kopf: "Das ist der
schlimmste Fall." Er vertröstet auf morgen und beeilt sich, zu versichern,
dass die LH selbstverständlich "Hotel und Mahlzeiten" bezahlen werde.
Da ist besser dran, wer bereits umgebucht hat. Der junge Geschäftsmann auf
dem Weg nach Bukarest hat das bereits vor drei Tagen von seiner Sekretärin
erledigen lassen. Der Streik sei "doch früh genug angekündigt" gewesen. Nun
wartet er nur noch auf seinen Kollegen, der nicht so flink war, zum
Umbuchen ansteht und hofft, auch noch bei der rumänischen Airline
unterzukommen.
Gunda K. ist eine ältere Dame, groß, schlank, ausgefallen elegant im
Trenchcoat mit Leopardenfellaufdruck und mit zur Stoppelfrisur gegelten
Haaren. Sie war bei Verwandten zu Besuch und hat New York, USA, gebucht.
Sie hat die Gelassenheit der Vielreisenden. Wichtig sei nicht, wann sie
abfliege, sondern "Hauptsache, dass ich gut lande". Außerdem: "Was kann ich
tun? Soll ich den Piloten mehr Geld geben, damit sie fliegen?" Vor ihr in
der Reihe steht ein dicker Amerikaner mit Tirolerhut auf dem Kopf. Auch er
wartet geduldig "for a better flight tomorrow".
Mittlerweile spielen sich die eigentlichen Katastrophen auf der
Anzeigetafel ab. Auch bisher sicher scheinende Flüge müssen storniert
werden. Draußen vor Tor 21 haben rund 500 Piloten der Vereinigung Cockpit
(VCP) die Regenschirme aufgespannt und sich zur Demonstration versammelt,
fast alle adrett in Uniform mit roten "Wir streiken!"-Ansteckern und
ordentlichen Schildern: "Wo Lufthansa draufsteht, muss Lufthansa drin
sein."
Sie sind höchst zufrieden. Die LH komme schon am ersten Vormittag des
Streiks in Schwierigkeiten, müsse erheblich mehr als die Hälfte der Flüge
absagen, der Notfallflugplan habe versagt, die Hotlines seien
zusammengebrochen. VCP-Sprecher Jörg Handwerg ist zufrieden. VCP habe immer
wieder Angebote gemacht, die LH aber abgelehnt und dann "nicht ehrlich" das
Gegenteil behauptet, "Vernebelungstaktik" betrieben, falsche Zahlen
genannt.
Dass Kunden zu leiden hätten, bedaure man, "aber wir haben keine andere
Chance". Dem von der LH angestrengten Versuch, den Streik vom
Arbeitsgericht verbieten zu lassen, sehe man mit Gelassenheit entgegen. Die
Einstellung ausländischer "Billigpiloten" gefährde die Flugsicherheit. VCP
werde weiterkämpfen. Auch unbefristet streiken? Das werde man sehen, die
Bringschuld liege bei der LH. Die Piloten brechen zum Protestmarsch auf,
ungefähr 200 Meter weit um die Ecke zum Büro ihres Arbeitgebers, absolute
Kurzstrecke.
Eine Stunde später in der Abflughalle B: Klein Maurice und sein Spielzeug
sind expandiert, er verarbeitet von der LH in Pappkartons bereitgestellte
Schokoriegel, Cracker und Limo pastös, die französische Großfamilie wartet
immer noch, Grandmère erzählt es allen, egal, ob sie Französisch können
oder nicht. Es sei ein "Skandal, dass hier Flüge ,in alle Welt' gehen, bloß
nicht nach ,France' ". Die Idee, am Bahnhof in einen Zug nach Paris oder
Basel zu steigen, weist sie weit von sich.
Tina Kammler ist vorgerückt und am Umbuchungsschalter angelangt.
Schlimmster Fall? Sie zeigt, wie es einer deutschen Studentin gelingt,
einen Praktikumsplatz in Atlanta zu ergattern. Ständiger Blickkontakt,
lächeln und Ruhe bewahren. Der LH-Angestellte am Terminal widmet ihr viel
Zeit, lässt sich von ihr Daten auf ihrem Flugticketausdruck erklären,
telefoniert um Rat, wenn die EDV hakt. Und schon ist sie raus, mit neuem
Ticket und Wegbeschreibung, "rechtsrum, und immer den Schaltern folgen" zum
Abflug mit American Airlines nach Atlanta über den Umweg Chicago.
Auch Gunda K. hat für denselben Tag umbuchen können, über Houston heim nach
Orlando, sie wird nur eine Stunde verspätet ankommen. Sie vertreibt sich
die Wartezeit an einem der Flughafen-Internet-Anschlüsse. Die Maschine
frisst 16 Euro und weigert sich dann, eine Verbindung mit der Familie in
den USA herzustellen. Gunda K. tröstet sich mit der Beobachtung einiger
futtersuchender Mäuschen unter der Treppe : "Die haben wir in Orlando
auch!"
Am Mittag meldet Flughafenbetreiber Fraport, die Auswirkungen des Streiks
hätten "bisher auf ein Mindestmaß" begrenzt werden können. Man rechne pro
Streiktag mit bis zu 1,5 Millionen Euro Kosten. LH befürchtet für sich
einen Schaden von 100 Millionen Euro. Das, so VCP-Sprecher Handwerg, habe
"allein die Unternehmensleitung zu verantworten". Der Ansturm, den sich die
Deutsche Bahn AG erhoffte, ist bisher ausgeblieben. Die Züge, so Auskunft
und Augenschein, seien auch nicht voller als sonst.
23 Feb 2010
## AUTOREN
Heide Platen
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