# taz.de -- Staudamm-Projekt in Tadschikistan: Die geplatzten Träume von Rogun | |
> Als Ira Puklina vor mehr als zwanzig Jahren in die tadschikische | |
> Retortenstadt Rogun kam, war hier mehr los als in der Hauptstadt | |
> Duschanbe. Dann zerfiel die Sowjetunion. | |
Bild: Der Putz ist längst abgebröckelt: Ira Puklina lebt mit ihrer Familie in… | |
ROGUN taz | Manchmal enden große Pläne im Verfall. Die Wohnung von Ira | |
Puklina und ihrer Tochter Elisaweta Spirona ist ein Ort der zerflossenen | |
Träume. Dem rot gefärbten Haar der 42-jährigen Elisaweta sieht man die | |
unermüdliche Bearbeitung mit dem Lockenstab an. Die Nägel sind künstlich | |
verlängert und glänzen rot, ein Kajal schwärzt die Augenränder. Die | |
61-jährige Mutter Ira mag es schlichter. Sie trägt einen blau-weiß | |
gepunkteten Haushaltskittel und ein Kopftuch. Das Gesicht ist ungeschminkt. | |
Zwei durchgesessene Sessel stehen einer zugestellten hölzernen Anrichte | |
gegenüber, der Kühlschrank brummt. | |
Es riecht nach Zwiebel. Ein durch einen glühenden Elektrodraht aufgeheizter | |
Stein sorgt für Wärme, der kleine Fernseher flimmert. Es gibt zumindest | |
Strom. Eine Verbindungstür führt zu einem kleinen Laden, in dem von Bonbons | |
bis zum Shampoo alles feilgeboten wird, in Säcken auch Mehl, Reis und | |
Zwiebeln. Hin und wieder betritt ein Kunde den Laden. Elisawetas Ehemann | |
sitzt auf der Zugangstreppe und richtet ein Abzugsrohr her, das mit dem | |
Ofen im Wohnraum verbunden werden soll. Bald kommt der Winter. | |
Die kleine Familie wohnt im Erdgeschoss eines Plattenbaus. Früher zierten | |
schmucke Rauten die Fassade, heute ist der Zerfall eingezogen. Unkraut und | |
Gras sprengen den Asphalt. Das Städtchen Rogun in Tadschikistan liegt auf | |
einem engen Plateau zwischen den Gebirgsfalten des Vorpamirs, durch die | |
sich der Fluss Warsch schlängelt. | |
In Rogun verfallen die Plattenbauten, und die meisten sind in einem noch | |
erbärmlicheren Zustand. Über 20 Jahre verharrte die Stadt in Komastarre. | |
An der Schlucht des Warschflusses, 100 Kilometer östlich der tadschikischen | |
Hauptstadt Duschanbe, plante die Sowjetunion in den Siebzigerjahren den Bau | |
eines der größten Wasserkraftwerke der Welt. Die gestaute Wassermenge | |
sollte jährlich 13 Milliarden Kilowattstunden erzeugen. In Deutschland | |
verbrauchen knapp 4 Millionen Haushalte eine solche Strommenge. In | |
Tadschikistan leben aber knapp nur 7 Millionen Menschen. Aber für die | |
damalige Sowjetrepublik an der afghanischen Grenze, die schon über den | |
Staudamm Nurek verfügte, war das Wasserkraftwerk in Rogun gar nicht | |
gedacht. | |
Mit Hilfe des Damms sollte ausreichend Wasser gestaut werden, um die | |
Baumwollplantagen in der trockenen zentralasiatischen Steppe in Usbekistan | |
und Turkmenistan zu bewässern. Der dabei entstehende Strom galt als | |
Nebenprodukt. Wichtig für die Sowjetunion waren die Baumwollplantagen, die | |
das Schmelzwasser aus dem Tien Schan und dem Pamirgebirge regelrecht | |
wegsaugten. Der am Ende der zwei zentralasiatischen Flüsse Syr-Darja und | |
Amu-Darja liegende Aralsee begann bereits auszutrocknen. | |
Als Erstes baute die Sowjetunion zwischen den kahlen Gebirgshängen eine | |
Kunststadt. Für Rogun sammelte die Sowjetunion ihre Techniker zwischen | |
Tallinn und Wladiwostok aus allen Ecken des Reiches ein. Solche | |
