# taz.de -- Das Rollenvorbild: Der coole Schwule | |
> Der postmoderne Mann hat sich sein Selbstverständnis von den Schwulen | |
> abgeschaut. Die Last der Männlichkeit aber trägt er immer noch. Sein | |
> Nachteil: Er hatte kein Coming Out. | |
Bild: Der beste schwule Freund kann ihm dabei nur ein Ratgeber sein. | |
Es dauert eine Weile. Aber dann fragen die postmodernen, heterosexuellen | |
Männerfreunde: "Und wie ist es so im Darkroom?" Was sie neugierig macht, | |
ist die Verheißung einer befreiten, ungebrochenen, männlichen Sexualität - | |
auch wenn die Wirklichkeit schwulen Lebens vielfältiger und gerade in | |
dieser Beziehung oft dröger ist, als mancher denkt. | |
Doch die Sexinfrastruktur der Schwulen lässt sich nur schwer auf die | |
heterosexuelle Welt übertragen. Und damit allein wäre die Emanzipation des | |
heterosexuellen Mannes auch noch nicht geglückt. Denn im Vergleich zum | |
schwulen Mann hat er vor allem ein Defizit: Er hatte kein Coming-out. Es | |
ist ein Prozess, bei dem es um existenzielle Fragen geht: Wer bin ich, was | |
brauche ich, wie will ich leben? Was sind meine Schwächen und finde ich den | |
Mut, diese auch zu zeigen? | |
Es sind dies Fragen, die sich jedem Menschen stellen. Aber der postmoderne | |
Mann ist nicht dazu gezwungen, diese Auseinandersetzung zu führen, denn ein | |
Coming-out ist im heterosexuellen Kontext nicht nötig. Sein | |
Selbstverständnis ist eher abhängig von der Erwartung seines weiblichen | |
Gegenübers, von den Anforderungen der Vaterschaft. Mann und Frau zusammen | |
bilden jenes Geflecht, das sich so schön "heterosexuelle Zwangsmatrix" | |
nennt. | |
Trotzdem hat seit den Neunzigerjahren der Austausch zwischen Schwulen und | |
den postmodernen, meist um das Jahr 1970 herum geborenen Männer deutlich | |
zugenommen. Die Ängste zwischen schwulen und heterosexuellen Männern wurden | |
weniger. Im "Anything Goes" der Neunzigerjahre wurde schwul auf einmal | |
cool, denn die Szene-Schwulen hatten längst das Rüstzeug für den | |
experimentierfreudigen Geist der Zeit: Sie spielten mit Geschlechterrollen, | |
gestalteten und stählten ihre Körper, hatten den unbedingten Willen zum | |
Hedonismus und eine Partyinfrastruktur. Es entstanden kleine Schnittstellen | |
im Nachtleben: Die Schwulen lebten nicht mehr isoliert im Bunker - | |
stattdessen traf man sich dort, um gemeinsam zu feiern. Auch in der | |
schönen, neuen Kreativberufswelt fand man zueinander. | |
Deutlich wurde diese neue Nähe vor allem an der Oberfläche. Die Heteros | |
lernten, selbst Sexualobjekt zu sein, und im Umland großer Städte oder in | |
der Provinz sehen die jungen heterosexuellen Männer heute oft so aus wie | |
die Schwulen in den Neunzigern: ganzkörperrasiert, gezupfte Augenbrauen, | |
solariumgebräunt. Auch in dieser Hinsicht kam der postmoderne Mann seinem | |
Gegenüber, der postmodernen Frau, entgegen. Denn ihr und ihren | |
modifizierten, offensiver vorgetragenen Erwartungen muss er ja entsprechen, | |
wenn er Erfolg bei ihnen haben will. Er muss Emotionalität zulassen und | |
Bereitschaft zu einer hingebungsvollen und verantwortungsbewussten | |
Vaterschaft zeigen. | |
Der beste schwule Freund kann ihm dabei nur ein Ratgeber sein - meist sogar | |
nur ein gut zuhörender Ratgeber. Denn der schwule Mann sieht sich weniger | |
stark mit klassisch männlichen Rollenanforderungen konfrontiert: Der Status | |
einer "richtigen Männlichkeit" wurde ihm schließlich aberkannt. | |
Ein Verlust, den viele Schwule jedoch als Chance zu nutzen verstehen. Es | |
ist auch die Befreiung von einer Last, denn Männlichkeit muss jeden Tag | |
aufs Neue bewiesen werden, man kann sie verlieren. Und der Druck hat im | |
Gegensatz zu den Neunzigern zugenommen. Im letzten Jahrzehnt betraten der | |
Cowboy und der Krieger erneut die Weltbühne. Und die Supermutter. Rigide | |
Rollenbilder mit leichten Retuschen. | |
Der postmoderne Mann trägt also weiter an der Last der Männlichkeit. Und | |
klar, Schwule waren immer Avantgarde. Denn der Schwule war von Anfang an, | |
also seit der Geburt seiner sichtbaren Identität im 20. Jahrhundert, der | |
moderne Mensch: auf extreme Art herausgelöst aus traditionellen Bindungen | |
wie Familie und Nation. Ob er auch ein Vorbild sein kann? Zumindest vermag | |
er als Teil einer Minderheit noch immer schneller als andere, | |
Anpassungsleistungen an eine sich verändernde Umwelt zu leisten. | |
Daher sieht der schwule Mann längst wieder männlicher aus als der | |
postmoderne. Er trägt zum Beispiel Bart, Achsel- und Brusthaar. Mit dieser | |
eher rigide männlichen Performance ist er gut aufgestellt für diese rauen | |
Zeiten, in denen es für Minderheiten nicht viel zu lachen gibt und die von | |
Krise, Krieg und Konkurrenz bestimmt sind. | |
8 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Südafrikas Männer: Alle sechs Stunden ein Frauenmord | |
Das WM-Land ist Weltspitze bei den Vergewaltigungs- und Mordraten. Und ihr | |
Präsident Zuma ein ziemlich schlechtes Beispiel. Aber Südafrikas Männer | |
beginnen umzudenken. | |
Der neue Mann: Das scheue Reh | |
Kaum ein Mann möchte sich "Feminist" nennen. Das klingt einfach | |
männerfeindlich. Doch die meisten Männer wollen gleichberechtigt mit Frauen | |
leben. Warum sagen sie das nicht laut? | |
Migrantinnen über deutsche Männer: "Schüchtern und asexuell" | |
Wie empfinden Frauen, die aus dem Ausland stammen, deutsche Männer? Sie | |
sind schon okay, entsprechen aber ganz dem Klischee – finden jedenfalls die | |
zwei Frauen, die Simone Schmollack gefragt hat. | |
Sondertaz zum Frauentag: Özdemir ist "Feminist" | |
... und der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter hat "Pos gepudert und | |
Windeln gewechselt." In der taz zum Frauentag am Montag offenbaren | |
prominente Männer ihr Verhältnis zur Gleichberechtigung. | |
Taz-Sonderseiten zum Frauentag: Die Männer-Rechte | |
Männer machen Front gegen den Feminismus. Jetzt müsse Schluss sein mit der | |
"Besserstellung der Frau". Selbst vor Kooperationen mit Rechtsradikalen | |
schrecken einige nicht zurück. |