# taz.de -- Rücktritt von EKD-Vorsitzender: Das Prinzip Käßmann | |
> Die EKD-Vorsitzende Käßmann steht für ihre Trunkenheitsfahrt ein und | |
> tritt zurück. Sie besitze nicht mehr die nötige moralische Autorität für | |
> ihr Amt, begründet sie den Schritt. | |
Bild: Kurze Erklärung: Margot Käßmann. | |
Schade. Schade. Schade. Was hat sie alles gemeistert, diese Frau aus | |
kleinen nordhessischen Verhältnissen. Letztlich ließ sie sich von nichts | |
und niemandem davon abhalten, ihren Weg weiterzugehen. Bis ganz nach oben | |
an die Spitze der evangelischen Kirche. Ganze 121 Tage war sie die Chefin | |
der EKD. Jetzt ist sie an ihrer eigenen Verfehlung gescheitert. Margot | |
Käßmann hat die Konsequenzen daraus gezogen, dass sie in der Nacht auf | |
Samstag mit 1,54 Promille im Blut durch die hannoversche Innenstadt | |
gefahren ist. Und erwischt wurde. Die 51-Jährige hat ihr Amt niedergelegt. | |
Weil sie, wie sie bei ihrem Rücktritt sagte, nun nicht mehr die Autorität | |
und Freiheit besitzt, die ethischen und politischen Herausforderungen zu | |
benennen, wie sie es bisher tun konnte. Nach diesem Samstagabend seien | |
Sätze wie "Nichts ist gut in Afghanistan" nicht mehr möglich. | |
Reagiert sie damit richtig? Falsch? Angemessen? | |
Zweifelsohne war sie eine starke Persönlichkeit. Doch woher kam die Kraft, | |
die sie all die Jahre trug? Und warum reicht sie jetzt nicht mehr aus, um | |
auch diese Krise zu meistern? | |
Wo Margot Käßmann war, war Rampenlicht. Die Kirchen waren voll. An ganz | |
normalen Sonntagen. Und natürlich erst recht bei ganz besonderen Anlässen. | |
Wie dem Trauergottesdienst für den Nationaltorhüter Robert Enke. Da war die | |
Hannoveraner Marktkirche so voll, dass eilig herbeigerufene Kamerateams den | |
Gottesdienst auf den Vorplatz übertrugen, dorthin, wo hunderte Väter mit | |
ihren Jungs standen und weinten und Trost suchten bei der Bischöfin, einer | |
Frau, der die Menschen glaubten, was sie sagte. | |
Weil sie ja selber auch Fehler gemacht hatte in ihrem Leben. Und dazu auch | |
stand. Obwohl Käßmanns Alltag, ihr Leben schon lange nicht mehr normal war, | |
behielt sie die Bodenhaftung. Der Grundstein dafür ist sicher in ihrem | |
Elternhaus gelegt worden. Der Vater, ein Kfz-Mechaniker, starb früh. Die | |
Mutter war Krankenschwester und "eine ganz normal gläubige Frau", wie | |
Käßmann sagt. Sich selbst bezeichnet sie gerne als fromm. Als eine, die | |
weiß, dass niemand tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Diesen Satz hat | |
sie oft zitiert in den vergangenen Jahren, zuletzt jetzt bei ihrem | |
Rücktritt. | |
In ihrer Kirche hat sie früh gelernt, sich durchzusetzen. 1992 wurde sie | |
Studienleiterin der Evangelischen Akademie in Hofgeismar, obwohl die | |
Kirchenväter der Meinung waren, eine stillende Frau sei dazu nicht in der | |
Lage. Sie hat diese Bedenken einfach weggelächelt. Und mit unendlicher | |
Disziplin gezeigt, dass sie mindestens genauso erfolgreich sein kann wie | |
ihre männlichen Mitstreiter. | |
Margot Käßmann war die jüngste Bischöfin, die es in der evangelischen | |
Kirche jemals gab, und zwar der größten Landeskirche in Deutschland. Von | |
Anfang an war sie eine Frau, die Grenzen überschritt und dabei lernen | |
musste, Häme zu überstehen. Schon lange vor ihrer Neujahrspredigt in diesem | |
Jahr zu Afghanistan legte sie sich an mit den Mächtigen, wenn es um | |
Gleichberechtigung ging, um den Kampf gegen Gewalt und Armut. Oft saßen | |
Schwule und Lesben in ihrer Kanzlei, die entweder schon im Pfarramt waren | |
oder gerne Seelsorger werden wollten. Dabei musste Käßmann lernen, dass | |
auch sie nicht mit unbeschränkter Macht ausgestattet war. Viele, die sie | |
bei ihrer Wahl zur Landesbischöfin unterstützt hatten, waren später | |
enttäuscht, wie klein die Schritte doch waren, mit denen sie die Kirche in | |
Bewegung setzte. | |
Auch in der evangelischen Kirche gibt es viele, die ein Problem damit | |
haben, wenn sich der Bauch einer Schwangeren allzu deutlich unter dem Talar | |
wölbt. Aber wenn dann eine amtierende Bischöfin in aller Öffentlichkeit | |
über ihren Brustkrebs spricht, von Angst und Körperlichkeit redet, schreibt | |
und predigt: überschreitet das nicht die Grenzen dessen, was sein darf? | |
Oder ist es nicht vielmehr eine Masche der Selbstvermarktung ohne Grenzen? | |
Doch damit nicht genug. Kaum waren die Schlagzeilen über ihre | |
Krebserkrankung aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden, kam das | |
Nächste, worüber sie fast gestolpert wäre: Die Mutter von vier Töchtern | |
ließ sich scheiden. Über die wahren Gründe schwieg sie, um ihrer Familie | |
nicht zu schaden. Die gehässigen Kommentare, dass neben einer Frau, die so | |
karrieregeil ist, doch kein Mann bestehen könne, trafen sie tief. Aber auch | |
hier behielt sie ihre Strategie bei: sich in Arbeit zu stürzen und aus der | |
öffentlichen Zuwendung und Wertschöpfung so viel Kraft zu ziehen, dass der | |
private Kummer auszuhalten war. Und diese Zuwendung wuchs mit ihrer | |
Verwundbarkeit. | |
Das war das Prinzip Käßmann. Tabus brechen. Nicht ein bisschen, sondern | |
volles Risiko. Und die tiefe Überzeugung, dass sie darauf bauen kann, dass | |
die Menschen ihr ihre Geradlinigkeit abnehmen. Und sie deswegen die Dinge | |
angehen konnte, die ihr wichtig waren. Dieses Vertrauen hat sie nach | |
eigenem Ermessen am Samstag verspielt. Damit ist die Basis ihres | |
Selbstverständnisses weggebrochen. Und es erscheint konsequent, dass sie | |
jetzt zurückgetreten ist. Ob das angemessen ist, konnte Margot Käßmann nur | |
selbst beantworten. Das hat sie getan. | |
25 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
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Alkohol | |
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