Arbeiterstädte erfreuten sich in der Sowjetunion hoher Privilegien, sie | |
wurden direkt von Moskau versorgt. In den Läden von Rogun fand man Waren, | |
von denen die übrigen Städte der Sowjetunion nur träumen konnten. | |
Auch Ira, damals gerade verheiratet, folgte dem Ruf an das Sowjetvolk, in | |
der Schlucht des Warschflusses einen Staudamm zu bauen. Sie zog mit ihrem | |
Ehemann, einem angehenden Arzt, nach Rogun. Sie hatten es nicht weit. Sie | |
kamen aus Kuljab, einer Provinzstadt in der südlichen Provinz Tadschikistan | |
unweit der afghanischen Grenze. Ira verfügte über die entscheidende | |
Qualifikation. Sie ist Kranfahrerin. "An all den Häusern hier habe ich | |
mitgebaut", lacht Ira. | |
Menschen aus allen Teilen der Sowjetunion lebten in Rogun und hatten Geld. | |
Die Geschäfte waren voll. Es gab Restaurants, Kinos und Theater. "Hier war | |
es lustiger als in der Hauptstadt Duschanbe", erinnert sich sehnsüchtig die | |
Tochter Elisaweta und betrachtet die roten Fingernägel. | |
In die umliegenden Berge wurden tiefe Stollen gebuddelt, und auch die vier | |
gewaltigen Turbinen waren schon geliefert. Noch heute liegen überall | |
verrostete Eisenrohre und Traktoren herum. Dann zerfiel die Sowjetunion. | |
"Wir bauten doch den größten Damm der Welt, und dann war das Land weg und | |
das Geld alle", sagt Ira. | |
Die meisten Arbeiter, die aus den Sowjetrepubliken angereist waren, | |
befanden sich plötzlich im Ausland. Jeder, der es irgendwie konnte, verließ | |
die Arbeiterstadt Rogun so schnell wie möglich. Ira und ihre Familie hatten | |
kein anderes Zuhause. "Wir hofften, dass es irgendwie gehen würde", sagt | |
Ira. Es kam schlimmer. | |
Tadschikistan schlitterte nach der Unabhängigkeit 1991 in einen | |
Bürgerkrieg. Die Klane des Landes kämpften um die Macht. Der Krieg war | |
grausam, mehr als 100.000 Menschen starben und Rogun wurde zur Frontlinie. | |
"Wir waren im Krieg", sagt die Tochter Elisaweta. Die Familie wollte immer | |
noch nicht wegziehen. Irgendwie gab es ja noch Arbeit - aber keine andere | |
Heimat. Ira war schon lange vom Kran heruntergestiegen und arbeitete als | |
Sekretärin an der verlassenen Baustelle. Eines Morgens, als sie zur Arbeit | |
ging, standen vor ihr bärtige Männer mit Kalaschnikows und sagten, sie | |
solle doch besser nach Hause zurückkehren. Mit dem Krieg und dem Zerfall | |
der Sowjetunion hörte das Leben in Rogun auf. | |
Bis heute gibt es oft viele Stunden am Tag keinen Strom. Im Winter bleiben | |
die Heizungsrohre kalt. Iras Familie saß in ihrer Plattenbauwohnung und | |
musste überleben. Sie bauten einen Ofen, heizten mit gesammelten Holz oder, | |
wenn sie Glück hatten, mit Kohle. | |
Die Traum Rogun war erloschen. Aber die Familie wollte immer noch nicht | |
wegziehen. "Hier ist wenigstens die Luft so klar und der Sternenhimmel in | |
der Nacht so schön", sagt die Tochter Elisaweta. | |
Es musste Arbeit her. Im Nebenzimmer richtet die Familie einen kleinen | |
Laden ein für diejenigen, die geblieben waren. | |
Dann kehrte die Hoffnung zurück. Der Krieg war vorbei. Keine bärtigen | |
Mudschaheddin zogen mehr durch die verfallenen Straßen. Im fernen Moskau | |
regierte ein neuer Präsident, Wladimir Putin. Er besuchte 2004 | |
Tadschikistan. Putin versprach Gewaltiges. Der russische Aluminiumkonzern | |
Rusal wolle 2 Milliarden US-Dollar in Tadschikistan investieren und den | |
