# taz.de -- Regensburger Domspatzen: Die Kirchenväter und die Angst | |
> Die Eltern der Domspatzen sind erschüttert über die Missbrauchsfälle. | |
> Doch das größte Hindernis ist ihr Bischof. Der regiert mit harter Hand – | |
> nur mit pädophilen Priestern ist er nachsichtiger. | |
Bild: Es gibt sie seit dem Jahr 975: Die Regensburger Domspatzen. | |
REGENSBURG taz | Was für ein Geste! Der weißhaarige Herr legt seinen Hut | |
ab, kniet vor einer gusseisernen Grabplatte nieder, senkt den Kopf bis zum | |
eiskalten Boden des Doms und küsst die Platte. Es ist das Grab des Bischofs | |
Johann Michael von Sailer, der von 1751 bis 1832 lebte, ein beliebter | |
Oberhirte, auch "bayerischer Kirchenvater" genannt. | |
Der fromme Mann erhebt sich und tritt ins Seitenschiff, wo eine Steinfigur | |
des Bischofs steht. Hier küsst er dessen Füße. Mit mildem Lächeln sitzt der | |
Oberhirte da, zwei Jungen zur Rechten und zur Linken halten den | |
Bischofsstab und die Bibel auf seinem Schoß. Was sind das für Tage, da man | |
beklemmende Gedanken bekommt, wenn man Buben in so trauter Nähe zum Bischof | |
sieht? | |
In Regensburg an der Donau, da liebt man seine toten Bischöfe, und seine | |
Kinder liebt man wie überall auf Gottes weiter Welt. Nur der jetzige | |
Bischof, Gerhard Ludwig Müller, wird nicht geliebt, bestenfalls geachtet, | |
meist nur gefürchtet. Das hat viel mit den Kindern der Diözese zu tun, um | |
die sich die Eltern sorgen - und nun auch mit dem besonderen Schatz | |
Regensburgs, seinen Domspatzen. | |
Vor gut einer Woche hat sich der berühmte Knabenchor in die elende Kette | |
der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche eingereiht. In den | |
50er-Jahren wurden einige Knaben sexuell missbraucht, teils regelmäßig. In | |
den 70ern soll es Prügelorgien gegeben haben, in den 80ern Ohrfeigen. Und | |
jüngst erzählte ein ehemaliger Domspatz im Spiegel, er habe noch 1992 | |
sexuelle und körperliche Gewalt erlebt. | |
Georg Ratzinger, der Bruder des Papstes, hat inzwischen eingestanden, in | |
seiner Zeit als Domkapellmeister handgreiflich geworden zu sein. Er hat | |
sich öffentlich entschuldigt. Von Fällen sexuellen Missbrauchs habe er nie | |
etwas gehört, versichert er. | |
Caspar Franzen kauft ihm das ab. Der Angestellte eines Pharmaunternehmens | |
hat mit seiner Frau neben seiner Tochter zwei ältere Söhne, die bei den | |
Domspatzen singen. Franzen, Jahrgang 1964, wurde in den Elternbeirat des | |
Chors gewählt - das Gespräch in seinem Haus ist freundlich, sachlich und | |
offen, was derzeit in der Bischofsstadt eher die Ausnahme ist. Die | |
Ohrfeigen Ratzingers müsse man in der Relation der gegenüber heute "anderen | |
schulischen Wirklichkeit" sehen, urteilt Franzen. Es sei eben das Bayern | |
der 60er- und 70er-Jahre gewesen. Dass sich der Papstbruder für die | |
Backpfeifen entschuldigt habe, "ich denke, das ist in Ordnung". | |
"Schon erschüttert" aber waren die Eltern, als sie erfuhren, was für | |
"schreckliche Sachen" in den Fünfzigerjahren passiert sind, sagt Franzen. | |
Die Eltern wurden durch Briefe informiert, die Knaben von ihren Lehrerinnen | |
und Lehrern - je älter die Schüler, desto klarer wurde ausgesprochen, was | |
Priester den Zöglingen angetan haben. | |
Franzens Söhne David und Jakob, 14 und 12 Jahre alt, seien jedoch "am | |
meisten verunsichert gewesen durch die Medienpräsenz" nach Veröffentlichung | |
der Missbrauchsfälle. Es gab Kamerateams, die Schüler interviewten, "das | |
hat sie irritiert". Ansonsten wirkt die Familie gelassen. Schließlich sei | |
allen klar, dass diese Fälle "mit der Realität der Domspatzen heute nichts | |
mehr zu tun haben", wie der Vater betont. "Langfristig leidet der Ruf | |
nicht", glaubt er. Und wer die Fotos und Plakate der Domspatzen in Davids | |
Zimmer sieht, mag glauben, dass weder seine Söhne noch der Chor länger | |
Schaden nehmen werden. | |
So könnte an dieser Stelle die Geschichte schon ihr versöhnliches Ende | |
finden, wenn da nicht der Bischof von Regensburg wäre - und seine Medien- | |
und Machtpolitik. Der Oberhirte sieht sich, sein Bistum und seine Kirche | |
wieder einmal als Opfer einer Kampagne. Darauf angesprochen, wird Franzen | |
leise: "Ja, der Bischof", presst er heraus. Er sei jedenfalls jemand, "der | |
die Institution Domspatzen sehr fördert, das andere ist schon schwierig". | |
"Das andere" ist nicht zuletzt des Bischofs Hang zu Verschwörungstheorien, | |
