Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wohnen in Kasachischen Platten: Sowjet-Schick garantiert
> In Almaty arbeiten viele Ausländer. Sie brauchen eine Bleibe. In
> Kasachstan gehen Mietgeschäfte noch gut, viele Rentner vermieten ihre
> Wohnungen – Sowjetschick garantiert.
Bild: Plattenbauten in Almaty.
Latifa Kunaewa ist eine resolute Frau. Die Haare der 65-jährigen Kasachin
sind kurz zu einer Pagenfrisur geschnitten, auf den Wangen liegt etwas
Rouge, um den Hals hängt eine Perlenkette. Der ockerfarbene Hosenanzug gibt
der klein gewachsenen Frau etwas Sportliches. Sie sitzt auf dem braunen
Sofa, lässt die Füße wippen und wartet auf neue Mieter. Auf der Website
"Krisha.kz", der Immobilienseite Kasachstans, hat eine Maklerin ihre
Wohnung angeboten. "Das mit dem Computer verstehe ich nicht", sagt Kunaewa
unbekümmert, "das ist etwas für meine Enkel."
In der kasachischen Stadt Almaty gehen die Mietgeschäfte immer noch gut.
Wenn auch nicht mehr ganz so gut wie vor der Krise, als die Bitte
potenzieller Mieter um einen Tag Bedenkzeit garantiert abschlägig
beschieden wurde. Besonders Wohnungen in zentraler Lage gingen weg wie
warme Semmeln. Inzwischen hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Almaty
entspannt. Dennoch muss sich Latifa Kunaewa keine Sorge machen.
Die Kasachin gehört zu den glücklichen älteren Damen in Almaty, die im
Zentrum der zentralasiatischen Wirtschaftsmetropole eine Wohnung besitzen.
Zwei Zimmer in einem mehrstöckigen, mit Kacheln verputzten Plattenbau. Der
viereckige Gebäudekomplex mit über hundert Wohnungen hat nichts Schickes,
sondern ist Ergebnis sowjetischer Funktionsarchitektur. Einige Kacheln sind
abgebrochen, andere von Rauch oder Schimmel geschwärzt. Die Briefkästen
sind kaputt. Die Farbe im Treppenhaus blättert ab, in einigen Aufgängen
gibt es keinen Lift, und wo einer vorhanden ist, stinkt es nach Urin.
Vom Küchenfenster aus kann der Betrachter, wenn er den Kopf zu Seite legt,
die schneebedeckten Gipfel des Tien-Shan-Gebirges sehen, das Almaty im
Osten eingrenzt. Der Ausblick auf die Berge ist auch schon das einzig
wirklich Schöne an der Wohnung, die mit braunen Sperrholzmöbeln
ausgestattet ist. Ein Fernseher sowjetischer Fabrikation dominiert vor
einem filzigen Sofa das Wohnzimmer. "Das Bad ist weiß gekachelt", sagt
Kunaewa und erklärt damit das Wort "Evroremont" in der Anzeige, eine
russische Wortschöpfung für Wohnluxus.
Obwohl im Plattenbau, ist die Wohnung für Kunaewa eine Fundgrube. Sie liegt
zentral und ist damit gut geeignet als Mietobjekt für die zahlreichen
Ausländer, die in Almaty arbeiten. Schon in den 1970er-Jahren hat Latifa
Kunaewa hier gelebt, der Ehemann arbeitete damals bei der sowjetischen
Post. Im Sowjetreich kauften Bürger keinen Wohnraum, sondern der sorgende
Staat teilte ihnen die Wohnungen zu. Einige der ans Warten gewöhnten
Sowjetbürger waren geduldig, andere mussten mit Geschenken und Einfluss
nachhelfen. "Wir standen viele Jahre auf der Warteliste", sagt Kunaewa,
"dann haben wir sie bekommen."
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und mit der Unabhängigkeit Kasachstans zog
der Kapitalismus in die Steppe. Die Wohnungen wurden privatisiert, und
Kunaewa wurde Eigentümerin. Die Kasachin und ihr Mann lernten schnell.
Zuerst kamen viele Ausländer in die Stadt, die eine möblierte Wohnung
brauchten. Das Ehepaar zog zu den Kindern und vermietete die Wohnung. "Mein
Sohn ist immer viel unterwegs, da freut sich meine Schwiegertochter, wenn
ich für die Enkel da bin", schmunzelt die Vermieterin.
Für das Geschäft ist die Rentnerin zuständig. Ihrem Ehemann sind die neuen
Zeiten zu kompliziert, er sitzt meist vorm Fernseher. "Mein Mann war mal
ein richtiger Kommunist", sagt Kunaewa, "aber jammern hilft ja nichts.
Einer muss sich ja ums Überleben kümmern."
Anfänglich erhielten die Kunaewas nur einige hundert US-Dollar für ihre
Wohnung. Das amerikanische Zahlungsmittel ist bis heute die gängige
Währung, in der in Zentralasien Wohnraum gekauft oder bezahlt wird, bar auf
die Hand. 2006 begann in Kasachstan der vom Gas- und Ölexport befeuerte
Boom. Die Wohnungspreise stiegen enorm, im November 2007 kostete ein
Quadratmeter Wohnraum in Almaty knapp 3.100 US-Dollar. Doch die
Wirtschaftskrise hat auch Kasachstan nicht verschont. Im Januar 2010 ist
der Quadratmeter nur noch die Hälfte wert.