Staudamm Rogun fertigstellen. "Als wir das gehört haben, haben wir Krimsekt | |
getrunken", sagt Elisaweta. "Rogun und wir hatten wieder eine Zukunft." | |
Nicht nur die Familie hat gefeiert, sondern ganz Tadschikistan. | |
Tadschikistan hat wegen der jährlichen Schmelze im Pamirgebirge viel | |
Wasser, aber im Gegensatz zu den zentralasiatischen Nachbarn Kasachstan, | |
Turkmenistan und Usbekistan kaum eigene fossile Energieträger. In der | |
Sowjetzeit staute der Nurekstaudamm in Tadschikistan das Wasser, um im | |
Sommer die Landwirtschaft und vor allem den Baumwollanbau in Usbekistan und | |
Turkmenistan zu bewässern. Dafür lieferten die Staaten in der | |
zentralasiatischen Ebene dem Gebirgsstaat billigen Kraftstoff. Mit dem | |
Zerfall der Sowjetunion zerbrach das System. | |
Vor allem Usbekistan forderte von Tadschikistan für Gaslieferungen | |
Weltmarktpreise, erwartete aber gleichzeitig die Erfüllung der Wasserquote. | |
Die vom Krieg heimgesuchte Bevölkerung in Tadschikistan ist nicht in der | |
Lage, die Weltmarktpreise zu zahlen. Usbekistan drehte daher immer wieder | |
den Gashahn zu. Im Winter 2008 saß ganz Tadschikistan wie die Familie in | |
Rogun ohne Heizung da. Zudem kollabierte das Stromnetz, da die Menschen mit | |
Elektrizität heizten. Usbekistan ist im November 2009 auch noch aus dem | |
gemeinsamen Stromnetz Zentralasiens ausgetreten. Das bedeutet für die | |
Menschen in Tadschikistan in diesem Winter wiederum dunkle und kalte | |
Wohnungen. | |
Sollte es Tadschikistan gelingen, Rogun fertigzustellen, könnte das | |
zentralasiatische Land seinen Energieverbrauch sichern. Mit nur einem | |
Kraftwerk in Nurek muss spätestens das Wasser abgelassen werden, wenn der | |
Stausee voll ist. Mit einem zweiten Auffangbecken in Rogun könnte | |
Tadschikistan mehr Wasser für die Energiegewinnung stauen und den | |
Schmelzwasserabfluss aus dem Pamirgebirge kontrollieren. Der usbekische | |
Präsident Islam Karimow will jedoch verhindern, dass Tadschikistan der | |
usbekischen Landwirtschaft das Wasser abdrehen kann. Usbekistan setzte | |
alles daran, Russland von dem Rogun-Plan abzubringen. "Über Bauprojekte an | |
zentralasiatischen Flüssen müssen alle Anrainerstaaten der Region | |
mitbestimmen", fordert der usbekische Präsident. | |
Der Herrscher aus Usbekistan hatte Erfolg. Die russische Seite verzögerte | |
und vertagte den Ausbau der brachliegenden Baustelle. Rusal wollte zum | |
Schluss die Höhe des Staudamms verringern. Erzürnt stieg Tadschikistan aus | |
dem gemeinsamen Projekt aus. Der Jahrhundertvertrag mit Tadschikistan | |
platze. "Und damit auch unsere letzte Hoffnung", sagt Elisaweta. | |
Tadschikistan plant aus eigener Kraft den Staudamm zu bauen, aber die | |
Wirtschaftskraft des bitter armen Landes lahmt. Die Kosten für den Bau | |
würden drei komplette Jahresbudgets verschlingen. Ausländische | |
Großinvestoren schreckt das usbekische Veto ab. | |
Ein wenig wird trotzdem in Rogun wieder gearbeitet. Einige leerstehende und | |
verfallende Plattenbauten sind neu gestrichen. "Ob wir hier je den Staudamm | |
sehen, weiß ich nicht", sagt Ira. | |
7 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Marcus Bensmann | |
Marcus Bensmann | |
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Tadschikistan | |
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