# taz.de -- Schwulenfeindlicher Reggae: Anschreien statt mitsingen | |
> In der Berliner Kulturbrauerei diskutierten Schwule und Reggae-Fans über | |
> die Zulässigkeit homophober Reggae-Lyrics. Beispiel gefällig? "Ich bin | |
> heterosexuell, und das ist auch gut so." | |
Bild: Schwulenfeindlichkeit ist die dämliche Kehrseite der Reggae-Kultur – w… | |
BERLIN taz | Heute keine Reggae-Musik im Kesselhaus der Berliner | |
Kulturbrauerei, keine Party, kein Tanzen. Brennende Joints ja sowieso nicht | |
wegen des Rauchverbots. Stattdessen sitzt Volker Beck von den Grünen auf | |
dem Podium, neben ihm sein Sidekick Klaus Jetz vom Lesben- und | |
Schwulenverband (LSVD). Beck sitzt hier als Spielverderber vom Dienst. Er | |
sagt nämlich, dass er es auch in Zukunft nicht dulden wird, dass | |
Dancehall-Künstler aus Jamaika wie Sizzla ("Erschießt Perverse, meine große | |
Pistole macht Bumm Bumm Bumm") an diesem Ort auftreten dürfen, wenn sie | |
nicht darauf verzichten, mit ihren Songs zum Mord an Schwulen aufzurufen. | |
Die Hütte ist trotzdem voll. Gekommen sind in der Mehrzahl Reggae-Fans, die | |
nicht noch einmal erleben wollen, dass sie draußen im Regen stehen, weil | |
das Konzert von schwullesbischen Aktivisten verhindert wurde - so zuletzt | |
geschehen im November letzten Jahres nach massiven Protesten gegen den | |
Auftritt des Dancehall-Sänger Sizza im Berliner "Huxleys". Schuld daran: | |
Volker Beck, der LSVD, die Linkspartei und die Demonstranten von "Smash | |
Homophobia". Die Reggae-Fans füllten die Mitte des Raums, also den Platz, | |
den Reggae und Dancehall in der bundesrepublikanischen Gesellschaft längst | |
eingenommen haben. Die easy Konsensmusik für einen gelungenen Sommerabend. | |
An den Rändern, wie immer, hatten sich die Schwulen platziert. Am Rand hat | |
man den Pulk besser im Blick und kann abhauen, wenn es brenzlig wird. Und | |
es gab an diesem Abend durchaus Momente, in denen die Sicherheitskontrollen | |
am Eingang plötzlich sinnvoll erschienen - und man sich bang die Frage | |
stellte, ob Volker Beck als MdB eigentlich Bodyguards zur Verfügung stehen. | |
Und das inmitten von Leuten, die einem als Homo sicher wacker zur Seite | |
stünden, wenn man von Nazis angegriffen würde und die Täter-Opfer-Anordnung | |
überschaubar und weltbildkompatibel ist. | |
Aber hier, an diesem Abend, hörten Freundschaft und Solidarität dann auf. | |
Es wurde viel gebrüllt auf dem Podium. Es gab zustimmendes Raunen für den | |
Satz "Ich bin heterosexuell, und das ist auch gut so" des | |
Diskussionsteilnehmers Klaus Maack von der Berliner Konzertagentur Contour. | |
Und das mit der Täter-Opfer-Anordnung wurde ein Durcheinander: So führte | |
Klaus Maack an, dass die Dancehall-Künstler aus Jamaika keine Anwälte und | |
Plattenverträge hätten, völlig hilflos seien gegen die "Medienkampagne", | |
mit der sie überzogen würden. "Sie sind Opfer!", betonte er. Von den | |
mächtigen Schwulen und ihren Verbänden zum Opfer gemacht. | |
Uli Güldner, Musikjournalist und brüllender Reggae-Papst, legte nach: "Es | |
handelt sich bei den Liedtexten um eine drastische Verurteilung von | |
Homosexualität und nicht um Aufrufe zum Mord." Krieg oder doch eher | |
kriegsähnliche Handlungen? Schon war man mitten drin in der Textexegese. | |
Und vor allem den Untiefen einer zutiefst komplexen Diskussion: Gelten die | |
Menschenrechte eigentlich universell? Kennt die Kunstfreiheit Grenzen? Muss | |
man Sängern aus postkolonialen Ländern nachsehen, dass sie die | |
Menschenrechte nicht achten, "weil sie noch nicht so weit sind". Sie erst | |
noch "erzogen" (Maack) werden müssen? | |
Es war eine Diskussion auf einer Insel, dem bürgerlich-liberalen Prenzlauer | |
Berg, über eine Insel, Jamaika - deshalb war es gut, dass auch Joy Wheeler | |
zu Wort kam, die jamaikanische Botschafterin. Auch wenn sie nur | |
Botschafter-Sätze wie "Rome was not built in a day" sagte und die Frage, | |
warum die jamaikanische Gay-Rights-Organisation J-Flag sich nicht traut, | |
ihre Adresse öffentlich zu machen, auch nicht beantworten konnte. | |
Als sich die beeindruckend aggressive Diskussion dem Ende zuneigte, einigte | |
man sich darauf, "that we need a new Unterlassungserklärung" von den | |
Dancehall-Künstlern. Aber womöglich nur auf Deutschland begrenzt, weil man | |
es ihnen nicht zumuten könne, in ihrem Heimatland damit konfrontiert zu | |
werden, dass sie NICHT gegen Homosexuelle sind. | |
Draußen, vor der Tür des Kesselhauses, wurden dann noch ein bis zwei | |
Zigaretten geraucht. Eine riesige Transe, die auch im Publikum war, | |
stöckelte davon und erntete ein abfälliges Grinsen. Da war plötzlich ein | |
Graben zwischen "den Schwulen" und "den Reggae-Fans". Beim Recht auf gute | |
Laune ist dann wohl Schluss mit lustig. Man will ja auch nicht wissen, | |
welches Blut an den Drogen klebt, die man so nimmt, um gut drauf zu sein. | |
Aber würden diese netten Studenten und freundlichen Abhänger eigentlich | |
auch Musik von jemandem hören, der singt: "Murks den Mongo ab"? | |
25 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schwulenfeindlicher Reggae-Sänger: Sizzla blieb draußen | |
Nach massiven Protesten wurde der Auftritt des jamaikanischen | |
Reggae-Sängers Sizzla im Kesselhaus abgesagt. Auch das Huxleys wollte ihn | |
nicht auftreten lassen. | |
Protest gegen Reggae-Konzert: Homophobie aus Jamaika | |
Der schwulenfeindliche Reggae-Sänger Sizzla aus Jamaika singt am Donnerstag | |
in Berlin. Politiker und Schwulenverbände sind empört und rufen zur Demo | |
auf. | |
Kommentar Homophobie: Der schwule Reggae | |
Schwulenfeindliche Musiker sollten öfter nach ihrer Landung im | |
Schengen-Raum mit einem Rückflugticket begrüßt werden: Und tschüss. | |
No-go-Area für Schwule und Lesben: Homophobie gilt als ansteckend | |
In Jamaica und anderen Teilen der englischsprachigen Karibik ist | |
Schwulenhass sehr verbreitet. Das hat komplexe Ursachen. |