# taz.de -- Der neue Mann: Das scheue Reh | |
> Kaum ein Mann möchte sich "Feminist" nennen. Das klingt einfach | |
> männerfeindlich. Doch die meisten Männer wollen gleichberechtigt mit | |
> Frauen leben. Warum sagen sie das nicht laut? | |
Bild: Feminismus als Antwort auf (viele) Fragen. | |
Nur Harald Schmidt hat es gewagt. "Ich bin Feminist", verkündete er | |
kürzlich, es galt eine Laudatio auf Alice Schwarzer zu halten. "… oder wie | |
heißt das, wenn man im falschen Körper steckt?" Außer ihm finden sich auf | |
der sehr kurzen Liste geouteter bundesdeutscher Feministen nur noch ein | |
weiterer Comedien namens "Der Feminist" und der Fotograf Helmut Newton, | |
bekannt für seine Fotos sehr großer und sehr nackter Frauen. Also, | |
öffentlich Feminist sein kann ein Mann hierzulande offenkundig nur, um | |
einen Witz zu machen. | |
Aber was ist mit diesen gutaussehenden Caromilchkaffee-Typen, die | |
Vätermonate nehmen und wissen, wie man Wäsche sortieren muss und dass | |
Kinder auch hinter den Ohren Dreck haben? Die keineswegs das traditionelle | |
Familienmodell wollen? Sind das nicht die Männer, die die Feministinnen | |
immer haben wollten? Und dann die jungen Typen, die unsichere Projektejobs | |
mit Prekäreinkommen haben, während ihre Partnerin Beamtin mit gutem Gehalt | |
ist? "Feminismus" ist offenbar nicht genau die Antwort auf deren Fragen. | |
Aber sie wollen selbstverständlich gleichberechtigt leben. | |
Und tatsächlich sind die "Traditionalisten" schon längst in der Minderheit. | |
Als das Heidelberger Sinus-Institut untersuchte, wie Männer der | |
Gleichstellung von Frauen gegenüberstehen, fanden die ForscherInnen nur | |
noch ein gutes Drittel Männer, die gern eine traditionelle Rollenverteilung | |
leben wollen. Sie finden tatsächlich, wir hätten tendenziell zu viel | |
Gleichberechtigung und Feminismus im Land. | |
Kritik an der "Femokratie" | |
Diese Leute finden sich nicht nur im traditionellen Milieu, sondern auch in | |
der "modernisierten" Oberschicht. Also befeuern uns leitende Redakteure mit | |
Kritik an der "Femokratie" der Gleichstellungspolitik und Politiker lästern | |
über "Wickelvolontariate". In der Oberschicht findet sich zudem noch eine | |
Häufung des sogenannten "Lifestyle-Machos": Der würde sich nie als | |
"traditionell" bezeichnen, er fühlt sich vielmehr in Hoch- oder Popkultur | |
zu Hause. Aber er möchte sich nicht mit einer anstrengenden Frau belasten: | |
Sie soll gut aussehen, den Haushalt versorgen und keinen Ärger machen. | |
Einen Widerhall findet der Lifestyle-Macho im Fernsehen, wenn Spaßmacher | |
von Stefan Raab bis Mario Barth ihr Frauenbild genau auf diese Rolle | |
reduzieren. Dabei sind sie gar nicht so viele: 23 Prozent überzeugte | |
"Haupternährer" und 14 Prozent "Lifestyle-Machos" zählten die | |
ForscherInnen. | |
Fast zwei Drittel aller Männer dagegen wollen wirklich Gleichberechtigung | |
mit ihrer Partnerin leben. Über die Hälfte der Befragten äußerten ihr | |
Interesse an Gleichstellungsfragen. Nur ist dieses Interesse offenkundig | |
äußerst diskret: Es findet in der Öffentlichkeit nicht statt. | |
Sicher, die Bezeichnung "Feminist" für einen Mann klingt geradezu nach | |
Geschlechtsverleugnung, mindestens schleppt der Begriff unleugbar ein | |
männerfeindliches Erbe mit sich herum. Aber das ist nicht das Thema: Es | |
tritt ja auch kaum ein Mann an die Öffentlichkeit, um unter Vermeidung des | |
F-Wortes für Chancengleichheit einzutreten, mehr Vätermonate, Chefposten in | |
Teilzeit oder eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung zu fordern. Oder eine | |
