# taz.de -- Kommentar Käßmann: Protestantische Selbstbestrafung | |
> Katholiken können für ihre Fehltritte büßen, Protestanten hingegen | |
> übernehmen lebenslänglich die Verantwortung für ihre Aussetzer – so auch | |
> Käßmann. | |
Oh je, diese Protestanten! Margot Käßmann war beliebt und respektiert, ihre | |
Stimme wurde gehört. Doch jetzt hat sie sich zur nächtlichen Stunde | |
verantwortungslos verhalten, betrunken fuhr sie Auto. Unbarmherzig gegen | |
sich selbst reagiert sie auf ihren Fehltritt und tritt zurück. | |
Aus protestantischer Sicht liegt der Schritt nahe: Katholiken machen | |
Fehler, Protestanten haben sie. Erstere können für ihre Fehltritte büßen - | |
das heißt auch, sie können mit ihnen leben und sie auch mal vergessen, | |
selbst wenn es sich um so gravierende Vergehen wie Mißbrauch handelt. | |
Protestanten hingegen übernehmen lebenslänglich die Verantwortung für ihre | |
Aussetzer - zumal, wenn sie Vorzeigeprotestanten sein wollen. Und das | |
wollte Käßmann natürlich. Und dann ist sie auch noch eine Frau. Die | |
zerknirschen sich gerne mal, wenn sie hinter Erwartungen zurückbleiben. | |
Aber welche Rolle spielt das Geschlecht hier überhaupt? Klar, einerseits | |
gab es bei vielen Freunden der Emanzipation die heimliche Freude: Unter uns | |
gesagt, ist doch super! Endlich auch mal eine Würdenträgerin, die sich | |
daneben benimmt. Andererseits, und diese Lebensweisheit wiegt schwerer: Wer | |
trinkt und Geld hat, nimmt sich ein Taxi. Alle anderen laufen zurück oder | |
übernachten eben außer Haus. Käßmann ist alt genug, das zu wissen. Wie also | |
hätte sie demnächst das Fehlverhalten der ihr Anvertrauten und aller | |
anderen Deutschen kritisieren, wie sie zur Ordnung und zur Vernunft rufen | |
können? | |
Diese Gratwanderung wäre ein Experiment wert gewesen. Denn Käßmann wurde | |
ernstgenommen - nicht zuletzt, weil sie im Leben zu stehen schien, sich | |
fehlbar zeigte und Mut bewies. Sofort nach ihrer Amtsübernahme kratzte die | |
geschiedene Frau an Tabus. Ihre moralische Kritik am deutschen | |
Afghanistan-Einsatz appellierte erfolgreich an das längst vergessene | |
schlechte Gewissen der Deutschen. Käßmann positionierte die evangelische | |
Kirche in der Öffentlichkeit innerhalb ihrer ersten acht Wochen deutlicher | |
als Wolfgang Huber in seinen sechs Amtsjahren. | |
Entsprechend forderten auch nur die konservativen Medien wie Die Welt | |
gleich nach Bekanntwerden des Vorfalls ihren Rücktritt. Ihnen war die | |
Kämpferin schon lange lästig. Doch offenkundig überwog bei Käßmann der | |
Drang zur Selbstbestrafung die Frage, ob der Druck von außen auszuhalten | |
gewesen wäre. Schade. | |
25 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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