Kunaewa kann trotz Krise immer noch mit einer Kaltmiete von knapp 800
US-Dollar rechnen. Das ist ein Vielfaches der Durchschnittsrente. "So kann
ich meinen Enkeln was schenken", freut sich die Kasachin. Aber sie selbst
kommt auch nicht zu kurz. Bei jedem Kontrollgang durch die Wohnung trägt
sie etwas Neues. Mal ein Schmuckstück oder eine glänzende Bluse. In
Kasachstan erhält ein Ruheständler, wenn er Glück hat, umgerechnet knapp
170 US-Dollar. Dabei steigen die Preise. Fleisch, Milch, Eier und Gemüse
sind kaum billiger als in den Supermärkten in Deutschland. Obwohl die
Gesundheitsversorgung in Kasachstan staatlich ist und damit für die
Staatsbürger umsonst, erwartet der behandelnde Arzt Aufmerksamkeiten, und
die Medikamente muss der Patient selbst bezahlen.
In anderen Staaten Zentralasiens sieht es noch düsterer aus. Eine Rente in
Tadschikistan übersteigt manchmal kaum 10 US-Dollar, und auch die wird
selten ausbezahlt. Besonders in den Hauptstädten der Länder zwischen dem
Kaspischen Meer und der Grenze zu China schafft die Wohnungsvermietung ein
Zusatzeinkommen. Doch in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek oder in der
tadschikischen Kapitale Duschanbe können Hauseigner für eine
Zweiraumwohnung nur wenige hundert US-Dollar verlangen.
In Usbekistan wiederum ist die Vermietung an Ausländer schwierig. Dort
trocknet ein straffes Netz von Verordnungen den Mietmarkt praktisch aus.
Jeder Ausländer muss persönlich mit dem Vermieter beim Außenministerium
vorsprechen, um eine Meldebescheinigung, eine sogenannte Propiska zu
erhalten. Auch Usbeken aus den Provinzen ist es nicht erlaubt, ohne diese
Propiska in der usbekischen Hauptstadt Taschkent länger als drei Tage zu
wohnen. Und nach der Propiksa rückt die Steuer der Wohneigentümerin auf die
Pelle.
In Kasachstan und Almaty geht alles viel schneller und effizienter.
Touristenfirmen, die an jeder Straßenecke zu finden sind, übernehmen für
ein kleines Geld das Beschaffen der Propiska, der Wohnungsmarkt ist offen.
Kunaewa umarmt die junge Maklerin, die Neumietern die Wohnung zeigt, wie
eine gute Freundin. Schon so manches Geschäft half sie zu vermitteln.
Bevor die internationale Finanzkrise ausbrach, planten Bauinvestoren in
Almaty ein Großprojekt nach dem anderen. Den aufgestellten Großplakaten
zufolge sollten hier regelrechte Wohnpaläste mit Bögen, Säulen und
Springbrunnen entstehen, doch die Krise bereitete vielen Projekten ein
jähes Ende. Kunaewas Platte dagegen steht immer noch.
Der Gebäudeflügel, in dem sich ihre Wohnung im sechsten Stock befindet,
liegt an einer ruhigen Nebenstraße. Das ist in dem von Smog und
Verkehrslärm geplagten Almaty ein Vorteil. Ein Klettergerüst und eine
Schaukel rosten auf einem mit Kippen und leeren Flaschen gespickten Platz.
Einige Platanen haben sich über die Jahre zum Himmel gestreckt.
Für die Kasachin geht das Geschäft weiter. Früher, als der Mietzins Woche
für Woche stieg, kannte Kunaewa keine Gnade. Am Sonntagmorgen rückte sie
unangekündigt mit Neumietern an und führte eine Besichtigung durch. Mit
solchen Manövern trieb die Kasachin die monatlichen Zahlungen für die
Plattenwohnungen um einige hundert "Limonen", wie der Dollar in
Zentralasien genannt wird, in die Höhe. So gezockt wie früher wird heute
aber nicht mehr. Und auch die ältere Dame im Zentrum der Stadt ist ruhiger
geworden. Ab und an muss sie sogar ihre Wohnung einige Wochen leer stehen
lassen, bis neue Mieter gefunden sind. Aber 800 US-Dollar sind für die
Rentnerin in Almaty immer noch eine schönes Auskommen.
16 Mar 2010
## AUTOREN
Marcus Bensmann
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kinderarbeit in Usbekistan: Aufs Baumwollfeld statt zur Schule
Jeden Herbst müssen Kinder in Usbekistan bei der Baumwollernte helfen. Die
Regierung geht kaum gegen die Ausbeutung vor. Usbekistan ist weltweit
drittgrößter Baumwollexporteur.
Staudamm-Projekt in Tadschikistan: Die geplatzten Träume von Rogun
Als Ira Puklina vor mehr als zwanzig Jahren in die tadschikische
Retortenstadt Rogun kam, war hier mehr los als in der Hauptstadt Duschanbe.
Dann zerfiel die Sowjetunion.
FDP-Politiker Michael Link über OSZE: "Kasachstan steht unter Beobachtung"
Kasachstan habe vor zwei Jahren versprochen, die OSZE-Standards
einzuhalten, sagt der FDP-Abgeordnete Michael Link. Man werde jetzt sehen,
ob die Zusage eingehalten wird.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.