bessere Bezahlung von typischen Frauenjobs, damit diese für beide | |
Geschlechter attraktiver werden. Es gibt auch kaum Männer, die | |
skandalisieren, dass Eltern, die es gewagt haben, länger als zwei mickrige | |
Monate Elternzeit zu nehmen, im Job kaum noch Chancen haben. Wie kommt das? | |
Mit der Sinus-Studie kann man die zwei Drittel fortschrittlicheren Männer | |
genauer unter die Lupe nehmen. Die größte Gruppe überhaupt, 32 Prozent, | |
sieht sich als "moderner neuer Mann", gefolgt von 31 Prozent | |
"Postmodernen". Beide grenzen sich vom traditionellen Männlichkeitsbild ab. | |
Aber beide tun das so, dass sich politisch kaum Kapital daraus schlagen | |
lässt. | |
Der "moderne neue Mann" ist in der Mitte der Gesellschaft zu finden, vom | |
Grünen-Milieu der "Postmaterialisten" über die gesamte bürgerliche Mitte | |
bis hinein in die modernere CDU-Klientel. Er ist quasi die Antwort dieser | |
Mitte auf die Frauenbewegung: Männer, denen die feministische Kritik an der | |
emotionalen Verarmung des herrschenden Modells von Männlichkeit durchaus | |
etwas sagt. Die sich vom "Macho" distanzieren und ihre "weibliche Seite" | |
integrieren wollen, denen Väterlichkeit wichtig ist. | |
Auf dem "mommy track" | |
Allerdings treffen sie auf eine Realität, die auf das alte Ernährermodell | |
zugeschnitten ist: vom Ehegattensplitting bis zu fehlenden Kitas. Wenn ihre | |
Frauen nach der Kinderpause von den Firmen auf dem "mommy track" geschoben | |
werden, dann finden sie sich wohl oder übel als Hauptverdiener wieder. Und | |
schließlich treffen sie auf Chefs, die den Wunsch nach Teilzeit für einen | |
schlechten Witz halten. Und schon sieht der "neue Mann" ziemlich alt aus: | |
Die meisten dieser Männer können sich eine Teilzeitstelle nicht im | |
Entferntesten vorstellen, fanden die ForscherInnen heraus. | |
Und so ist auch die Verteilung der Hausarbeit, die die Sinus-Crew quasi als | |
Realitätscheck abgefragt hat, bei den "neuen Männern" ernüchternd: Nur acht | |
Prozent von ihnen teilen die Hausarbeit egalitär mit der Partnerin, die | |
große Masse pflegt die "selektive Entlastung": Wocheneinkauf, Wasserkisten, | |
Wagen waschen sind ihre Sache. Den Alltag halten dagegen die Frauen am | |
Laufen. Diese Gruppe hat sich in der breiten Kluft zwischen Sein und Sollen | |
ganz kommod eingerichtet: Sie würden ja gern anders. Aber die Strukturen | |
gratifizieren eben das traditionelle Verhalten. Und unter der verschärften | |
Konkurrenz auf dem Jobmarkt erscheinen Experimente in diesem Bereich | |
geradezu als fahrlässig. | |
Aber die "Postmodernen". Die Flexiblen. Die freien Grafiker, | |
Geisteswissenschaftler, Psychologen und Internet-Projektehuber. Sie haben | |
ohnehin keine feste Stelle zu verlieren. Und in der Tat zeigt die Studie: | |
Diese Gruppe hat kaum ein Problem damit, Teilzeit zu arbeiten. Oder auch | |
das Kind zu hüten, wenn gerade die Partnerin den besseren Job ergattert | |
hat. | |
Das Politische wird privat | |
Mit 12 Prozent haben die Postmodernen die größte Zahl der Männer zu bieten, | |
die den Haushalt tatsächlich egalitär teilen. Insbesondere die | |
Geschlechterrollen haben sie entschlossen ins postmoderne "Anything goes" | |
überführt. Sie sehen aus wie Machos, hüten aber zu Hause das Baby. Sie | |
wollen eine starke Frau, die ebenso wendig ist wie sie. | |
Sie sind Beispiele dafür, wie der flexible Kapitalismus sich die flexiblen | |
Geschlechter schafft, die er braucht. Der Nachteil: die Rollenwahl wird als | |
Mikropolitik ins Private verlagert. Dass es Strukturen gibt, die bestimmte | |