wie auf der Internetseite des Bistums deutlich wird und die | |
Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" schon vor Jahren festgestellt hat. | |
Und es ist der Müllers fast schon psychopathischer Umgang mit der Presse. | |
So wird einem als taz-Reporter von der Pressestelle mehrfach in aller | |
Seelenruhe erklärt, dass man dieser Zeitung generell kein Interview gebe, | |
weil sie "kontra katholische Kirche" sei. Die taz ist in guter | |
Gesellschaft, die Süddeutsche Zeitung wird von der Spitze des Bistums rüde | |
beschimpft. | |
So ist auch kein Interview mit den Oberen der Domspatzen möglich; die | |
dürfen nur mit Einverständnis der Pressestelle des Bistums reden. Ähnlich | |
sind die Reaktionen des Diözesankomitees, der dem Bischof genehmen | |
Laienvertretung. Zunächst bekommt man dort eine harmlose Presseerklärung | |
für alle Medien sowie ein kleines Interview - eine halbe Stunde später aber | |
wird beides mit Verweis auf die Pressestelle zurückgezogen. | |
Eine Herde von Abnickern | |
Das Bistum Regensburg ist unter Bischof Müller einer der verstocktesten | |
Flecken im deutschen Katholizismus geworden. In acht Jahren hat der | |
Oberhirte seine Schäfchen mit Brutalität und Selbstherrlichkeit zu einer | |
Herde von Abnickern zu machen versucht, oft erfolgreich. Der Kirchenfürst | |
hat, auch gegen den Widerstand von Bischofskollegen, in seinem Bistum die | |
Pfarrgemeinderäte und alle wirklich unabhängigen Laienvertretungen geköpft | |
oder abgeschafft, liberale Theologen der Universität drangsaliert und die | |
Pfarrer unter anderem mit Anweisungen zum rechten Procedere bei der | |
Begrüßung ihres Bischofs genervt: "Der Pfarrer muss sichtbar und erkennbar | |
sein und den Bischof an der rechten hinteren Tür des Autos begrüßen." | |
Eigentlich ist es zum Lachen. | |
Das allerdings vergeht einem im Fall Riekofen. Bei dem Missbrauchsfall in | |
diesem Dorf der Diözese hatte Müller versagt und sicher gegen den Geist, | |
wenn nicht den Buchstaben der "Leitlinien" verstoßen, die sich die Deutsche | |
Bischofskonferenz 2002 für den Umgang mit pädophilen Mitarbeitern gegeben | |
hat. | |
Der Pfarrer von Riekofen | |
Bischof Müller hatte einem Pfarrer die Pfarrei Riekofen übertragen, obwohl | |
dieser im Jahr 2000 in einem anderen Dorf einen Jungen sexuell missbraucht | |
hatte und zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden | |
war. Zyniker sprechen von einer früher nicht unüblichen "geografischen | |
Heilung". Der Bischof versetzte den Pfarrer, ohne den Riekofenern etwas von | |
dessen Vorgeschichte zu berichten. 2007 wurde der Pfarrer erneut unter dem | |
Vorwurf verhaftet, sich in Riekofen mehrfach an Minderjährigen vergangen zu | |
haben. Müller erklärte lapidar: Die Verantwortung trage der Täter. Punkt. | |
Mit dieser Methode hofft Müller offenbar auch durch die jetzigen | |
Missbrauchsfälle zu kommen. Das fürchtet Fritz Wallner. Wallner, ein | |
Verwaltungsbeamter aus dem Umland steht auf dem Gipfel des Adlersbergs, | |
eines beliebten Ausflugsorts. Der Katholik war von 2003 bis 2005 | |
Vorsitzender des Diözesanrates, der höchsten Laienvertretung im Bistum - | |
bis sie von Bischof Müller aufgelöst und durch die gefügigen | |
Diözesankomitees ersetzt wurde. | |
Inzwischen habe er es schriftlich, erzählt Wallner lachend, dass er | |
"kirchenfeindlich" sei - nach einem langen Verfahren wurde im Vatikan | |
beschlossen, dass er das passive Wahlrecht für Laiengremien verliert. "Eine | |
Stimmung der Angst" herrsche nun im Bistum, sagt Wallner, "eingeschüchtert" | |
seien die Leute, "die Sanktionen der Vergangenheit wirken einfach nach". | |
Das Versagen des Bischofs im Fall Riekofen komme den Katholiken hier wieder | |
hoch, wenn sie von den Missbrauchsfällen bei den Domspatzen hören - "das | |
ist der Schlüssel für das Misstrauen" gegenüber dem Bischof. Der sollte nun | |
"runtersteigen von seinem Thron", meint Wallner. Der Oberhirte müsste sich | |
seiner Verantwortung stellen. Hier auf dem Adlersberg gibt es eine Kirche, | |
eine Brauerei - und bei klarem Wetter einen herrlichen Blick auf die Türme | |
des Doms. Die dortige Liebe für Bischöfe teilt Wallner kaum. Ihn treibt | |
anderes. Die Liebe zu seiner Kirche. | |
15 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
## TAGS | |
Katholische Kirche | |
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