# taz.de -- Dokumentation von Yiwus Brief an Merkel: "Sie hoffen, dass ich vers… | |
> Liao Yiwu schrieb der deutschen Kanzlerin einen offenen Brief. | |
> Vergeblich! Der Schriftsteller muss in China bleiben. Die taz | |
> veröffentlicht hier den Brief an Angela Merkel. | |
Bild: "Ich habe sehr viele Raubkopien vom Film "Das Leben der Anderen" gekauft … | |
Liebe Frau Merkel, | |
ich grüße Sie aus der Ferne. | |
Mein Name ist Liao Yiwu, ich bin chinesischer Schriftsteller, ich schreibe | |
über die Benachteiligten in unserer Gesellschaft. Sie sind deutsche | |
Kanzlerin und wissen aus eigener Erfahrung, was Diktatur bedeutet. Da ich | |
an meiner Unabhängigkeit und meinem Schreiben, das sich als Zeugnis | |
versteht, festgehalten habe, durfte über viele Jahre hinweg in meinem | |
eigenen Land kein einziges Zeichen von mir erscheinen, mehr noch, mir war | |
es für viele Jahre verboten, das Land zu verlassen. | |
Ich habe jetzt wieder eine offizielle Einladung erhalten, vom Kölner | |
Literaturfestival lit.Cologne. Ich soll auf dieser Veranstaltung aus meinen | |
Werken lesen, als Musiker auftreten und mit vielen wichtigen westlichen | |
Autoren zusammenkommen. Vor allem mit Herta Müller, die 2009 den Nobelpreis | |
für Literatur bekam, die selbst das demütigende Leben unter einem | |
autokratischen System kennt und deren Werke sich lesen wie eine moderne | |
Geistesgeschichte Chinas. Ich muss sie nach ihrer "Erzähltechnik" fragen, | |
nach ihren Empfindungen, als sie "zum ersten Mal die Grenze passierte und | |
entkam", ob es unmöglich war, zu schreiben, wenn sie abgehört oder heimlich | |
überwacht wurde. | |
Ich werde auch auf den deutschen Film "Das Leben der Anderen" zu sprechen | |
kommen und auf die bedrückende "Sonate vom guten Menschen" darin und | |
fragen, ob sie wirklich einen alten Geheimdienstler bewegen konnte. So wie | |
vor über zehn Jahren dieser verlorene Polizeioffizier namens Cao Jian, der | |
mitten in der Nacht heimlich in meine Zelle kam und meinem Flötenspiel | |
lauschte. | |
Ich weiß, dass mein Vaterland hofft, dass ich für immer verstumme, so wie | |
die Menschen vom Bodensatz der Gesellschaft, die ich in meinem Buch | |
"Fräulein Hallo und der Bauernkaiser" beschreibe, beraubt, verachtet und | |
misshandelt, wie sie sind, sich nicht artikulieren können - oder wenn sie | |
es tun, ihnen niemand zuhört; und hört man ihnen zu, werden sie ermahnt, | |
sich in ihr Schicksal zu schicken. | |
Um mir bei der Gewalt, unter der ich lebe, einen Rest von Würde und Traum | |
zu bewahren, schreibe ich an Sie, Frau Merkel. Ich bitte Sie inständig, | |
machen Sie den außenpolitischen Einfluss der von Ihnen geführten Regierung | |
geltend, dass ich bei der lit.Cologne nicht noch einmal fehle wie bei der | |
Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr! Lassen Sie es nicht zu, dass die | |
Literatur erneut von der Macht gedemütigt wird! | |
Ich werde ungeachtet des polizeilichen Verbots zur deutschen Botschaft | |
gehen und ein Visum beantragen, ein Flugticket kaufen und nichts unversucht | |
zu lassen, nach Köln zu kommen. Und wenn man mich am Zoll abfängt, wie mich | |
diese Leute warnen, werde ich meinen deutschen Lesern und den deutschen | |
Medien, die mich nach wie vor unterstützen, zumindest in die Augen schauen | |
können. | |
Wenn mein Wunsch in Erfüllung geht, werde ich China keinen weiteren Schaden | |
zufügen können und wollen, als die Wahrheit zu sagen. Ich werde auch nicht | |
meine Stellung als "verbotener Literat" ausnutzen und um politisches Asyl | |
nachsuchen. Ich werde auf jeden Fall nach China zurückkehren. | |
In der Hoffnung auf Ihre Hilfe | |
Liao Yiwu, Autor, Dichter und Künstler | |
Gekürzte Fassung. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann | |
1 Mar 2010 | |
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