Rollenmodelle wahrscheinlicher machen, ist den Postmodernen schnuppe. | |
Sie sind eben postmodern. Der "neue Mann" und das Ideal der | |
Gleichberechtigung sind aber Projekte der Moderne: Die große Erzählung der | |
Gleichheit, der Angleichung der Rollenmodelle: Männer, die ihre weibliche | |
Seite entwickeln. Die Postmodernen haben kein so hehres ganzheitliches Bild | |
mehr. Sämtliche Rollenfixierungen sind ihnen ein Gräuel: Sie grenzen sich | |
vom traditionellen Mann mit seinen festen Vorstellungen von Männlichkeit | |
ab. Aber "neue Männer" stehen bei ihnen ebenso wie "Emanzen" unter | |
Ideologieverdacht. | |
Bedenkt man all dies, wird klarer, warum nicht nur die beiden | |
traditionellen Typen eine gehörige Distanz zur Gleichstellungspolitik | |
haben. Auch die "neuen Männer" und die Postmodernen finden nämlich zu über | |
70 Prozent, dass man bei der Gleichstellung "oft über das Ziel | |
hinausschießt", so die Sinus-Studie. Die Postmodernen sind | |
geschlechterpolitisch indifferent. Und die "neuen Männer" möchten ihre | |
Lebensweise offenbar lieber nur theoretisch in Frage stellen. | |
Der Punkt, der beide eint: Gesellschaft, Politik und Wirtschaft | |
gratifizieren nach wie vor den "starken Mann". Die Modernen fügen sich | |
achselzuckend, behalten dabei den "neuen Mann" aber als vages Ziel vor | |
Augen. Die Postmodernen haben die Teile des "neuen Mannes", die sie | |
gebrauchen konnten, schlicht integriert. Beide sind etwas argwöhnisch, dass | |
mehr Gleichstellungspolitik sie schwächen könnte im männlichen rat race. So | |
muss man wohl interpretieren, dass sogar über 70 Prozent dieser beiden | |
fortschrittlichen Gruppen befürchten, die Gleichstellungspolitik könnte | |
"über das Ziel hinausschießen". | |
Die Forderung nach "mehr Feminismus" schürt diese Angst offenkundig. Aber | |
es gibt ja Konzepte für emanzipierte Männerpolitik, die Männern keineswegs | |
Chancen nehmen will, sondern ihnen welche eröffnen möchte: von "Teilzeit | |
für Chefs" bis "Männer in die Kitas". Nur, solange die Männer nicht klar | |
sagen, was sie wollen, werden sie über vier Vätermonate mehr kaum | |
hinauskommen. Wer nicht mehr so viel Feminismus will, der muss langsam mal | |
mit echter Emanzipation für Männer um die Ecke kommen. | |
8 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Südafrikas Männer: Alle sechs Stunden ein Frauenmord | |
Das WM-Land ist Weltspitze bei den Vergewaltigungs- und Mordraten. Und ihr | |
Präsident Zuma ein ziemlich schlechtes Beispiel. Aber Südafrikas Männer | |
beginnen umzudenken. | |
Das Rollenvorbild: Der coole Schwule | |
Der postmoderne Mann hat sich sein Selbstverständnis von den Schwulen | |
abgeschaut. Die Last der Männlichkeit aber trägt er immer noch. Sein | |
Nachteil: Er hatte kein Coming Out. | |
Migrantinnen über deutsche Männer: "Schüchtern und asexuell" | |
Wie empfinden Frauen, die aus dem Ausland stammen, deutsche Männer? Sie | |
sind schon okay, entsprechen aber ganz dem Klischee – finden jedenfalls die | |
zwei Frauen, die Simone Schmollack gefragt hat. | |
Sondertaz zum Frauentag: Özdemir ist "Feminist" | |
... und der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter hat "Pos gepudert und | |
Windeln gewechselt." In der taz zum Frauentag am Montag offenbaren | |
prominente Männer ihr Verhältnis zur Gleichberechtigung. | |
Taz-Sonderseiten zum Frauentag: Die Männer-Rechte | |
Männer machen Front gegen den Feminismus. Jetzt müsse Schluss sein mit der | |
"Besserstellung der Frau". Selbst vor Kooperationen mit Rechtsradikalen | |
schrecken einige nicht zurück. |